In enttäuschte Gesichter blickte Ute Stolz, als sie die Versammlung der Kaller CDU zur Aufstellung des Bürgermeisterkandidaten eröffnete, die am Freitagabend im Saal Gier stattfand.

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Denn eines fehlte der stellvertretenden Gemeindeverbandsvorsitzenden zu einer formvollendeten Veranstaltung: der designierte Kandidat und Kaller CDU-Parteichef Michael Kehren.

Kehren hatte am Tag vorher eine Kehrtwendung vollzogen und sich von seinen Parteiämtern und der Bewerbung für das höchste Amt der Gemeinde zurückgezogen. So vertagte sich letztlich die Versammlung ohne konkretes Ergebnis.

Ute Stolz zitierte aus Michael Kehrens offizieller Mitteilung

Die Nachricht hatte bei den rund 30 Anwesenden vor allem eines ausgelöst: Ratlosigkeit. Antworten auf die vielen Fragen, die sie hatten, konnte auch Stolz nicht liefern. "Ich habe noch nicht mit ihm geredet", bekannte sie und musste sich somit auf die offizielle Erklärung beschränken, die Kehren rund 28 Stunden vor seiner eigentlich geplanten Ernennung zum Bürgermeisterkandidaten in Kall veröffentlicht hatte. Sie hoffe, dass er sich in der nächsten Zeit noch persönlich erkläre. Sie habe stets im engen Kontakt mit ihm gestanden, sagte Stolz.

Teilweise seien es persönliche Gründe gewesen, die Kehren angeführt habe, zitierte sie aus der offiziellen Mitteilung, die der bisherige Vorsitzende des CDU-Gemeindeverbandes am Vortag übermittelt hatte. "Er hat sich die Dinge anders vorgestellt", schilderte sie ihre Wahrnehmung. Am Ende des Tages aber sei die Entscheidung im Bundestag zur Entschließung in der Asylfrage der Auslöser gewesen, bei der die AfD die notwendige Mehrheit für einen Antrag der CDU gebracht habe.

Die Situation ist, wie sie ist.

Ute Stolz, Vizeparteichef der CDU in Kall

Jetzt heiße es zwar "Krönchen richten und weitermachen", doch das sei schwer. "Die Situation ist, wie sie ist", zeigte Stolz sich fatalistisch. Die Kaller CDU habe einen guten Kandidaten und eine tolle Mannschaft gehabt. Doch nun seien mit Kehren auch einige Bewerber von der Reserveliste von der Fahne gegangen, die deshalb also neu besetzt werden müsse. Stolz bat um eine Vertagung der Tagesordnung, um Ruhe zur erneuten Kandidatenfindung zu haben. "Wenn wir jetzt wählen, kriegen wir die Liste nicht gefüllt", war sie sich sicher.

"Wir erleben auf Bundesebene Sachen, die ich nicht für möglich gehalten hätte", bekannte Bert Spilles aus dem Vorstand des Gemeindeverbandes. Jetzt müsse Ruhe in die Situation gebracht werden. "Wir müssen wieder vor die Lage kommen", benannte er seine Erfahrung aus dem Rettungswesen.

Kreisparteichef Pfennings berichtete über ein Telefonat mit Kehren

Der CDU-Kreisvorsitzende Ingo Pfennings berichtete, er habe am Freitagmittag mit Kehren telefoniert. Der habe sich mit der Situation nicht wohlgefühlt. Auch habe er von zuhause Druck gekriegt. "Es wäre gut gewesen, wenn das vor zwei Wochen gewesen wäre", sagte Pfennings. Wer so ein Amt anstrebe, müsse Ruhe entwickeln, um schwierige Situation durchzustehen. "Ich glaube, es ist viel Mist passiert, man hätte vorher miteinander reden müssen", so der Kreisvorsitzende.

Es habe mehrere Gesprächsangebote gegeben, so Stolz, sie seien aber nicht angenommen worden. Kehren werde die Entscheidung nicht zurücknehmen. "Es wird ihm schwer fallen, einigen von uns gegenüberzutreten", vermutet sie.

Das ist keine Art und Weise, wenn man beim ersten Gegenwind einknickt.

Eine Versammlungsteilnehmerin

"Das ist keine Art und Weise, wenn man beim ersten Gegenwind einknickt", kritisierte eine Versammlungsteilnehmerin Kehrens Entschluss. Wenn er so mit Problemen umgehe, wie wäre es dann gewesen, wenn ein wirkliches Problem aufgetreten wäre, machte sie ihrer Enttäuschung Luft. "Es ist keine Art, jetzt hier nicht zu stehen", schimpfte sie.

"Man kann das alles noch nicht wahrhaben, ein Mann, der so engagiert von Tür zu Tür gegangen ist", äußerte ein Teilnehmer seinen Frust und seine Enttäuschung. Er habe große Hoffnungen in Kehren gesetzt. "Wir wissen nicht, woher die innere Zerrissenheit kommt, aber wir dürfen Enttäuschung äußern", sagte er.

Ein CDU-Mitglied brachte den amtierenden Kaller Bürgermeister ins Gespräch

Ob nicht doch der aktuelle Bürgermeister Hermann-Josef Esser als Kandidat aufgestellt werden könne, fragte ein Mitglied. "Gib uns etwas Zeit", antwortete Stolz. "Es gibt Grundsatzbeschlüsse des Vorstandes zum Bürgermeister, die werden wir überdenken", kündigte Spilles an. Der Souverän sei die Aufstellungsversammlung, aber der Vorstand werde versuchen, eine Richtung zu finden. Kall habe den Gemeindehaushalt vor der Brust mit einem Defizit von 6,5 Millionen Euro, die erst einmal ausgeglichen werden müssten.

Die Zusammenarbeit zwischen Ratsfraktion und Bürgermeister sei nicht immer einfach gewesen, sagte Stolz auf Nachfrage. Deshalb habe sich der Vorstand hinter Kehren gestellt. Mehr wolle sie dazu nicht sagen, es sei schon so viel Porzellan zerschlagen worden.

Einstimmig vertagte sich die Aufstellungsversammlung ohne Ergebnis bis auf weiteres. Das sei auch ohne Probleme möglich, schließlich sei Zeit bis Juni, so Stolz.

Bürgermeister Hermann-Josef Esser tritt nicht für die CDU an

Hermann-Josef Esser (CDU), seit 2017 Bürgermeister der Gemeinde Kall, wiederholte nach dem Rücktritt von Michael Kehren seine kategorische Absage: Für ihn habe sich die Situation nicht verändert, sagte Esser auf Nachfrage dieser Redaktion.

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"Ich trete nicht wieder für die CDU an, das bleibt so, wie ich es im Herbst gesagt habe. Alles andere ist noch offen", sagte er auf die Frage, ob er denn trotzdem wieder für das Bürgermeisteramt kandidieren werde.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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