Eigentlich ist es nicht die Sache des FC Bayern kurz vor einer Transferdeadline noch hektisch am Kader herumzubasteln. Doch in diesem Jahr ist einfach vieles anders. Und so war der deutsche Rekordmeister in diesem Jahr einer der fleißigsten Akteure kurz vor dem Ende der Sommer-Transferperiode. Mit Marc Roca, Douglas Costa, Eric Maxim Choupo-Moting und Bouna Sarr locken die Münchner gleich vier weitere Neuzugänge an die Isar.

Eine Kolumne
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Ein ungewöhnliches Vorgehen für den ansonsten eher solide und langfristig planenden Branchenprimus. Das Vorgehen unterstreicht, wie außergewöhnlich der Markt in Anbetracht der immer noch schwer abzusehenden Folgen der Corona-Pandemie auf den Fußball derzeit ist. Spätestens nach der 1:4-Niederlage gegen Hoffenheim vor etwas mehr als einer Woche muss auch den Münchner Bossen klar geworden sein, dass die Mannschaft dringend Verstärkung benötigt. Zuvor hatten Oliver Kahn und Aufsichtsratsmitglied Uli Hoeneß durchaus noch damit kokettiert, den Kader eher mit Spielern aus der eigenen Jugend aufzufüllen. Nun also doch die Entscheidung für gleich vier weitere Neuzugänge.

Bringen die vier Neuen den FC Bayern weiter? Ich habe mir alle Last-Minute-Transfers genauer angeschaut.

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Marc Roca (23): Der Alonso-Klon im zweiten Anlauf

Schon vor einem Jahr wurde Roca in München heiß diskutiert. Roca hatte gerade eine starke U21 Europameisterschaft absolviert und stand beim Sieg der Spanier im Finale in der Startelf. Der Gegner damals? Deutschland. Mit Alexander Nübel im Tor und Stefan Kuntz auf der Bank. Roca, der im zentralen Mittelfeld gemeinsam mit dem heutigen Leipziger Dani Olmo die Fäden zog, galt damals als einer der kommenden Stars im zentralen Mittelfeld. Der Transfer kam damals nicht zu Stande. Auch weil Espanyol Barcelona damals enorm hoch pokerte und eine enorme Ablöse aufrief.

Ein Jahr später ist das Bild ein völlig anderes. Espanyol wurde sang und klanglos Letzter der Primera División und Roca geht nun im zweiten Anlauf fast schon zum Schnäppchenpreis vom jetzigen Zweitligisten Espanyol nach München. Rund 10 Millionen Euro dürfte der Transfer im ersten Moment kosten. Weitere Bonuszahlungen können noch dazu kommen.

Roca ist ein klassischer 6er spanischer Schule. Beobachtet man sein Spiel, sind Parallelen zu Xabi Alonso oder Sergio Busquets nicht zu übersehen. Roca ist enorm zweikampfstark und mit 1,84m auch physisch sehr präsent. Gleichzeitig kann er das Spiel mit seinem präzisen linken Fuß von hinten raus gestalten. Lange Diagonalbälle, schnelle Doppelpässe ‒ Roca hat einiges in seinem Repertoire.

Für den FC Bayern macht der Transfer absolut Sinn. Roca kann eine Lücke schließen, die durch Thiagos Abgang entstanden ist. Beide interpretieren ihre Position etwas unterschiedlich, doch Roca kann trotzdem als direkter Ersatz für Thiago gesehen werden. Joshua Kimmich, der seit Monaten ohne Pause durchspielt, hat so endlich einen adäquaten Ersatz an seiner Seite. Grundsätzlich können beide auch zusammenspielen, während Leon Goretzka und Corentin Tolisso die etwas offensivere Position im zentralen Mittelfeld einnehmen.

Für Roca ist der FC Bayern eine riesige Chance, sich nach einem verkorksten Jahr bei einem Top-Klub zu rehabilitieren. Ein kluger Transfer der Münchner, der sofort weiterhilft.

Eric Maxim Choupo-Moting (31): Wandervogel und Lewandowski-Backup

HSV, Nürnberg, Mainz, Schalke, Stoke, Paris Saint-Germain ‒ und nun der FC Bayern. Die Karriere von Eric Maxim Choupo-Moting ist alles andere als linear und gewöhnlich. Noch vor drei Jahren hätte man es wohl eher für einen Witz gehalten, dass "Choupo" im Jahr 2020 in einem Champions League-Finale spielen oder im Herbst seiner Karriere zum FC Bayern wechseln würde. Nun ist genau das Realität. Der groß gewachsene Offensivallrounder ist ein solider Backup für Robert Lewandowski, der mit seinen vier Treffern gegen Hertha am Sonntag erneut seine Ausnahmestellung unterstrich.

Choupo-Moting ist sehr beweglich, dribbelstark und weicht gern aus dem Zentrum auf die Flügelpositionen aus. Der Nationalspieler Kameruns kann so bei Bedarf auch neben Lewandowski agieren, wenn es zum Beispiel darum geht einen Rückstand aufzuholen. Als Joker ist der 31-Jährige eine solide Ergänzung und kann so Lewandowski Pausen ermöglichen. Joshua Zirkzee (19) könnte nun noch verliehen werden. In den Niederlanden schließt das Transferfenster erst am Dienstag.

