Das passt: Als Sevgi Hardt und Sevim Kaya Müller letzte Klarheit darüber haben wollten, wie ihr Unternehmen aussehen soll, setzten sie sich ins Auto und fuhren nach Fethiye an die türkische Ägäisküste.
Vier Tage nahmen die beiden Schwestern sich – zum Fahren, vor allem zum Reden. Danach sahen sie klarer, wie eine Agentur aussehen muss, die Fachkräfte aus der Türkei nach Deutschland vermittelt.
"3W Solutions" residiert in einem Hof an der Heinrich-Lübke-Straße in Schlebusch. 3W? "Das steht für Worldwide Work", erklärt Hardt. Aber der Name sei zu lang gewesen. Also kurz 3W. Allzu viel Platz brauchen die beiden Frauen auch nicht; insgesamt ist das Team sechs Personen stark. Zwei arbeiten in der Türkei, berichtet Sevgi Hardt. Eine Recruiterin und eine Helferin.
Der Vater kam als Gastarbeiter nach Leverkusen
Die beiden Schwestern haben Einwanderung selbst erlebt. Ihr Vater ist 1962 aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Eine Arbeitsstelle fand er bei Imbau, "als Eisenbieger", berichtet Hardt. Sie selbst zog es aus Deutschland mehrmals weg: zuerst nach Istanbul, dann nach Bogotá, danach wieder nach Istanbul. 2021 kam sie zurück nach Leverkusen. Insofern kann sie sich auch selbst als Arbeitsmigrantin fühlen.
Das hilft zu verstehen, was man braucht in einem fremden Land. Wobei sie ihre Familie als Anker hatten. Das sei bei den Menschen, die sie aus der Türkei nach Deutschland vermitteln, in der Regel nicht so. Die machen fast immer einen kompletten Neustart. Brauchen eine Wohnung, vor allem aber Papiere.
Die bekommt man – je nach Amt – mal mehr, mal weniger gut, weiß Sevim Kaya Müller. Sie war früher bei der Agentur für Arbeit beschäftigt. Das prädestiniert sie, "sich mit den Behörden rumzuschlagen", sagt sie mit einem Lächeln. Vier bis sechs Monate Vorarbeit seien notwendig, bis überhaupt ein Match gefunden ist zwischen einem Arbeitgeber in Deutschland und einer Fachkraft aus der Türkei.
Ein Fachsprachkurs für die Gesundheitsbranche
Denn obwohl es vor allem in der Gesundheitsbranche einen enormen Bedarf gibt, ist die Vermittlung nicht trivial. Vor allem die Sprachbarriere ist ein Thema. Die muss als erste angegangen werden. Dazu hat 3W einen Fachsprachkursus entwickelt, online. Pfleger und Physiotherapeuten "müssen die Patienten schließlich verstehen", betont Hardt. Dazu reiche das standardmäßig von Arbeitsmigranten geforderte B-2-Niveau nicht. Deutsch lernen gehöre unbedingt zur Vorbereitung daheim, sagt die Vermittlerin. "Wenn man erstmal hier in Deutschland ist, kommt man nicht mehr dazu." Das ist eine Erfahrung. Zu viel sei zu machen, wenn man hier ist: "Die Unterschiede sind schon Wahnsinn."
Um sie zu überbrücken, haben die Macherinnen von 3W ein "Willkommenshandbuch" geschrieben. Was steht drin? Unter anderem, wie in Deutschland der Müll getrennt wird, natürlich.
Hat man die Fibel erst einmal in der Hand, ist schon sehr viel passiert. Die Vermittler haben den passenden Arbeitgeber gefunden, ein Visum besorgt – was für Türken kompliziert sein kann –, die Anerkennung des Berufsabschlusses bei den Behörden erwirkt. Eine Krankenkasse musste gefunden werden, was auf türkische Zuwanderer ebenfalls befremdlich wirke, sagt Sevgi Hardt: Mehr als 90 Kassen in Deutschland – "in der Türkei gibt es genau eine".
