Ukrainische Flüchtlinge: Schokolade, Brühwürfel, Kerzen: Viele geflüchtete Ukrainer schicken gerade Weihnachtspakete in ihre Heimat. Ein Besuch in der Frankfurter Filiale der ukrainischen Nova Post.

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Weil das Paket am Ende nicht mehr als zehn Kilogramm wiegen darf, probiert Oksana einiges aus. Wenn sie die Gummibärchen wieder aus dem Pappkarton nimmt und dafür die Schokoweihnachtsmänner hineinlegt, bleibt sie dann unter der Grenze? Oder legt sie besser die Brühwürfel-Pakete und den Senf beiseite und dafür die Tüte Bonbons hinein? Wieder zeigt die Waage mehr als zehn Kilo. Wieder greift Oksana in den schwarzen Hartschalenkoffer voller Süßigkeiten, Konserven und Hygieneartikel und versucht etwas Neues. Auf dem Display über ihrem Kopf ist in knallroter Schrift zu lesen: "Schicke deinen Liebsten ein wenig Freude." Wenn es nur so einfach wäre.

An Oksanas Schwester geht das Paket. Sie ist in Kiew geblieben, während Oksana nach Deutschland geflohen ist. Eine Weihnachtsfreude will sie ihr mit den Geschenken machen, in der ukrainischen Heimat soll die Schwester einiges davon auch noch weitergeben, an die Tante und den Onkel. Ein Päckchen ins Kriegsgebiet: Um das zu verschicken, ist Oksana in den Nova-Post-Laden gekommen, eine Paketstation im Frankfurter Ostend. Große Glasfronten, nüchtern, funktional eingerichtet – und gut besucht.

"Wir haben jetzt Hauptsaison"

Nova Post, eigentlich: Nova Poshta, ist der größte Paketversender der Ukraine. Seit dem Kriegsbeginn hat das Unternehmen mehr und mehr Filialen auch anderswo in Europa aufgemacht – überall dort, wohin Ukrainer geflohen sind. Die erste deutsche Filiale wurde im Juli 2023 in Berlin eröffnet, das Frankfurter Geschäft gibt es seit Mitte Oktober 2023.

"Wir haben jetzt Hauptsaison", sagt Diana Mazepa, die die Frankfurter Nova-Post-Filiale leitet. Sie ist meist für die Frühschicht zuständig, ihr Kollege Yehor Poddubov kümmert sich um die Spätschicht. Außerdem gibt es noch einen Minijobber, der den beiden hilft.

Mazepa hat auch vor dem Krieg schon in Deutschland gearbeitet, in den Sommermonaten, auf der Ferieninsel Rügen. Dort hat sie gekellnert und gutes Geld verdient. Als ihr Chef bemerkte, dass sie viele Kontakte hatte, fragte er sie, ob sie sich um Nachschub fürs Personal kümmern könnte. Mazepa rief Bekannte und Freunde an, die bald darauf in den Restaurants des Mannes arbeiteten. "Die Leute aus der Ukraine sind sehr fleißig", sagt sie.

Im westukrainischen Lwiw, auf Deutsch Lemberg, hat Mazepa Journalismus studiert. Mit ihrem Freund, der als Ingenieur arbeitet, ist sie nach Wiesbaden gegangen, nach Frankfurt pendelt sie nun mit der Bahn. Sie mag den Job bei Nova Post, sie mag es, mit den Menschen zu sprechen und ihnen zu helfen. Oft entwickeln sich lange Gespräche mit den Kunden, oft erzählen sie Mazepa ihre Geschichten. "Die meisten Leute kennen uns gut", sagt sie.

60 große Pakete in die Ukraine – an einem Tag

Jetzt im Advent sei der Laden eigentlich immer voll. Vergangene Woche hätten sie allein am Samstag 60 große Pakete in die Ukraine verschickt. Warum die Ukrainer vor allem den Nova-Post-Service nutzen? "Wir sind am schnellsten", sagt Mazepa. Vier oder fünf Tage dauere es, bis die Pakete im Kriegsgebiet ankämen. "Das schaffen die anderen nicht."

