"Tax me if you can": Und was das für Folgen hat: Helge Schmidt zeigt am Staatstheater Wiesbaden "Unser Erbe: Tax me if you can" als Uraufführung im Kleinen Haus.

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Die filmische Hochstaplerbiografie mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle heißt "Catch me if you can". Auf sie spielt der Titel der Uraufführung "Unser Erbe: Tax me if you can" am Hessischen Staatstheater an. Auch dort geht es darum, wie man gut im Geschäft bleibt. "taxmenow" wiederum nennt sich ein Verein von Vermögenden, die sich für Steuergerechtigkeit einsetzen, mutmaßlich keine FDP-Wähler. Laut Programmheft ist das Vermögen in kaum einem anderen Land so ungleich verteilt wie in Deutschland, was sich auch in der Besteuerung von Erbschaften zeigt. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung wurden allein in den vergangenen vier Jahren rund 21 Milliarden Euro an möglichen Erbschaftsteuern nicht eingenommen.

Gründe genug für den Regisseur Helge Schmidt und sein Team, drängende Fragen zu stellen. Für ihr Rechercheprojekt haben sie Wissenschaftler, Aktivisten und Betroffene um Antworten gebeten. Die Statements flimmern über große Bildschirme auf der Bühne des Kleinen Hauses, darunter eines von Reinhard Ernst, Gründer einer Stiftung, die der Stadt Wiesbaden das nach ihm benannte Museum an der Wilhelmstraße geschenkt hat. Er musste sich seinen Reichtum erarbeiten, anderen fiel er in den Schoß, wie der Millionenerbin Stefanie Bremer, die höhere Steuern für Vermögende fordert.

Schmackhaft verabreichte bittere Pillen

Der Abend fügt sich wie geschmiert ins Spielzeitmotto "Was ist unser Erbe" und erhält durch den laufenden Bundestagswahlkampf noch mehr Brisanz. Zu Anfang erzählen Menschen, was sie geerbt und nicht geerbt haben und was sie gerne geerbt hätten. Lässig versammelt sich das fünfköpfige Ensemble auf der Bühne, alle in Jeans, Shirts und Turnschuhen. Dann prasselt es konkrete Beispiele, Zahlen werden heruntergerattert, ethische Fragen aufgeworfen, mal vom Ensemble, mal von den Gesprächspartnern. Bevor es brenzlig wird, ertönt Musik (Frieder Hepting), und alle singen ein nichtssagendes Lied, das Kirchentagsatmosphäre heraufbeschwört.

So geht es 90 informative Minuten lang, Häppchentheater in poppiger Verpackung (Ausstattung: Lani Tran-Duc), das den Finger in die Wunde einer reichen Stadt legt, auch wenn Wiesbaden selbst nur am Rande vorkommt. Szenenapplaus brandet auch nur einmal auf, nicht für eine der berechtigten Forderungen, sondern für die famose Schnellsprech-Einlage der Schauspielerin Sandrine Zenner. Schmackhaft verabreichte bittere Pillen. Das Ensemble singt, albert, persifliert und bindet sein dokumentarisches Material zu einer bunten Revue zusammen. Dabei steht nicht nur das monetäre, sondern auch das historische Erbe auf dem Spiel. Warnend erinnert der Abend an die Verstrickungen der wirtschaftlichen Elite in den Aufstieg der Nationalsozialisten. Mit Blick auf die Vereinigten Staaten kommt die Warnung zu spät. Parteispenden hierzulande werden ebenfalls kritisch unter die Lupe genommen. Schmidt ist bekannt für investigative Inszenierungen zu politischen Themen. Für seine Recherche zum entfesselten Finanzwesen in "Cum-Ex Papers" erhielt er 2019 den Theaterpreis Faust.

Preisverdächtig ist der neue Abend nicht, aber er wartet mit vielen Ungeheuerlichkeiten auf. Etwa damit, dass nach deutschem Erbrecht die Freibeträge bei der Schenkungsteuer alle zehn Jahre in voller Höhe ausgeschöpft werden dürfen oder dass im Schnitt jede Minute in Deutschland 500.000 Euro vererbt und vererbte Vermögen von mehr als 100 Millionen Euro nur mit durchschnittlich 0,2 Prozent besteuert werden.

"Eigentum verpflichtet" mehr als ein alter Spruch

Bevor man aus dem Ärger und dem Staunen nicht mehr rauskommt, schaltet der Abend zu einem anderen Thema, begleitet ein altes Ehepaar, das sich auf Helga Schuberts Buch "Der heutige Tag" stützt, in dem sie die Pflegejahre ihrer Ehe schildert. Diese Szenen, gespielt von Evelyn Faber und Martin Plass, wirken wie ein Fremdkörper, touchieren das Thema zwar, da es darin auch um die gerechte Verteilung von Pflegearbeit geht, doch sie fügen sich nicht organisch ins Ganze. Das gilt auch für manch lahmes Kabarett-Stückchen, das Snobs und Champagnerseligkeit vorführt.

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Viel anschaulicher und verspielter sind die Luftnummern von Franz Kemter mit Millionärsschnurrbart und Zylinder oder Felix Strüven als sich in der eigenen Argumentation verrenkende Bahlsen-Erbin. In seinen besten Momenten zeigt der kurzweilige Abend, dass es beim Thema Erben auch um den Erhalt unserer Demokratie geht und "Eigentum verpflichtet" mehr ist als ein alter Spruch. Am Ende löst sich auf der Bühne alles in glitzernde Wohlgefälligkeit auf. Die Party der "Erboligarchen" geht weiter.

Unser Erbe: Tax me if you can Staatstheater Wiesbaden, 21. November sowie 1., 15. und 18. Dezember   © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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