Eigentlich war in der Gesamtschule Reichshof bereits seit dem Herbst alles für eine Podiumsdiskussion vor der Bundestagswahl geplant.
Politiker aller Parteien sollten an einem Tisch sitzen und sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler stellen und damit zur politischen Meinungsbildung beitragen.
Damit habe man in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht, erinnert sich der kommissarische Schulleiter Jörg Schmoock. Es gab schon einen festen Termin im Frühjahr, die Einladungen waren bereits verschickt. Dann wurde der Wahltermin auf dem 23. Februar vorgezogen. "Wir haben dann versucht, die Podiumsdiskussion ebenfalls zu einem früheren Termin zu organisieren", sagt Schmoock.
Neuer Anlauf bei der Kommunalwahl
Dann kam über die Bezirksregierung das Schreiben von Schulministerin Dorothee Feller (CDU), in dem die Schulen auf ihre Neutralitätspflicht hingewiesen und aufgefordert wurden, das Abstandsgebot von sechs Wochen vor der Bundestagswahl für den Besuch von Politikern einzuhalten – so wurde es von den Schulen verstanden.
"Allerdings hatten bis dahin nur die Linke und BSW zugesagt, die großen Parteien hatten sich gar nicht geäußert. Deshalb hätten wir es ohnehin nicht hinbekommen", bedauert der Pädagoge. Jetzt wird in den Oberstufen diskutiert und für die Kommunalwahl im Herbst ein neuer Anlauf gemacht, die Politiker aufs Podium einzuladen.
Wolfgang Bosbach am Lindengymnasium in Gummersbach
Besuch aus der Politik hatte allerdings Mitte Januar und damit in der Karenzzeit das Gummersbacher Lindengymnasium: Wolfgang Bosbach, CDU-Politiker und frühere Bundestagsabgeordneter, referierte zum Thema Demokratieförderung und beantwortete Fragen zu Themen wie Rechtsruck, Extremismus und Gefahren für die Demokratie (unsere Zeitung berichtete). "Die Einladung ging bereits am 4. Oktober heraus, als der neue Wahltermin noch nicht fest stand und hatte mit der Bundestagswahl nichts zu tun", versichert Schulleiter Markus Niklas auf Nachfrage.
Auch das Schulministerium habe im Herbst Demokratieförderung als wichtiges Thema propagiert. Es habe sich auch niemand beschwert, auch von anderen Parteien habe es keine Reaktionen gegeben. Zur Vorbereitung auf die Wahl organisiert das Lindengymnasium wie viele andere Schulen eine "Juniorwahl": Dabei wird nach ausführlicher Vorbereitung im Unterricht eine "Wahl" mit echten Wahlzetteln, Wahlleitung, Kabine und Wahlurne organisiert und danach ausgewertet.
In der Gesamtschule Waldbröl verzichtet man wegen der Neutralitätspflicht auf eine Podiumsdiskussion vor der Bundestagswahl. Stattdessen soll ein Politquiz in Zusammenarbeit mit der Studiobühne Siegburg zur politischen Meinungsbildung beitragen, "mit Quizmaster im goldenen Anzug, aber ohne Vertreter der Parteien", informiert SV-Verbindungslehrer Andreas Dohm, der auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Schule zuständig ist. Darüber hinaus organisiert die Schülervertretung (SV) regelmäßig einen Gesprächskreis, in dem über aktuelle politische Themen diskutiert wird, und zwei Schülerinnen aus der 11. Klasse, die zu Respektcoaches ausgebildet werden, planen eine Podcast-Reihe.
Videoclip statt Podiumsauftritt an Schule in Nümbrecht
Im Homburgischen Gymnasium Nümbrecht (HGN) haben sich Lehrkräfte etwas Besonderes ausgedacht: Weil laut Schulleiter Thorgai Wilmsmann wegen der Kürze der Zeit keine Podiumsdiskussion möglich war, wurden Fragebogen an die Politiker verschickt und alle Parteien "mit einer Chance, über fünf Prozent zu kommen" wurden gebeten, in einem kurzen Videoclip auf drei Fragen zu ihrem Programm, die im Sozialwissenschaftskurs ausgearbeitet wurden, zu antworten.
Diese sollen dann im Unterricht gemeinsam ausgewertet werden. "Bisher fehlt aber noch die Rückmeldung von SPD, AfD und BSW", berichtet Schulleiter Thorgai Wilmsmann.
Junge Liberale Oberberg äußern sich
"Fassungslos" äußern sich die Jungen Liberalen Oberberg in einer Pressemitteilung über "die Weisung des Schulministeriums, nach der im Vorfeld der Bundestagswahl keine Podiumsdiskussionen stattfinden dürfen". In diesem Sinne war das Schreiben von Schulministerin Feller interpretiert worden.
"Die Entscheidung (...) zeugt nicht nur von Bevormundung von Schülerinnen und Schülern, sondern offenbart auch ein fragwürdiges Verständnis von demokratischer Bildung. Es ist unsere Verantwortung, den Schülerinnen und Schülern Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie informierte Entscheidungen treffen können. Die Schule sollte ein Ort sein, an dem sie lernen, wie demokratische Partizipation und Debatte funktionieren", schreibt das Mitglied des FDP-Kreisvorstands Jannik Yven Koers aus Wipperfürth.
Er fordert für die Jungen Liberalen das Schulministerium auf, die "restriktive Vorgabe zu überdenken und den Schulen mehr Freiraum zu geben, um vor den Wahlen informative und bildende Veranstaltungen zu ermöglichen und Schulen zur Durchführung von ausgewogenen Podiumsdiskussionen zu ermutigen." (ms)
NRW-Schulministerium reagiert auf Kritik
Das Schreiben von Schulministerin Dorothee Feller (CDU) hatte schnell weite Kritik ausgelöst. Das Ministerium hatte die Schulen über die Bezirksregierungen in einem Schreiben auf politische Neutralitätspflicht hingewiesen und die Schulen aufgefordert, das Abstandsgebot von sechs Wochen vor der Bundestagswahl für den Besuch von Politikern einzuhalten. Diese Frist ist wegen der bereits am 23. Februar stattfindenden Bundestagswahl aber nicht einhaltbar.
Viele Schulen hatten das Schreiben deshalb so interpretiert, dass Podiumsdiskussionen nicht mehr stattfinden dürfen. Feller reagierte auf diese Kritik. Ein solches Neutralitäts- und Abstandsgebot vor Wahlen sei seit Jahren die übliche Praxis, heißt es von Seiten des Schulministeriums. Ziel dabei sei, "jeglichen Anschein einer politischen Einflussnahme auf Schülerinnen und Schüler" zu vermeiden. Aber: Ein Verbot sei dies nicht, sondern vielmehr als Empfehlung zu verstehen. "Das Schulministerium begrüßt ausdrücklich, dass sich junge Menschen auch in der Schule intensiv mit den bevorstehenden Bundestagswahlen auseinandersetzen", heißt es vom Ministerium abschließend. (lth) © Kölner Stadt-Anzeiger
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