• Marcel Reif ist seit Jahrzehnten kritischer Beobachter der Bundesliga und des FC Bayern.
  • Im Interview mit unserer Redaktion spricht der Kult-Kommentator über Unstimmigkeiten zwischen Hansi Flick und Hasan Salihamidzic.
  • Außerdem verrät er seinen Bundestrainer-Kandidaten.
Ein Interview

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Herr Reif, wird Hansi Flick vom FC Bayern neuer Bundestrainer?

Marcel Reif (71): Nicht, ohne dass die Dinge beim FC Bayern geregelt wären. Wenn sie keinen Nachfolger finden, hat er einen gültigen Vertrag, auf den die Bayern hinweisen werden.

Flick wirkt nicht abgeneigt.

Weil er eine weitere Option hat. Sein Verhältnis zu Hasan Salihamidzic ist nicht das beste. Er hat sich schon in der Vergangenheit verabschiedet, wenn die Dinge nicht so liefen, wie er sich das vorgestellt hat (Sportdirektor beim DFB und bei 1899 Hoffenheim, d. Red.). Es hängt davon ab: Sind es Differenzen mit Salihamidzic, die sich seiner Ansicht nach nicht vernünftig lösen lassen?

"Was soll da noch kommen?"

Flick gilt als Familienmensch. Eben jene Familie lebt bei Heidelberg, von wo aus er früher zum DFB nach Frankfurt am Main gependelt ist. Ein Argument im millionenschweren Profi-Fußball?

Das klingt sehr romantisch und schön. Aber er ist Profi genug. Das lässt sich anders regeln. Nach den letzten eineinhalb Jahren kann ihm das aber schon mal durch den Kopf gehen. Er war mit den Bayern so erfolgreich. Was soll da noch kommen? Nach sechs Titeln in einer Saison? Das kann er ja nicht mehr toppen. Aber: Einen Dauerkonflikt mit dem FC Bayern kann sich der DFB nicht erlauben. Die Bayern wissen sich zu wehren.

Joachim Löw war für die Fußball-Basis nicht mehr greifbar. Wird zumindest kritisiert. Hansi Flick äußert sich auch mal polarisierend zur Coronakrise.

Flick ist kein verstockter Typ. Natürlich wäre er ein anderer Typ. Ich hatte den Eindruck, dass sich Löw auf dem Posten verbraucht hat. Löw ist in dem Job müde geworden. Es ist eine Befreiung für ihn. Flick wäre für den Bundestrainer-Posten ein Neuanfang.

"Julian Nagelsmann wird irgendwann Bayern-Trainer"

Weil ihm nachgesagt wird, er sei sehr empathisch?

Weil er einer ist, der mit Menschen kann. Er ist kein Schreihals. Aber er duckt sich auch nicht weg. Das würde eine neue Offenheit bedeuten. Alle in München loben ihn dafür, wie er die Kabine befriedet hat und die Mannschaft mitgenommen hat. Er ist ein sehr kommunikativer Typ.

Der FC Bayern müsste sich einen neuen Trainer suchen. Julian Nagelsmann bekräftigte, dass er bei RB Leipzig noch nicht fertig sei.

Deswegen ist es ja so schwierig. Nagelsmann ist aktuell keine Option. Der wird irgendwann mal Bayern-Trainer. Aber jetzt hat er einen Vertrag bei RB Leipzig, ist mit dem Klub oben angekommen. Es gäbe keinen Grund wegzulaufen. Das ist ein erfolgsversprechendes Projekt.

Der Rückstand der Leipziger auf die Bayern im Meisterduell ist indes angewachsen. Was fehlt RBL noch?

Erfahrung in dieser Höhenluft. In der Champions League war Liverpool cleverer (Leipzig verlor im Achtelfinale, d. Red.). Und an der einen oder anderen Stelle fehlt noch mehr Qualität. Früher sollten es ja im besten Fall immer Spieler aus der eigenen Akademie sein. Aber mittlerweile haben die Leipziger umgedacht, und holen sich den einen oder anderen Spieler, der sie stärker macht, von außerhalb dazu. Das passiert bei RB Leipzig jedoch mit viel Verstand.