Douglas Costa (30): Ein ungewöhnlicher Rückkehrer

Sein Name war wahrscheinlich die größte Überraschung der Münchner Transfer-Schlussoffensive. Douglas Costa wurde 2017 nach zwei wechselhaften Jahren relativ unehrenhaft aus München verabschiedet. "Costa hat nicht funktioniert, weil er ein ziemlicher Söldner war, der uns charakterlich nicht gefallen hat", sagte Uli Hoeneß im August 2017 im Interview mit der Frankenpost.

Nicht nur deshalb kommt die Rückkehr des Brasilianers aus Leihbasis überraschend. Gut möglich, dass die Bayern nach der Verletzung von Leroy Sané zum Saisonstart auf Nummer sicher gehen wollten und deshalb einen weiteren Flügelspieler verpflichteten. Costa übernimmt so die Rolle von Ivan Perisic, der im Vorjahr ebenfalls auf Leihbasis eine passable Rolle als Joker spielte.

Costa ist als Tempodribbler mit starkem Schuss bekannt. Seine Entscheidungsfindung in Tornähe ließ in seiner Zeit in München zu wünschen übrig. Zu viele überhastete Abschlüsse, zu viele ungenaue Flanken prägten sein Spiel. Bei Juventus Turin war er nach einem überragenden ersten Jahr mit 16 Torbeteiligungen in der Serie A zuletzt zwei Jahre eher Ergänzungsspieler. Hinzu kamen eine Reihe von Muskelverletzungen, die ihm zu schaffen machten.

Costa, der auf beiden Flügelpositionen einsetzbar ist, kann mit überraschenden Aktionen und schnellen Diagonalläufen sicherlich ein zusätzliches Element in Bayerns Offensivspiel bringen. Gleichzeitig muss er sich in das enorm laufintensive Pressing der Münchner einpassen. Anders als der ebenfalls diskutierte Callum Hudson-Odoi von FC Chelsea hat er als Ü30-Spieler wohl keine langfristige Perspektive in München. Durch die Leihe geht der FC Bayern hier auch kein großes Risiko. Trotzdem ist es der Transfer mit den größten Fragezeichen, zumal mit Alphonso Davies und Jamal Musiala zwei hochtalentierte Alternativen für den offensiven Flügel in den eigenen Reihen bereit gestanden hätten.

Bouna Sarr (28): Endlich ein Vertreter für Pavard

Mit dem 28-jährigen Franzosen Bouna Sarr schließt der FC Bayern die vielleicht größte Lücke im Kader. Mit Sarr hat der FC Bayern nun endlich einen gelernten Rechtsverteidiger als Alternative zu Benjamin Pavard. Wie schwer es ist auf dieser Position geeignete Kandidaten zu finden, zeigt das gescheiterte Experiment mit Alvaro Odriozola, der im letzten Winter aus Madrid kam und überhaupt keine Rolle spielte. Wenn Pavard mal fehlte, musste zuletzt meist Joshua Kimmich aushelfen. Chris Richards, der am Wochenende gegen Hertha BSC solide spielte, sollte dadurch wieder verstärkt bei den Amateuren zum Einsatz kommen.

Sarr, der in den vergangenen zwei Jahren bei Olympique Marseille gesetzt war, ist ein laufstarker, sehr vertikaler Rechtsverteidiger. Endschnell, gut im Dribbling, beweglich, tiefer Körperschwerpunkt, kein schlechter linker Fuß. Er ist dribbelstärker als Pavard und kann Bayerns Offensivspiel so noch etwas variabler machen. Wunderdinge sollte allerdings niemand von ihm erwarten. Er ist nicht besonders oft an Toren beteiligt und ist nicht so explosiv wie zum Beispiel Alphonso Davies, um gegen tiefstehende Gegner konstant durchzubrechen. Ein respektabler Rotationsspieler ist er allemal. Das hat Bayern gesucht.

Bayern will sofort weitere Titel statt langsamen Umbruch

Insgesamt sind alle vier Transfers eher als Verstärkungen in der Breite zu sehen. Der Abgang von Leistungsträger Thiago kann allerdings nicht eins zu eins ersetzt werden. Die Bayern unterstreichen mit den Transfers, dass sie auch in diesem Jahr in allen drei Wettbewerben um den Titel mitspielen wollen. Ein stärkerer Umbruch mit der Einbindung von zusätzlichen Jugendspielern ist vertagt.

Choupo-Moting und Douglas Costa sind zunächst nur für ein Jahr gebunden. Sarr muss sich auf etwas höherem Niveau erst einmal bewähren. Einzig Marc Roca ist zuzutrauen, mittelfristig eine wichtige Rolle in München zu spielen. Der FC Bayern kann insgesamt zufrieden sein, die Mannschaft trotz einer schwierigen Marktlage immerhin breiter aufgestellt zu haben. Viel mehr ist bei einer solchen Hauruck-Aktion kurz vor der Deadline wohl auch nicht drin.

Verwendete Quellen:

  • Frankenpost: Uli Hoeneß im Neue-Presse-Interview
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