Mit Carlo Ancelotti als Trainer wollte der FC Bayern die ganz großen Erfolge feiern, die Vorgänger Pep Guardiola verwehrt blieben. Bis vor wenigen Wochen war die Zuversicht groß, dass dies gelingt. Doch nach dem doppelten Pokal-Aus innerhalb weniger Tage wird es für den italienischen Star-Coach plötzlich eng.

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Es ist dieser verfluchte Konjunktiv, der Fußball-Fans und -Profis beim Rückblick auf Niederlagen so häufig Stiche ins Herz versetzt - so wie es dieser Tage gewiss auch bei den Bayern der Fall ist.

Was wäre gewesen, wenn Arturo Vidal im Champions-League-Hinspiel gegen Real Madrid den Elfmeter verwandelt hätte?

Was wäre gewesen, wenn Arjen Robben gegen den BVB die Riesenchance aufs 3:1 genutzt hätte?

Mit Gewissheit kann es niemand beantworten, doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der FC Bayern nun im Halbfinale der Königsklasse und im Endspiel des DFB-Pokals stünde.

Der Triple-Traum würde weiterleben - und Carlo Ancelotti wäre der gefeierte Trainer einer gefeierten Mannschaft.

Plötzlich steht Carlo Ancelotti in der Diskussion

Doch die Realität ist eine andere: Vidal hat verschossen. Robben traf nur den Pfosten. Real und Dortmund nutzten derweil ihre Chancen, die der FCB in den insgesamt drei Partien fahrlässig liegen ließ.

Und plötzlich, so perfide sind die Mechanismen im Profi-Fußball, wird die Frage nach der Zukunft des Trainers gestellt.

Wird der FC Bayern "nur" deutscher Meister, ist es aus Münchner Sicht schlichtweg eine enttäuschende Saison. So krass sich das auch für jeden Fan, der nicht zu den Bayern hält, anhören mag.

Umbruch steht an - betrifft das auch die Trainerposition?

"Die Bosse werden jetzt alles hinterfragen", sagte ARD-Experte Mehmet Scholl nach der 2:3-Niederlage des Rekordmeisters gegen den BVB.

Damit spielte der ehemalige Bayern-Profi zwar in erster Linie auf die Zukunft einiger Spieler wie Kingsley Coman, Douglas Costa oder Renato Sanches an.

Doch auch die Frage nach dem Trainer werden sich die Münchner Vereinsbosse in der Nachbetrachtung dieser Saison stellen müssen.

"Auf Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge kann man sich als Bayern-Fan verlassen", sagte Scholl weiter. "Uli entscheidet aus dem Bauch, Kalle aus dem Kopf. Ich glaube, sie werden jetzt verrückte Dinge machen.“

Ist eines dieser "verrückten Dinge" sogar die Entlassung des Coaches?

Ancelotti rechtfertigt Vertrauen (noch) nicht

Als die Bayern Welttrainer Ancelotti für Welttrainer Guradiola holten, war die Botschaft klar: Ein Verein wie der FC Bayern schraubt seine Ansprüche nicht herunter. Die Meisterschaft ist Pflicht, das Double der Anspruch, das Triple die gewünschte Kür.

Und wen könnte es besseres für die Triple-Mission geben als einen, der bereits dreimal die Champions League gewann?

Ancelotti genoss von Beginn an volles Vertrauen. Selbst als die Mannschaft zwar gewann, aber für ihre Verhältnisse dürftig spielte, wurde der Trainer nicht in Frage gestellt.

Die gängige These: Ancelottis Teams brillieren nun einmal erst dann, wenn es wichtig wird.

Nun kam der April, der Monat, in dem es wichtig wird im europäischen Vereinsfußball. Doch dieses Mal brillierte Ancelottis Team nicht, schied stattdessen innerhalb von acht Tagen aus zwei Pokal-Wettbewerben aus.
Zugegeben: In Madrid wurden die Münchner vom Schiedsrichter das eine oder andere Mal benachteiligt. Und gegen Dortmund fehlten nur Zentimeter für die wahrscheinliche Vorentscheidung.

Nur formschwache Alternativen auf der Bank

Dennoch wurden auch in diesen Spielen Schwächen offenkundig, die auf Top-Niveau den Ausschlag geben können. Die Bayern verharren zu lange starr im 4-2-3-1-System, können ihre Spiel-Ausrichtung bei Rückstand nur minimal anpassen und offensiver agieren.

Gravierender ist jedoch, dass den Münchnern die ganz große Stärke der Vorjahre abgeht: belebende Impulse von der Bank zu bringen.

Thomas Müller befindet sich im Dauertief, Douglas Costa enttäuscht ebenso. Kingsley Coman und Renato Sanches standen gegen den BVB nicht einmal im Kader, und der im Vorjahr so hochgelobte Joshua Kimmich versauert seit Monaten auf der Bank.

Ancelotti muss sich vorwerfen lassen, zu viele seiner Stars für die entscheidende Saisonphase nicht in die richtige Verfassung bekommen zu haben.

Dass der Italiener es sich nun Medienberichten zufolge auch noch mit Franck Ribéry, einem weiterhin ganz wichtigen Faktor im Bayern-Spiel, zu verscherzen droht, verkompliziert die Lage für ihn umso mehr.

Schwächere Saisonbilanz als unter Pep Guardiola

Seit fünf Pflichtspielen sind die Münchner sieglos - das gab es seit 17 Jahren nicht mehr. Und Ancelottis Saisonbilanz wird schlechter sein als jede der drei in der Guardiola-Ära.

Der Katalane gewann 2014 und 2016 das Double. 2015 holte er zwar "nur" die Meisterschaft, kam aber immerhin bis ins Halbfinale der Champions League.

Präsident Uli Hoeneß schweigt dieser Tage - ein in der Vergangenheit eher negatives Zeichen während einer Bayern-Krise.

Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte gestern lediglich: "Das ist kein guter Abend, um jetzt über die Zukunft nachzudenken. Jetzt muss man erstmal in Ruhe die Wunden lecken."

Die schonungslose Saisonanalyse wird erst beginnen, wenn das letzte Meisterschaftsspiel abgepfiffen ist.

Der obligatorische Gewinn der Meisterschaft könnte Ancelotti so gerade noch den Job retten. Könnte. Konjunktiv.

Vielleicht wird am Ende aber auch hier die Realität eine andere sein - und für Ancelotti das vorzeitige Aus bedeuten.

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