Starkstromtrasse bei Hochheim: Für die Starkstromtrasse Rhein-Main-Link sollen bald Probebohrungen vorgenommen werden. Den Winzern graut es vor schwerem Gerät auf ihren wertvollen Böden.
Im Ausland verstehe niemand, "dass wir unsere eigene Weingegend zerstören", sagt Winzer Gunter Künstler. "Unsere internationalen Importeure stehen dem fassungslos gegenüber." Durch die Weinberge bei Hochheim soll die Starkstromtrasse Rhein-Main-Link des Betreibers Amprion verlaufen, die Planung und Genehmigung liegt bei der Bundesnetzagentur.
Im Spätsommer wurden bei einer Antragskonferenz Einwände vorgetragen und anschließend schriftlich eingereicht, momentan werden sie evaluiert. Für das Projekt gelten die Regeln eines beschleunigten Verfahrens, weshalb vieles anders läuft als bei einem üblichen Planfeststellungsverfahren, wobei etliche Grundlagen gesetzlich verankert sind.
"Oberirdisch wo möglich, unterirdisch wo nötig"
Nun lud der zuständige Wahlkreisabgeordnete Axel Wintermeyer den weinbaupolitischen Sprecher seiner Fraktion im Hessischen Landtag, Ingo Schon, nach Hochheim ein, dazu kam auch der Bundestagsabgeordnete Norbert Altenkamp (beide CDU). Eigentlich habe die Erdverkabelung dazu gedient, die Akzeptanz dieser Stromtrassen zu erhöhen. "Was wir 2015 entschieden haben, ist so nicht zu halten", sagt Altenkamp selbstkritisch.
Wintermeyer gibt die Devise "oberirdisch wo möglich, unterirdisch wo nötig" aus, denn die Energiewende lebe von Akzeptanz. Der eigentliche Zweck der Erdverkabelung werde hier "mit viel Geld ins Gegenteil verkehrt", sagt Schon.
Während das Planungsverfahren läuft, werden in Hochheim schon Nägel mit Köpfen gemacht oder besser gesagt: Bohrungen mit Schwerstgerät geplant. Einen ganzen Tag lang hätten die Winzer mit Geologen und Vertretern von Amprion im Weinberg verbracht, um über die anstehenden Probebohrungen zu sprechen, berichtet Jungwinzer Simon Schreiber. Dabei fiel ihm vor allem "eine wahnsinnige Unkenntnis darüber, wie hier was funktioniert", auf.
20 mehr Bohrpunkte als Winzern ursprünglich mitgeteilt
Sein Vater Martin Schreiber ergänzt, die Bohrungen seien den Winzern als unproblematisch verkauft worden. Am 26. Oktober hätten sie erfahren, dass aus 50 Bohrpunkten 70 geworden seien. 45 Meter gehe das in die Tiefe, der Durchmesser der Bohrlöcher betrage 15 Zentimeter. Dazu müssten bis zu 24 Tonnen schwere Geräte in den Weinberg fahren, auch einzelne Reben würden dafür gerodet. Baustraßen würden aufgeschüttet, was zu Bodenverdichtung auf den empfindlichen Feldern führe.
Eigentlich sei den Winzern auch versprochen worden, dass die Bohrungen außerhalb der Vegetationsperioden vorgenommen würden, doch allein ein Bohrloch dauere zwei Wochen, sagt Schreiber. Die Zahl der Bohrlöcher ist auch deshalb so hoch, weil gleichzeitig drei Trassenverläufe geprüft werden müssen.
Die Winzer setzen sich nun dafür ein, das nur die erste Trasse geprüft wird, der Verlauf durch die Weinberge bei Kostheim. Diese Trasse lag schon früh auf dem Tisch, tauchte in den weiteren Planungen aber nicht mehr auf und wurde durch die drastische Ostvariante ersetzt, die mitten durch die besten Lagen verlaufen wäre. Diese Variante liege derzeit auf Eis, berichtet Simon Schreiber.
Planungs-KI für Trassenkorridor mit veralteten Daten gefüttert
Bei der favorisierten Kostheimer Trasse käme man mit 17 Bohrpunkten aus, von denen nur vier mitten im Weinberg lägen. Das wäre sogar für die Kostheimer Winzer besser, denn viele von ihnen besäßen die meisten Flurstücke auf Hochheimer Gemarkung, erklärt Simon Schreiber. Er befinde sich mit seinen Kollegen im ständigen Austausch. Ein Tag pro Woche gehe bei ihm mittlerweile für die Organisation rund um Rhein-Main-Link drauf – unbezahlt natürlich.
Doch bei vielen Winzern geht es um die Existenz – etwa bei Fabian Schmidt, Winzer in erster Generation vom Weingut im Weinegg. Er hat das Gut nach seinem Studium mithilfe seiner Eltern erworben und baut seit 16 Jahren mit viel Herzblut Wein an. "Für ein Weingut sind 16 Jahre nichts", sagt er. Doch es geht um sein Lebenswerk, bei ihm wie bei anderen. Daher ärgerten sich die Weinbauern auch, wenn Amprion-Vertreter die Bedenken damit abtäten, sie würden ja ohnehin Ausgleichsgelder bekommen. "Da steht man zusammen im Weinberg, plant acht Meter breite Baustraßen und möchte fragen: Merkt ihr eigentlich noch was?", wundert sich Simon Schreiber.
Geht es nach Axel Wintermeyer, wird die Trasse noch einmal umgeplant. Besonders ärgere ihn, dass der Trassenkorridor mit einer Künstlichen Intelligenz geplant worden sei, die mit veralteten Unterlagen gefüttert worden sei und auch bei FFH-Gebieten nur ungenau vorgehe. "Wenn das Ermessen nicht so ausgenutzt wird, wie es möglich wäre, muss wohl das Gesetz geändert werden", sagt Wintermeyer. Dann dauere die Sache womöglich etwas länger, aber das sei schließlich auch ein Jahrhundertprojekt. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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