Fußball-EM bei UDP Mainz: UDP Mainz ist der älteste portugiesische Fußballverein in Deutschland. Während der EM vergewissern sich seine Mitglieder in ihrem Vereinsheim auch ihrer Wurzeln. Und sie zittern mit Cristiano Ronaldo, schreibt Alexandra Eisen.

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Welches ist die "südländischste Stadt Deutschlands"? Wenn es nach den Mitgliedern des Fußballvereins União Desportiva Portuguesa (UDP) 1969 geht, dann ist das ihre Heimatstadt Mainz. Man darf das für eine maßlose Übertreibung halten, selbst wenn die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt durchaus von sonnenverwöhnter Leichtigkeit und weinseliger Geselligkeit geprägt ist.

Wer aber über die Schwelle des UDP-Vereinsheims an der Mombacher Straße tritt, kann tatsächlich sehr tief ins portugiesische Leben eintauchen. Zumal an einem Abend, an dem die Nationalmannschaft Portugals im Achtelfinale der Fußballeuropameisterschaft gegen Slowenien spielt und dieses nach 120 torlosen Minuten im Elfmeterschießen gewinnt.

Paella-Pfanne, Grill und gekühltes Bier

Es wäre gewagt, diesen Ort am Rande der Mainzer Neustadt als idyllisch zu bezeichnen. Die Mombacher Straße ist eine gewachsene und gewagte Mischung aus Gebäuden vieler Epochen, aus Wohnen und Gewerbe, dahinter verläuft die große Gleisanlage des Hauptbahnhofs. Mittendrin liegt die UDP-Heimstatt samt Terrasse und Parkplatz, der den fußballverrückten Mainz-Portugiesen zum Achtelfinale als Public-Viewing-Zone dient.

Auf der in Rot und Grün getauchten Insel erwarten sechs große Fernseher, Paella-Pfanne, Grill und gekühltes Bier, wahlweise von den Konkurrenzmarken Sagres und Superbock, die Fans. Etwa 2000 Menschen portugiesischer Herkunft leben in Mainz, gut 200 sind an diesem Abend zu UDP gepilgert. "Es wären noch mehr da, wenn das Spiel nicht in Frankfurt stattfinden würde. Viele Portugiesen sind dort in der Fanzone", sagt Marcel da Silva, Mitbetreiber des Restaurants. Tatsächlich wurden dort Schals mit dem UDP-Schriftzug gesichtet .

Agostinho Domingues da Silva ist seit 20 Jahren Chef des Lokals, sein Schwiegersohn Marcel stieg vor zwölf Jahren mit ein. Eine Trennung zwischen Verein, Vereinsheim und Restaurant ist kaum möglich. Bis vor zwei Jahren war Agostinho Vorsitzender von UDP, dessen erste Mannschaft in der vergangenen Saison von der C- in die B-Klasse aufgestiegen ist, der als ältester ausländischer Fußballverein im Südwestdeutschen Fußballverband geführt wird und der älteste portugiesische Klub Deutschlands ist. "Aber Vorstand und Restaurant, das wurde mir dann doch zu viel", sagt der 62-Jährige, dessen Foto mit der Beschriftung "O Presidente" den Gastraum ziert.

Mit langem Haar und imposanten Koteletten

Es ist nicht das einzige Dekoelement in dem an Fußballdevotionalien reichen Innenleben des Vereinsheimes. Jeder Quadratzentimeter bis unter die Decke atmet Fußballleidenschaft. Hier wird die unverbrüchliche Liebe zur portugiesischen Nationalmannschaft im Allgemeinen sowie zu den größten Legenden Ronaldo, Eusébio oder Luís Figo im Besonderen zelebriert. Auch die fünfeinhalb Jahrzehnte UDP-Geschichte lassen sich an Mannschaftsfotos und Pokalen ablesen.

Ein Bild zeigt das Team Mitte der 1970er-Jahre: mit langem Haar, imposanten Koteletten, auf einem Hartplatz hinter der Industrieanlage der Chemiefabrik Kalle in Wiesbaden-Biebrich. "Viele Portugiesen aus Mainz haben dort gearbeitet, ich habe dort auch meine Ausbildung gemacht und meine Frau kennengelernt", erzählt da Silva, der 1974 mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen und viele Jahre für UDP gekickt hat.

Der Verein ist seit Bestehen Anlaufstelle für die portugiesischstämmige Gemeinschaft. In den Anfangsjahren kam UDP in den Räumen der portugiesischen Mission in der Innenstadt unter. Seitdem sei UDP "ein Stück Portugal in Mainz", sagt da Silva. Und da geht es nicht nur um Fußball. Tanz- und Musikgruppen treffen sich in der Halle über dem Vereinsheim. Und wenn Fado-Konzerte stattfinden, ist Platz für diesen Teil der Volksseele mit melancholischen Liedern über Heimweh, Abschied und Trauer.

Völkerverständigung durch Fußball und Essen

Integration und Ankommen sind auch eng verknüpft mit dem Austausch mit Einheimischen. Dank des Restaurants gelang auch dies. Die Mainzer entdeckten ihre Begeisterung für den Dreiklang von Fußball, Folklore und iberischen Genüssen bereits im ersten urigen Lokal, das in einem schmucklosen Hinterhof beheimatet war. Den Knoblauchgeruch hatte man schon lange vor der Eingangstür in der Nase, Gambas, Sardinen und Stockfisch mit Kartoffeln galten nicht nur als Geheimtipp, sondern waren ein sicherer Weg zur Völkerverständigung, der sich UDP bis heute verschrieben hat.

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Schon am ersten Standort zierten Pokale und Fanschals den Vereinsraum. In der Ecke stand der unvermeidliche Fernsehapparat, vor dem sich die Portugiesen bei Fußballübertragungen scharten. Der Begriff "Public Viewing" war da noch nicht geboren. Da Silva muss lachen, wenn er an die Anfänge zurückdenkt und heute auf die sechs großen Flachbildschirme blickt.

Während das Achtelfinale vor den gut gefüllten Stuhlreihen über die Bildschirme flimmert, ist nicht ganz sicher, ob die Seleção mit ihrem Superstar CR7 den Fans Freude bereitet. So glanzlos hatten sie sich das nicht vorgestellt, der Jubel ist verhalten. Flehende Blicke richtet nicht nur Ronaldo zum Himmel. Die großen Emotionen heben sich die Fans für dessen verschossenen Elfmeter und das Elfmeterschießen auf. Als der überragende portugiesische Torhüter die UDP-Gäste kurz vor Mitternacht erlöst und der Schlusspfiff im Jubel untergeht, ist das zähe Spiel vergessen. Die Nimmermüden starten den Autokorso. Agostinho und Marcel da Silva können mit ihrem Team ans Aufräumen gehen. "Bis Freitag gegen Frankreich", sagen die deutschen und portugiesischen Stammgäste und verabschieden sich mit Handschlag beim Chef.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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