"Wunder gibt es immer wieder!" Mit der berühmten Liedzeile von Katja Ebsteins Einlage beim Eurovision Song Contest 1970 im Ohr ging ich vorgestern in Berlin zum Bürgeramt Pankow, um meinen Personalausweis zu verlängern.

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Ebsteins Song machte sich deswegen als Ohrwurm in meinem Kopf breit, weil ich den Termin erst nach über sechs (!) Monaten der quälenden und nervenaufreibenden Zeit des Wartens bekommen habe.

Und weil ich wenig Hoffnungen hatte, dass auch der Termin selbst irgendwie vergnügungssteuerpflichtig werden würde. Stress mit Bürgerämtern: in Berlin we call it a Klassiker. Aber wer weiß – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Das halbe Jahr des Suchens war so abenteuerlich und teils nervenzerreißend, dass man es ohne weiteres in eine Fortsetzung der Indiana-Jones-Reihe hätte packen können, in der Harrison Ford seltenen Kulturschätzen und Reliquien hinterherjagt. Die Aussicht auf Erfolg war jedenfalls von einer gleich großen Wahrscheinlichkeit geprägt, wie die Bundeslade oder den Heiligen Gral zu finden.

Bei meiner Terminsuche, die man auch als eine Art Nahtoderfahrung bezeichnen könnte, kam es zu einigen lauten Wortgefechten mit der peinlich schlechten Webseite des Landes Berlin. Eine Seite, die bestenfalls als wohlwollendes Experiment eines Digital-Workshops in einem Pflegeheim durchgehen könnte, in welchem Menschen auf ihre letzten Tage sich mal im Programmieren versuchen dürfen. Als dann doch endlich ein freier Termin auftauchte, konnte ich mein Glück kaum fassen.

Mit einem Mix aus Furcht und Zorn, den großen Stress erwartend, weil man sich mal wieder von einem schlecht gelaunten Beamten anpöbeln lassen muss, der seinen Job-Frust und die nachlassende Kaffee-Wirkung an einem auslässt, fuhr ich also nach einem halben Jahr endlich ins Bürgeramt-Pankow, um meinen Personalausweis zu verlängern. Ein Dokument, zu dessen Besitz man in Deutschland ab einem Alter von 16 Jahren verpflichtet ist – welches man aber wegen bürokratischem Irrsinn und katastrophaler Terminplanung unfreiwillig erst nach einem halben Jahr bekommt. Verrückte Welt.

Dienstagmorgen. Mein Termin ist um 9.30 Uhr – ich sollte meinen Mitbewohner also lieber schon mal vorwarnen, dass ich vermutlich zu spät zum Abendessen komme. Als ich das Gebäude betrete, merke ich, wie meine Pulsadern auf Tannenzapfen-Größe anwachsen. Die Beschilderung ist so mies, dass ich mir denke: "Die vom Bürgeramt wollen eine Art sadistische Schnitzeljagd mit einem machen. Die geben extra nur wenige Hinweise, wo sich der Schatz (der Raum für die Ausweisverlängerung) befindet, damit man irgendwann entnervt aufgibt und den Termin absagt, damit sie weniger Arbeit haben."

Und dann passiert das Unfassbare: Punkt 9.30 Uhr, auf die Sekunde genau (!), wird meine Nummer auf dem Display aufgerufen, auf welches die rund 20 wartenden Leute im Bürgeramt mit einem Jeffrey-Dahmer-Gesichtsausdruck blicken. Als ich das entsprechende Büro nach einer weiteren kleinen Schnitzeljagd finde, schaue ich in das lächelnde Gesicht eines Beamten. Er begrüßt mich freundlich, tippt alles schnell ein, macht einen Abholtermin mit mir aus und wünscht mir einen schönen Tag. Nach fünf Minuten bin ich wieder draußen. Hab ich das gerade geträumt? Beim Verlassen des Büros schaue ich mich nach dem Kamerateam von Verstehen Sie Spaß um – aber es ist nicht zu sehen.

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Freudestrahlend und neue Hoffnungen in die kaputten Strukturen von Berlin schöpfend mache ich mich auf den Heimweg. Tatsächlich ging der Termin so unkompliziert, schnell, freundlich und hilfsbereit von der Bühne, dass eigentlich nur ein Fehler in der Matrix diese kurzen zehn Minuten der Verwunderung erklären kann. Oder eben doch Katja Ebsteins Song… denn: Wunder gibt es immer wieder!

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