"Der BVB musste Wellentäler durchschreiten"

Sodass die Leipziger selbst den Abgang von Dayot Upamecano zum FC Bayern kompensieren können?

Ja. Wenn sie es vorausschauend machen. Sie stehen nicht unter dem Druck wie Bayern, abliefern zu müssen. Wenn Leipzig nicht Meister wird, geht die Welt nicht unter. Wenn Bayern nicht Meister wird, ist das ein GAU. Deswegen können die Leipziger ruhiger arbeiten und mehr ins Risiko gehen, junge Spieler ausbilden. Die müssen nicht sofort die Champions League gewinnen.

Ist RB Leipzig mittlerweile sogar die neue Nummer zwei in Deutschland? Wo sehen Sie den BVB in dieser Gemengelage?

Der BVB musste Wellentäler durchschreiten, hatte den Trainerwechsel. Jetzt scheint sich die Mannschaft zu stabilisieren. Ein, zwei Mannschaften können dauerhaft Bayern-Jäger sein: Da gehört Dortmund dazu, und Leipzig hat sich dazu entwickelt.

Borussia Dortmund könnte derweil ein Problem bevorstehen, sollte Edin Terzic zu erfolgreich sein. Nächste Saison soll er wieder Co-Trainer werden, während der künftige Chef, Marco Rose, mit Gladbach taumelt.

Terzic macht das gut, aber er braucht als Cheftrainer noch Erfahrung. Rose geht durch schwere Zeiten in Gladbach. Sie werden das in Dortmund aber untereinander lösen. Dass Terzic irgendwann mal eine Nummer eins sein kann, daran gibt es keine Zweifel. Aber ja, ich schließe es nicht aus: Beim ersten Unentschieden werden viele bei der Konstellation Rose/Terzic fragen, warum Dortmund nicht einfach den Trainer tauscht.

Kritikern von "Lothar Matthäus fehlen Argumente"

Die nähere Zukunft des BVB wird insbesondere von Erling Haaland abhängen. Glauben Sie, dass der junge Norweger überhaupt noch zu halten ist?

Ich glaube, dass es sich Borussia Dortmund selbst in Corona-Zeiten leisten kann, einen solchen Spieler nicht nach einem Jahr abzugeben. Außer, in Barcelona wird wieder eigenes Geld gedruckt, oder in Madrid heißt es, koste es, was es wolle. Bei unmoralischen Angeboten können die Dortmunder nicht Nein sagen. Dennoch: Er ist zu wichtig, und im Spiel des BVB ist zu viel auf ihn abgestimmt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nächste Saison in Dortmund bleibt. Noch.

Die deutsche Nationalmannschaft wäre froh um einen Stürmer wie Erling Haaland. Den Bogen gespannt: Wer wird Bundestrainer, wenn nicht Flick?

Ralf Rangnick hat keine Chance. Da gibt es zu viele Widerstände im Verband. Und was man hört, tendiert er zu Schalke. Lothar Matthäus wäre sicher eine Option. Ich wüsste nicht, warum nicht. Allen, die dagegen sind, fehlen die Argumente. Er hat sich entwickelt. Was ich ganz spannend fände, wäre, Christian Streich zu fragen (Trainer SC Freiburg, d. Red.).

Warum?

Ich halte ihn für einen prima Kandidaten. Er ist ein Fußballfachmann, genießt ein hohes Ansehen, zeigt soziale Intelligenz. Er hat eine Art, die junge Spieler anspricht und jene, die ziemlich sicher zurückkommen: Thomas Müller und Mats Hummels. Das könnte drei, vier Jahre so gehen. Dann wäre Jürgen Klopp frei. Und damit die Lösung, auf die es langfristig hinausläuft.

Zur Person: Marcel Reif, Jahrgang 1949, wuchs in Kaiserslautern auf und spielte als Jugendlicher für den 1. FCK. Reif arbeitete ab 1972 journalistisch für das ZDF, zwischen 1984 und 1994 kommentierte er Fußball-Spiele für den öffentlich-rechtlichen Sender. Über RTL (bis 1999) ging es weiter zum Pay-TV-Sender Premiere, für den, und dessen Nachfolger Sky er jahrelang Champions-League-Spiele kommentierte. Heute ist Reif unter anderem Experte im "Doppelpass" von "Sport1".
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