Prof. Dr. Mathias Wirth ist evangelischer Theologe. Der Kölner ist Direktor des Instituts für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern und Inhaber des Lehrstuhls für Theologische Ethik.

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Im feierlichen Gottesdienst zur Amtseinführung Donald Trumps hat Mariann Edgar Budde als Bischöfin der Episkopalkirche in der Diözese Washington und damit als Vertreterin einer der großen protestantischen Gemeinschaften in den USA eine politische Predigt in Anwesenheit des neuen Präsidenten gehalten. Sie hat den Mut aufgebracht, Hassthemen rechter Politik wie Migration, sozio-ökonomische und kulturelle Diversität, aber auch Transidentität bei Kindern anzusprechen und die Schutzpflichten des Staates und seiner Repräsentanten zu unterstreichen.

Damit markierte Budde ein offensichtliches Manko populistischer Politik, deren Gerechtigkeitsansprüche willkürlich sind, wenn sie nicht im Kern für alle Menschen gelten. Was nur für Privilegierte gilt, gilt eben nicht um seiner selbst willen. Gerechtigkeit und Gleichheit aller Menschen als Kern politischer Ethik sind stets gefährdet. Dies in einer Predigt einzuschärfen, war zwar ein Affront gegen Trumps Rhetorik und Politik, aber nicht im Sinne einer einseitigen Schelte durch eine vermeintlich links-christliche Ideologie. Es geht hier um nicht weniger als um den Status des Individuums und um die Gefahr seiner tief gehenden Beschädigung.

Neue US-Regierung mit in Teilen menschenverachtender Agenda

Das gesamte neue US-Establishment vor sich, das sich anschickt, eine in Teilen menschenverachtende Agenda zur Regierungspolitik zu machen, setzte Bischöfin Budde einen Gegenakzent: amtlich und feierlich, dennoch fast leise und vermittelnd, ohne sich im Ungefähren zu verlieren. Seitdem wird die couragierte Theologin gefeiert und angefeindet. Den Inhalt und den Ton der Hasstiraden geben Trump und seine Gefolgsleute vor.

Die Angriffe beginnen mit einer äußerlichen Kritik der Predigt als wenig intelligent und langweilig. Vom Gegenteil kann sich jeder überzeugen, der Buddes Ansprache nachhört oder nachliest. Ihre Kritiker schrecken nicht zurück vor Verfemungen einer weiblich gelesenen Predigerin, deren angeblich artikulierter Hass gegen Trump gar mit Deportation quittiert werden soll. Dieser ständig wiederholte Ausdruck von Verachtung, auch für den moralischen und kulturellen Wertekanon der USA mit seinem dezidiert religiösen Fundament, mobilisiert eine Ideologie der Ausschließung zum Schutz von Privilegien.

Bischöfin wird für ihre Worte an Trump gefeiert und angefeindet

Doch was ist davon zu halten, dass ausgerechnet eine Kirchenvertreterin sich bei Trumps Amtseinführung zur Moralpredigt aufschwingt? Moralischen Kredit scheinen die christlichen Kirchen international verspielt zu haben. Dafür steht besonders ihr Umgang mit sexualisierter Gewalt, ihre offensichtlich gewordenen Autoritätsprobleme und ihre Empathiedefekte. Diese Mängel sind vielen Kirchenleitenden inzwischen bewusst. Damit ist, so scheint es, auch das Genre der politischen oder ethischen Predigt schwierig, wenn nicht fast unmöglich geworden. In dieser Erkenntnis liegt meines Erachtens ein Moment des Respekts vor denen, die im Raum der Kirchen Opfer einer sträflichen Missachtung von moralischen Mindeststandards geworden sind.

Religionen, auch das Christentum, nicht zuletzt wie Mariann Budde es dargestellt hat, verlieren aber etwas Wesentliches, wenn sie nur noch ein Binnenraum für fromme Gefühle, religiöses Erleben und vages Hoffen sind. Gewiss hat all das Bedeutung für das persönliche Leben vieler Menschen. Doch Glaube und Hoffnung haben zudem auch eine politisch-gesellschaftliche Logik. Religiös zu sein bedeutet in den meisten Religionen, dass Personen sich mit mehr oder weniger plausiblen Vorstellungen über ein gutes Leben auseinandersetzen. Hoffen bedeutet, politisch zu sein. Denn Hoffnung impliziert immer auch Kritik an den Zuständen, wie sie sind.

Glaube hat auch eine politisch-gesellschaftliche Logik

Vielleicht ist es übertrieben, Mariann Buddes Predigt mit der berühmten Rede Martin Luther Kings beim "Marsch auf Washington" 1963 zu vergleichen. Ein Vergleichspunkt könnte aber mit dem Format der Predigt gegeben sein. In einer Gesellschaft mit vielfältigen Bezügen zu kirchlichen Traditionen und Ausdrucksformen lässt das Genre Predigt die Formulierung eines Konsenses in moralischen Grundanliegen erwarten. Umgekehrt sind Hass und Häme, die Budde aus dem rechten politischen und konservativ-religiösen Lager entgegenschlagen, ein Indikator für die politische Bedeutung ihrer Predigt in Zeiten der Gefährdung basaler Formen menschlicher und ökologischer Berücksichtigung.

Der Punkt ist nun der: Welche andere Stimme, welche andere Institution wäre in der Lage gewesen, einem Präsidenten samt politischer und wirtschaftlicher Entourage eine Lektion in der Tugendethik zu erteilen, deren Missachtung mit verheerenden Folgen verbunden ist? Im Kern ging es Bischöfin Budde um klassische Themen der Ethik, die nach Bedingungen des guten Lebens ("Common good") für alle fragt. Tugendethische Empfehlungen mit christlicher Prägung sind Gemeinsinn, Verständnis für Unterschiede, Respekt vor Andersheit, Kompromissbereitschaft, Selbstrelativierung.

Vergleiche von Budde-Rede mit Martin Luther King

Diese Anforderungen kann die Kirche allerdings nur in der Arena des Politischen geltend machen, wenn sie sich selbst in ihrem institutionellen Handeln strikt darauf bezieht. Wie sehr eine große Zahl von Kirchenvertretern bis in die Gegenwart an den Maßstäben der eigenen Tugendethik scheitert, ist nicht allein wegen dieses Versagens und wegen der davon Betroffenen ein Problem, sondern es spielt Trump und seinen Claqueuren in die Hände, die so umso leichter Spott und Hohn über Kritiker und Kritikerinnen wie Bischöfin Budde ausgießen können.

Doch selbst in der Diskreditierung wird eines deutlich: Die Kirchen werden weiterhin als Autorität wahrgenommen. Der Gottesdienst zur Inauguration des US-Präsidenten der USA ist ein Beleg dafür.

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Zugleich aber wird Autorität in der Kirche mit einer harten Brechung konfrontiert: Jede menschliche Autorität ist vorläufig, nicht absolut, fehleranfällig, orientierungsbedürftig. Diese Art Autorität hat Bischöfin Budde eingebracht und damit Trump in die Schranken gewiesen, der seine Autorität auf die Vorsehung und auf Gott gründet. Auch hier gilt: Wessen Stimme, wenn nicht die Kirche, hat das Potenzial, einen solchen Politikstil der Hybris und übersteigerten Autorität infrage zu stellen? (Mathias Wirth)  © Kölner Stadt-Anzeiger

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