Für die dutzenden Eisenbahnfans, die am Dienstagmittag vor dem Bundeskanzleramt mit Protestplakaten standen, ging es um ein gut bekanntes Thema: Ein Verkehrsprojekt, verbunden mit großen Hoffnungen und Wünschen für eine "kommunalgerechte" Verkehrswende.

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Ein Projekt, das dann doch auf finanzielle Probleme stößt und sich verzögert. In diesem Fall geht es um die "Vorpommern-Magistrale": Die Zugverbindung zwischen Berlin und Rügen, auf der in Zukunft mit Tempo 160 statt 110 gefahren werden soll.Das hat zumindest der Staatsminister und Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider (SPD) im Oktober 2023 versprochen; die Beschleunigung würde die Fahrzeit von Berlin nach Usedom um 30 Minuten verkürzen und sollte bis zum Ende des Jahrzehnts realisiert sein, hieß es. Doch seither ist wenig passiert: 500 Millionen Euro soll das Projekt kosten, aber die Finanzierung konnte noch nicht gesichert werden, deshalb wurde die Planung für den Ausbau der Bahntrasse im Frühjahr 2024 eingestellt.

Deswegen standen die etwa 50 Demonstranten vor dem Bundeskanzleramt – um Schneider aufzufordern, sein Versprechen einzuhalten und die Zukunft des Projekts zu sichern. Die meisten Demonstranten waren am frühen Morgen mit dem Bus aus Mecklenburg-Vorpommern angereist, um am Tag vor der nächsten Aufsichtsratssitzung der Deutschen Bahn zu demonstrieren.

Organisiert wurde die Demo von dem Verein Usedomer Bahnfreunde in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative Darßbahn und dem Fahrgastverband MV pro Bahn. Aus Usedom angereist ist auch Karl-Heinz Spiegl: Seit den 1990er-Jahren setzt er sich als Mitglied der Usedomer Bahnfreunde für den Neubau der Karniner Hubbrücke ein, die einst Usedom mit dem Festland verband, bis sie im April 1945 von der Wehrmacht gesprengt wurde.

Nun müsste die Brücke für die Beschleunigung der Vorpommern-Magistrale neu errichtet werden – nach Jahren der verpassten Chancen. So sieht Spiegl die Sache. "Der Wunsch ist ganz einfach: Man möchte zügig auf die Insel kommen", sagt der 84-Jährige. Er zeigt Touristen auf der Insel die Reste der Brücke in seinem Boot – Kapazität zwölf Personen – und freut sich über Besucher, aber nicht unbedingt über den Autoverkehr, den sie mitbringen. "Im Sommer ist der Verkehr auf unserer Straße komplett dicht", sagt er. "Alles wird vor lauter Schlangen stillgelegt."

In unterschiedlichen Redebeiträgen machen die Demonstranten klar: Mit dem Stillstand dieses Projekts werden auch große Perspektiven für Ostdeutschland auf Eis gelegt – Tourismus, Förderung der Wirtschaft in den Kommunen oder eine bessere Verbindung nach Berlin für Studenten und Fachkräfte. "Ich hoffe, die Bahn hört dieses Zeichen, dass es gerade in Ostdeutschland Regionen gibt, die man nicht weiter abhängen kann, sondern noch mehr oben drauflegen müsste", sagt Erik von Malottki, SPD-Bundestagsabgeordneter. Er sieht eine Riesenchance für seine Region durch das Projekt und wünscht sich, dass Carsten Schneider nun "extrem intern" für die Finanzierung und Fortsetzung des Projekts kämpft.

Carsten Schneider stellt sich auch in einem Redebeitrag den Demonstranten – und erneuert sein Versprechen für den Ausbau der Linie bis Ende des Jahrzehnts. "Unser klares politisches Commitment ist noch da", sagt er und bedankt sich bei den Demonstranten für ihr Kommen. Karl-Heinz Spiegl sieht daraus ein positives Zeichen. "Dann hat es was gebracht, dass wir hier waren."

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Für Karl-Peter Naumann von dem Verein Pro Bahn muss allerdings noch einiges passieren, bevor er an den Vollzug glauben kann. Er greift zu einem Goethe-Zitat: "Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Die Finanzierungsprobleme kann er gut nachvollziehen, würde sich aber lieber Alternativlösungen wie eine schrittweise Beschleunigung der Linie als weitere Verzögerungen für das gesamte Projekt wünschen. "Der Ausbau auf Tempo 160 ist ja kein Hexenwerk", sagt er. "Wir müssen uns umweltfreundlicher bewegen können – und dazu ist eine attraktive und schnelle Bahnverbindung notwendig."  © Berliner Zeitung

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