Nicht jede Behörde arbeitet schnell
Noch komplizierter sei oft die Wohnungssuche. Und auch nicht jede Behörde arbeite so schnell, wie man es sich wünschen könne. Dazu komme die Überprüfung der beruflichen Qualifikation. Für Physiotherapeuten und Pflegefachkräfte – das sind vier von fünf Vermittelten bei 3W – ist das obligatorisch. Bei manchen Institutionen geht das nach wie vor nur auf Deutsch: etwa bei der Industrie- und Handelskammer, die Lkw-Führerscheine checkt. Ab Herbst könnte sich das ändern, hoffen Hardt und Müller.
Einmal angekommen, ist die Betreuung durch die 3W nicht zu Ende: Der erste Einkauf wird erledigt; natürlich werden die Zuwanderer am Flughafen abgeholt, danach reißt der Kontakt nicht ab. Es gehe schließlich darum, "dass die Leute hier eine Heimat finden".
Ihr Rezept soll nicht nur in der Gesundheitsbranche funktionieren, sagen Hardt und Müller. Tatsächlich haben sie bereits Köche und Servicekräfte an die Gastronomie vermittelt. Zu den Kunden gehört zum Beispiel das Phantasialand. Vermittlungen sind auch im Handwerk möglich: 3W hat Kontakt zu Elektrikern, Zerspanungstechnikern und Bauingenieuren.
Einen Plan haben Hardt und Müller auch mit der Kölner Fahrschule Faix. Dort werden vor allem Lkw- und Busfahrer ausgebildet, an denen es längst mangelt: Wupsi-Chef Marc Kretkowski kann ein Lied davon singen. Auch in dieser Branche könnten Zuwanderer aus der Türkei helfen.
Dass der Weg nach Deutschland für Fachkräfte, die nicht aus einem EU-Staat kommen, lang und gewunden sein kann, wurde erkannt. Die 2020 bei der Kölner Bezirksregierung angesiedelte Zentralstelle für Fachkräfteeinwanderung soll Unternehmen helfen, aufenthaltsrechtliche Fragen zu klären. Das "beschleunigte Fachkräfteverfahren" dort ist auch für die Agentur 3W extrem wichtig. In Schlebusch ist man froh, dass die ZFE im Lauf des vorigen Jahres um 24 neue Stellen aufgestockt wurde. Das habe geholfen, einen "Rückstau bei den Anträgen, der durch ein deutlich erhöhtes Aufkommen nach Ende der coronabedingten Einreisehindernisse entstanden war", abzubauen, heißt es in einer Erklärung.
Inzwischen könne man Anträge "meist tagesaktuell, zumindest aber immer wochenaktuell" angehen. Bis Ende November 2024 seien 4041 Anträge im beschleunigten Fachkräfteverfahren bei der ZFE gestellt worden, heißt es weiter. Darüber hinaus seien der Zentralstelle von den jeweiligen Auslandsvertretungen bis Ende November 33.588 Visaverfahren zugeleitet worden. Davon seien 1974 Verfahren zustimmungspflichtig gewesen. Im gesamten Jahr 2023 verzeichnete die ZFE 34.626 neue Visaverfahren sowie Anträge im beschleunigten Fachkräfteverfahren, 2022 mit insgesamt 30.835 neu eingegangenen Verfahren und Anträgen deutlich weniger.
Integrationsministerin Josefine Paul sagt: "Wir sehen engagierte Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, die dringend Fachkräfte brauchen – und wir sehen engagierte Menschen, die aus dem Ausland mit Kompetenzen zu uns kommen können. Die Prozesse hier zu vereinfachen und zu beschleunigen, ist ein zentrales Ziel der Landesregierung." Sevgi Hardt und Sevim Kaya Müller hören das gerne. © Kölner Stadt-Anzeiger
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