Vor allem Süßigkeiten werden nun in die Post gegeben. Aber auch andere Lebensmittel und Kosmetikartikel. Und Taschenlampen. "Wegen der vielen Stromausfälle", sagt Mazepa. Generatoren könnten auch verschickt werden, sogar zollfrei. Zurzeit kämen auch viele Deutsche in die Nova-Post-Filiale, um Weihnachtspäckchen in die Ukraine zu versenden. "Das sind meist Familien, die sich um Flüchtlinge gekümmert haben, die mittlerweile zurückgekehrt sind", sagt Mazepa.

Doch der Postverkehr geht auch in die andere Richtung. Vorhin war ein Mann da, der einen in der Ukraine bestellten Laptop abgeholt hat. Andere ordern Mode aus ihrem Heimatland. Und auch Diana Mazepa selbst lässt sich Pakete schicken. Als sie nach Deutschland geflüchtet ist, konnte sie nur wenig Gepäck mitnehmen. Nun senden Verwandte aus Lwiw ihr ab und zu Kleidung. "Das ist billiger, als wenn ich hier etwas Neues kaufe."

Mazepas Großeltern, ihre Mutter und ihre Schwester sind in der Ukraine geblieben. Lemberg werde zum Glück seltener als andere Städte angegriffen, sagt sie, doch als vor Kurzem bei einem Luftangriff sieben Menschen gestorben seien, sei der Schock groß gewesen. Vor allem das Schicksal einer Familie habe viele erschüttert: Eine Rakete tötete eine Mutter und ihre drei Töchter, nur der Vater überlebte. Schwer verletzt kam er zur Beerdigung.

Der Mitarbeiter vermisst seinen Vater aus Charkiw

Mazepas Kollege Yehor Poddubov stammt aus Charkiw. Er macht sich große Sorgen um seinen Vater. "Jeden Tag gibt es Bombenangriffe", sagt er auf Englisch. "Es ist hart, wenn du deine Eltern so lange nicht siehst." Eine Zeit lang hat er in Berlin gelebt, dann gab ein Freund ihm den Tipp, nach Frankfurt zu ziehen. Er ist froh, dass er die Arbeitsstelle bei Nova Post gefunden hat. Auf dem sozialen Netzwerk Facebook hatte er erfahren, dass für die Frankfurter Filiale noch ein Mitarbeiter gesucht wird. "Es ist mir wichtig, mein eigenes Geld zu verdienen", sagt er. "Ich will dem Land, das mich aufgenommen hat, nicht auf der Tasche liegen."

Jetzt kommt Olya in die Filiale, auch sie will ein Paket mit Geschenken an ihre Verwandten schicken. Die Familie lebt in der Stadt Nischyn im Norden der Ukraine. Auch Olya packt viel Süßes in ihren Karton, aber auch ein Plastikspielzeug für Katzen. "Das ist für meine beiden Katzen, die ich zu Hause lassen musste", erklärt sie. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Kellnerin in einem China-Restaurant. Olya hofft, dass sie im April oder Mai einmal wieder für ein paar Tage in die Ukraine reisen kann, um ihre Familie zu treffen.

Anastasiia hat in ihrem Paket keine Weihnachtsgeschenke. In ihrem Karton liegen große weiße Kerzen, die sie zu ihren Eltern schickt, die in einem Dorf an der ukrainischen Grenze zu Polen leben. Seit 2013 schon ist Anastasiia in Frankfurt, sie arbeitet als Lehrerin an einer Grundschule, engagiert sich in ihrer Kirchengemeinde in Frankfurt-Sachsenhausen. Dreimal schon ist sie seit Kriegsbeginn in die Ukraine gereist. "Dort fühlt man sich besser als hier", sagt sie. "Dort haben die Menschen keine Angst mehr."

"Wenigstens hat mein Bruder nicht lange gelitten"

Die Kerzen, die sie ihren Eltern schickt, sollen am Grab ihres Bruders stehen. Mit einem Zittern in der Stimme erzählt Anastasiia von ihm: 42 Jahre war er alt, Yogalehrer, mit Begeisterung hat er Musik gespielt, mit Krebskranken gearbeitet. Für Patienten im Endstadium hat er Meditationen entwickelt, um ihnen das Sterben zu erleichtern. Ihr Bruder hatte große Pläne und wollte einen Ort aufbauen, an dem er mit im Krieg Verwundeten arbeiten wollte.

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Daraus wird nun nichts mehr. Anastasiias Bruder, der als Soldat im Krieg kämpfte, wurde vor Kurzem bei einem russischen Drohnenangriff getötet. "Wenigstens hat er nicht lange gelitten", sagt seine Schwester.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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