Berlin - 15 Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in Deutschland fordern Betroffene ein stärkeres staatliches Eintreten für die Entschädigung der Opfer.
Die kommende Bundesregierung müsse mit den Partnern in der Kirche sprechen "und sich dafür einsetzen, eine Entschädigungslösung zu konstruieren im Austausch mit den Betroffenen", forderte Matthias Katsch, Geschäftsführer der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" in Berlin.
Katsch bedauerte, dass viele Betroffene sexuellen Missbrauchs auch nach 15 Jahren nicht angemessen entschädigt würden. Es brauche einen unabhängigen staatlichen Vermittler, der über die Rechte der Opfer wache und eine Vermittlungsfunktion einnehme, forderte Katsch. Zuvor hatte die Initiative einen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags verfasst und die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland für weitgehend gescheitert erklärt. Betroffene würden viel zu häufig alleine gelassen, beklagte Katsch.
Missbrauchsskandal in Deutschland wurde 2010 bekannt
Vor 15 Jahren wurden Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg öffentlich und damit der Skandal um die systematische Vertuschung solcher Fälle in der katholischen Kirche in Deutschland. 2018 legte die katholische Kirche dann die sogenannte MHG-Studie vor, die Tausende Missbrauchsfälle auflistete, 1.670 mögliche Täter und 3.677 Kinder und Jugendliche als Opfer. Experten sind sich einig, dass das nur die Spitze des Eisbergs und die Dunkelziffer deutlich höher sein dürfte.
Letzteres betonte auch Astrid Mayer, selbst Betroffene und Mitglied des Aktionsbündnisses. "Mindestens 114.000 Betroffene allein in der katholischen Kirche waren Kinder und Jugendliche, die mächtigen und angesehenen Männern ausgeliefert waren", erklärte Mayer unter Berufung auf eine Dunkelfeldstudie des Psychiaters Jörg Fegert. Einen Antrag auf Entschädigung hätten bislang nur wenige Tausend gestellt, was deutlich mache, dass der Schritt viele Betroffene überfordere.
Institutionen pochen in Prozessen auf Verjährung
Mayer wirft den Institutionen der Katholischen Kirche vor, die eigene Verantwortung häufig unter den Teppich kehren zu wollen. In Schmerzensgeldprozessen werde "auf Verjährung gepocht", statt sich der finanziellen Verantwortung zu stellen.
Katsch erklärte, dass jedem Opfer aus Sicht seiner Initiative mindestens 40.000 Euro zustünden. In den vergangenen 15 Jahren hätten die Institutionen bei der großen Masse der Anträge aber lediglich Entschädigungen zwischen 5.000 und 12.000 Euro ausgezahlt. Das sei "erbärmlich".
Betroffene fordern unabhängige Kontrollinstanz
Die Gesamtsumme der seit 2010 von der katholischen Kirche gezahlten Entschädigungen belaufe sich auf ungefähr 44 Millionen Euro. Der Kirche fehle es also nicht an finanziellen Mitteln, erklärte Katsch weiter. Bislang könnten Betroffene einen Antrag stellen beim Bistum oder der Ordensgemeinschaft, wo sie eine Entschädigung geltend machen wollten. Im Anschluss entscheide aber eine Kommission, die von den Bischöfen berufen werde, "in einem nicht nachvollziehbaren Verfahren" über die Höhe der Entschädigung, erläuterte Katsch. Dieses System brauche eine von der Bischofskonferenz unabhängige Kontrollinstanz, forderte er.
Auch Claus Mertes, der ehemalige Rektor des Berliner Jesuitengymnasiums Canisius-Kolleg, hofft, dass der Weg der Aufarbeitung weitergeht. Vor 15 Jahren hätten sich drei ehemalige Schüler des Kollegs an ihn gewandt - und damit den Stein ins Rollen gebracht. Das sei der Beginn eines "historischen Prozesses der Öffnung für das Thema" gewesen - mit Auswirkungen weit über die deutschen Grenzen hinaus, erklärte Mertes. © Deutsche Presse-Agentur
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