Finanzplatz Frankfurt: Die Euro Finance Week ist ein Gradmesser für die Stimmung am Finanzplatz. Dort versuchen die Chefs der Banken trotz großer Probleme Optimismus zu verbreiten.

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Die Frage kam spät, aber sie kam, und eigentlich hatten doch alle darauf gewartet. Die Vorstands- oder Deutschlandchefs sechs großer Finanzhäuser aus Frankfurt hatten schon mehr als eine Stunde über die Stimmungslage in der Branche diskutiert, als der Moderator auf der Euro Finance Week endlich jene Frage an Bettina Orlopp richtete, auf die jeder im Raum schon lange gehofft hatte. Ob denn eine Konsolidierung des europäischen Bankenmarktes, die angesichts der Stärke etwa der Konkurrenz aus den USA vielen Experten sinnvoll erscheint, auch mit Blick auf eine Übernahme der Commerzbank durch die italienische Unicredit zu begrüßen sei, wurde Orlopp also gefragt, die seit vielen Jahren zu der Frankfurter Finanzkonferenz kommt, am Montag aber erstmals in ihrer neuen Funktion als Vorstandsvorsitzende.

Man sei nicht grundsätzlich gegen eine Konsolidierung, antwortete die Managerin, die den Dax-Konzern seit 1. Oktober führt, salomonisch, betonte jedoch die Eigenständigkeit ihrer Bank. Unicredit sei "im Moment ein strategischer Investor – nicht mehr und nicht weniger", befand sie. Die italienische Großbank hatte Anfang September den Teilausstieg des Bundes genutzt und war im großen Stil bei der Commerzbank eingestiegen. Inklusive Finanzinstrumenten sicherte sich das Institut 21 Prozent der Anteile, zudem beantragte die Bank bei der Bankenaufsicht die Erlaubnis, ihren Anteil auf bis zu 29,9 Prozent aufzustocken. Unicredit-Chef Andrea Orcel hat zudem jüngst darauf hingewiesen, die Commerzbank und die deutsche Unicredit-Tochter Hypovereinsbank ergänzten sich ideal. Die Deutschlandchefin von Unicredit, Marion Höllinger, hätte dazu sicher direkt Stellung nehmen können – sie hatte jedoch kurz vor der Konferenz ihre Teilnahme abgesagt.

"Wir sehen im Mittelstand einen enormen Investitions- und auch Beratungsbedarf"

Wenn jemand eine gute Idee habe, hob Orlopp am Montag hervor, wie er den deutschen und den europäischen Markt vorantreiben könne, "werden wir uns dem sicher nicht entgegenstellen und uns das anhören". Generell jedoch hätten derlei Fusionen den Nachteil, dass die Integration zweier Banken viel Zeit und Ressourcen fresse, sagte sie. Und beides brauche man derzeit doch für andere Dinge.

Schließlich stecke die deutsche Volkswirtschaft in einer handfesten Krise, das bekomme auch die Commerzbank in Gesprächen mit Kunden zu spüren. Dekarbonisierung, Digitalisierung und die Demographie erforderten schon heute im deutschen Mittelstand eine enorme Kraftanstrengung, nun komme mit der Deglobalisierung ein viertes "D" hinzu. "Wir sehen im Mittelstand einen enormen Investitions- und auch Beratungsbedarf", so Orlopp, zum Beispiel bei der Bewältigung von Berichtspflichten zur Erfüllung von Umwelt- und anderen Nachhaltigkeitskriterien. Ein einzelnes "D", glaubt die Commerzbank-Chefin, würde schon reichen, um die Unternehmen des Landes zu beschäftigen, aber "alle vier ziehen einen enormen Investitionsbedarf nach sich".

Um die Investitions- und damit auch die Innovations- und Wachstumskraft in Europa zu stärken, müsse ein einheitlicher europäischer Kapitalmarkt geschaffen werden, meint Christian Sewing. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank hat kürzlich gefordert, nach der US-Wahl und dem Ampel-Aus brauche Deutschland einen Neustart, außerdem einen Wachstumspakt. Die nächsten zehn bis 15 Jahre würden die herausforderndsten seit der Wende, glaubt Sewing, es gehe bei Digitalisierung, Demographie, Deregulierung und Deglobalisierung um enorme Summen, die benötigt würden, um die deutsche Wirtschaft zu transformieren. Doch sei es für Investoren ein Unterschied, ob sie einen einheitlichen Kapitalmarkt vorfänden wie in den USA oder eben einen Flickenteppich, bei dem etwa bei der Regulierung in jedem Land Europas etwas anderes gelte. "Das versteht kein Investor mehr."

Neue Leistungsorientierung und mehr Arbeitszeit gewünscht

Europa muss sich zusammenraufen, das war wohl die zentrale Botschaft bei der Eröffnungsdiskussion der Finanzkonferenz. Doch Sewing wie auch die anderen Bankchefs haben nicht nur Wünsche an die Politik, wenngleich ihnen die Instabilität in Berlin gegen den Strich geht, wie sie unisono hervorhoben. Auch die Gesellschaft müsse umdenken, "die goldene Dekade ist vorbei, wir brauchen wieder eine andere Haltung zum Thema Arbeit", fordert Sewing. Eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich sei nicht zeitgemäß.

Auch DZ-Bank-Chef Cornelius Riese sieht nicht nur die Politik, sondern die gesamte Gesellschaft in der Pflicht, wenn der Weg zurück auf den Wachstumspfad gelingen soll. "Wir müssen umparken im Kopf", findet er und wünscht sich eine neue Leistungsorientierung. Deutschland sei bei der Arbeitszeit "ganz hinten", deshalb müssten die Deutschen schlichtweg mehr arbeiten, ergänzte der Chef der Landesbank Hessen-Thüringen, Thomas Groß. Doch weil das Land in der Vergangenheit viele Herausforderungen bewältigt habe, gebe es immerhin Grund zum Optimismus, sagte Cornelius Riese.

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Eine Herausforderung war wohl auch der Kauf der Privatkundensparte der HSBC Deutschland durch die deutsche Tochter der französischen BNP Paribas im September. Deren Deutschlandchef Lutz Diederichs sagte am Montag, solche Ergänzungen zum eigenen Portfolio seien sowieso besser als etwaige Megafusionen. Bettina Orlopp dürfte bei diesem Satz genau hingehört haben.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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