Beim 2:0-Sieg gegen die Ukraine stellte Joachim Löw Mario Götze auf, doch der Münchner bot eine schwache Leistung. Gegen Polen könnte an seiner Stelle Mario Gomez spielen, der bei vielen Fans noch immer umstritten ist. Hat die DFB-Elf ein Stürmerproblem?

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Die Idee ist so einfach wie genial. Man nehme einen Stürmer von prächtiger Statur, der durch seine Größe und Wucht einen Keil in die gegnerische Abwehr treibt, bevor er zum Kopfballduell in die Höhe steigt. Und man nehme einen Stürmer, der kleiner und wendiger ist, technisch filigraner und flinker, der die Verteidigung mit scharfen Pässen und schneidigen Dribblings seziert – und am Ende den Ball dorthin zirkelt, wo es ihm passt.

Zwei Stürmer, zwei taktische Optionen. So hat es sich Bundestrainer Joachim Löw wahrscheinlich vorgestellt, als er sowohl Mario Gomez als auch Mario Götze in sein Aufgebot für die EM 2016 berief. Im ersten Spiel der DFB-Elf gegen die Ukraine durfte Götze von Beginn an spielen – und blieb weitgehend unsichtbar.

Eigentlich war das Spiel wie für Götze gemacht

Obwohl Götze die Position im Sturmzentrum einnahm, liefen die meisten deutschen Angriffe ohne ihn ab. Den Treffer zum 1:0 köpfte Innenverteidiger Shkodran Mustafi nach einer Freistoßflanke von Toni Kroos.

Das 2:0 schoss wenige Minuten vor dem Abpfiff Bastian Schweinsteiger, der erst nach 90 Minuten für Mario Götze eingewechselt worden war, nach einer Hereingabe von Mesut Özil. Einzig in der 74. Spielminute hatte Götze einen Torabschluss, jedoch wirkte er dabei erschreckend ideenlos, sodass sein Versuch verpuffte.

Dabei war es eigentlich ein Spiel, das wie für Götze gemacht war. Deutschland hatte 68,1 Prozent Ballbesitz und spielte im Verlauf der 90 Minuten 675 Pässe, von denen 88,4 Prozent ankamen.

Theoretisch wäre es Götzes Aufgabe gewesen, einen Teil dieser Zuspiele auf sich zu bündeln und Gefahr vor dem gegnerischen Tor zu erzeugen. Doch der Plan ging nicht auf. Stattdessen hatte Götze im ganzen Spiel nur 48 Ballkontakte, in der ersten Hälfte sogar nur acht.

Laut dem Statistik-Dienstleister "deltatre" war Götze zwischenzeitlich völlig raus aus dem Spiel, hatte zwischen der 18. bis zur 37. Minute sogar keinen einzigen Ballkontakt.

Wäre Mario Gomez die bessere Wahl gewesen?

Das lag wohl auch daran, weil Götze gegen die ukrainischen Abwehrspieler körperlich heillos unterlegen war. Das konnte er diesmal auch nicht durch seine starke Technik kompensieren. Deutschland wimmelte sich kaum durch Doppelpässe und kurze Sprints durch die gegnerische Verteidigung, sondern versuchte Abschlüsse häufig durch Flanken und längere Bälle zu erzwingen.

Es wäre also durchaus auch ein Spiel für Mario Gomez gewesen, der auf dem Feld wenige andere Aufgaben hat, außer in den Strafraum fliegende Bälle zu verwerten.

Aber Gomez blieb auf der Bank. Joachim Löw nahm Götze erst nach 90 Minuten aus dem Spiel und brachte für ihn Bastian Schweinsteiger. Zugegeben, mit dem Wechsel bewies er einmal mehr sein goldenes Händchen, denn kaum ein paar Sekunden nach seiner Einwechslung stand Schweinsteiger schon wieder an der Ersatzbank, diesmal, um seinen Treffer zu bejubeln.

Dennoch wäre es möglich und vielleicht auch sinnvoll gewesen, Gomez zumindest für 15 oder 20 Minuten zu testen – immerhin machte Löw nur von zwei seiner drei möglichen Spielerwechsel Gebrauch.

Wer stürmt am Donnerstag gegen Polen?

Möglich, dass Löw im kommenden Gruppenspiel gegen Polen (Donnerstag, 21:00 Uhr live im ZDF und bei uns im Live-Ticker) von Anfang an Gomez bringen wird. Zwar stellte schon die Ukraine die deutsche Auswahl vor einige Schwierigkeiten, doch gilt die polnische Mannschaft als deutlich stärker als die Ukraine. Das sah man auch in der EM-Qualifikation, als Deutschland gegen Polen das Hinspiel mit 0:2 verlor.

Der Kader der Polen ist gespickt mit Topspielern, allen voran Bayerns Superstürmer Robert Lewandowski, der in der vergangenen Saison 42 Tore in 51 Pflichtspielen schoss.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die deutsche Mannschaft gegen Polen erneut an die 70 Prozent Ballbesitz haben wird. Da könnte es nützlich sein, einen Stürmer auf dem Feld zu haben, der nicht viele Chancen braucht, um ein Tor zu erzielen.

Und so ein Stürmer ist Gomez – trotz aller Kritik. Mit seinem Verein Besiktas Istanbul ist er gerade türkischer Meister und Torschützenkönig geworden; ihm gelangen 26 Tore in 33 Spielen.

Sicher entspricht das Niveau der Süper Lig nicht dem der europäischen Topligen. Das ändert aber nichts daran, dass Gomez topfit und in bester Form ist. Beides kann man von Götze nach dessen erneut äußerst durchwachsenen Saison beim FC Bayern nicht gerade behaupten.

Hat Deutschland ein Stürmerproblem?

Zwei Stürmer, zwei taktische Optionen: Was Joachim Löw sich dabei dachte, ist recht offensichtlich. Kritiker unken jedoch, dass Götze aktuell zu schwach ist und Gomez eben "nur" in der Süper Lig auf Torejagd geht. Aber deswegen gleich das aktuelle Problem im Sturm als unlösbar darzustellen, geht zu weit.

Götze war als Stürmer beim DFB schon häufiger erfolgreich, zuletzt traf er beim 4:1-Testspielsieg gegen Italien im März, davor gelang ihm ein Doppelpack in der EM-Qualifikation – ausgerechnet beim 3:1-Rückspielsieg gegen Polen. Und Mario Gomez, der bei der WM 2014 nicht zum Kader gehörte, traf in den EM-Vorbereitungsspielen gegen England und die Slowakei.

Zudem sind die beiden nicht die einzigen Spieler im deutschen Kader, die auf der Angriffsposition spielen können. Eine Alternative wäre Thomas Müller, der beim DFB auf dem rechten Flügel gesetzt ist, bei den Bayern aber auch häufig als Mittelstürmer oder hängende Spitze spielt.

Auch André Schürrle und Lukas Podolski sind mit der Position vertraut. Joachim Löw hat also nicht nur zwei, sondern mehrere taktische Optionen im Sturm. Und bei keiner davon muss man sich als Fan Sorgen um das deutsche Angriffsspiel machen.

(Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hatten wir Mario Gomez dem Verein Fenerbahce Istanbul untergejubelt. Gomez spielt allerdings selbstverständlich für Besiktas Istanbul. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.)
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