Nach dem Terroranschlag bei Moskau mit über 130 Toten rückt das Sicherheitsthema während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland wieder mehr in den Fokus. Neben Grenzkontrollen sind bereits weitere Maßnahmen geplant, Sicherheitskräfte probten bereits den Ernstfall.

Eine Analyse
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Grenzkontrollen in Deutschland während der Fußball-EM (14. Juni bis 14. Juli) angekündigt. "Wir werden während des Turniers an allen deutschen Grenzen vorübergehende Grenzkontrollen vornehmen, um mögliche Gewalttäter an der Einreise hindern zu können", sagte Faeser der "Rheinischen Post": "Das ist notwendig, um dieses internationale Großereignis bestmöglich zu schützen."

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Nach dem Terroranschlag auf eine Konzerthalle nahe Moskau, bei dem mindestens 137 Menschen getötet wurden, rückt auch die Sicherheitslage in Deutschland wieder mehr in den Fokus. Vor allem vor einem Großereignis wie der Europameisterschaft mit erwarteten zwölf Millionen Besuchern im ganzen Land.

Sorge in Deutschland: Wie sicher wird die EM?

Vor dem Hintergrund des Angriffs bei Moskau hatte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag gesagt, zur Fußball-EM würden generell "erhöhte Maßnahmen" insbesondere auch gegen islamistische Bedrohungen ergriffen. Ein solcher Angriff führe selbstverständlich dazu, "dass sich die Behörden das intensiv anschauen" und dass es in die Sicherheitsplanung der EM einfließe.

Die Frage, die sich nun viele Menschen stellen: Wie sicher wird die EM?

Urlaubssperre bei der Bundespolizei während der EM

Fest steht: Die Bundespolizei, unter anderem verantwortlich für die Grenzkontrollen, wird mit einem Großaufgebot im Einsatz sein. "In der Bundespolizei gibt es eine Urlaubssperre zur EM. So können wir auf größtmögliche personelle Verfügbarkeit zurückgreifen", betonte Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für den Bereich Bundespolizei, gegenüber der "Rheinischen Post".

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Für Faeser habe die Sicherheit bei der EM "höchste Priorität". Dafür "bündeln wir die Kräfte der Sicherheitsbehörden nochmals stärker und stellen uns auf alle möglichen Gefahren ein", erklärte die Innenministerin.

Konzepte sollen auch gegen Fußball-Hooligans schützen

Im Fokus stehe der Schutz vor Islamisten und anderen Extremisten, vor Hooligans und weiteren Gewalttätern sowie die Sicherheit der Netze vor Cyberangriffen. Die Vorbereitungen auf das Turnier liefen gut und professionell, "auch dank der hervorragenden Zusammenarbeit mit den Ländern".

Die Einführung von Grenzkontrollen ist keine direkte Reaktion auf den Terroranschlag auf die Konzerthalle. Bereits im vergangenen Februar hatte Faeser eine Ausweitung der Grenzkontrollen für die EM-Zeit angekündigt – bei Großereignissen ein übliches Vorgehen. Stationäre Grenzkontrollen gibt es wegen der Migrationslage derzeit bereits zu den Nachbarländern Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz.

Im Vorfeld der Endrunde wird Faeser auch die Austragungsorte der jeweiligen Spiele besuchen. "Dabei geht es um die Reisewege der Nationalmannschaften, der Gäste und Fans. Es geht um die Sicherheit in den Stadion und Fanzonen", sagte die 53-Jährige.

"Und dann geht es im Sommer, wenn es losgeht, natürlich um massive Präsenz, gerade da, wo viele Menschenmengen sind, also Public Viewing."

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU)

Sachsens Innenminister Armin Schuster sieht die Polizei auch mit Blick auf eine mögliche Terrorgefahr gut auf die EM in Deutschland vorbereitet. "Ich möchte eben keine Alarmstimmung verbreiten", sagte der CDU-Politiker am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin". "Ich möchte eher sagen, wir sind auf solche Szenarien schon länger vorbereitet, auch was die Ausrüstung anbelangt."

Man sei seit Monaten in der Vorbereitung. Neben den Einsatzkonzepten mache man aktuell viel Training, befasse sich mit Ausrüstungsfragen und hinterfrage immer wieder die Sicherheitskonzeption. "Und dann geht es im Sommer, wenn es losgeht, natürlich um massive Präsenz, gerade da, wo viele Menschenmengen sind, also Public Viewing."

In Spezialtrainings wird der Ernstfall geprobt

Eines der Trainings, das Schuster anspricht, fand vor rund eineinhalb Wochen statt. Spezialeinheiten von Polizei, Zoll, Rettungsdiensten und Bundeswehr aus ganz Deutschland und Österreich haben am Wochenende des 16. und 17. März den Ernstfall geprobt.

In Mittelfranken und der Oberpfalz simulierten die rund 2.000 Teilnehmer einen Terroranschlag. "Wir müssen immer auch mit dem rechnen, wovon wir alle hoffen, dass es nie eintritt", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in Sulzbach-Rosenberg, wo er die Abschlussübung des Projekts "Counter Terrorism Exercise 2024" (CTE) besuchte. Konkrete Terrordrohungen gebe es allerdings nicht, stellte der Minister klar.

Anti-Terror-Übung
Ein Beamter des Spezialeinsatzkommandos der bayerischen Polizei bei der Anti-Terror-Übung. © IMAGO/Björn Trotzki

Zu dem fiktiven Szenario gehörte der Versuch von Terroristen, eine mit Sprengstoff bestückte Drohne in eine Menschenmenge zu fliegen. Simuliert wurden auch Schüsse eines Heckenschützen von einem Hausdach auf Einsatzkräfte, ein Messerstecher in einem Gebäude, in das sich Fußballfans flüchteten, sowie Schüsse in einer U-Bahn-Station und eine Geiselnahme in einem Redaktionsgebäude, wie ein Sprecher der Polizei erläuterte.

Geprobt wurde zudem der Schutz vor chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen Gefahren. Die Einsatzkräfte hätten eindrucksvoll bewiesen, "dass sie Hand in Hand gut gerüstet für die verschiedensten Gefahren- und Bedrohungslagen sind", sagte Herrmann.

Für die EM in Deutschland warnt GdP-Chef Roßkopf zudem vor der Gefahr durch Drohnen. "Drohnen werden eines der größten Probleme", sagte er der "Bild": Zwar seien die Sicherheitsbehörden auch technisch auf die Drohnen-Abwehr vorbereitet, doch auch Terroristen würden aufrüsten. Roßkopf will daher ein "umfassendes, flächendeckendes Flugverbot für Drohnen in ganz Deutschland vor, während und kurz nach der Europameisterschaft".

Nach Moskau-Terror: Sicherheitseinschätzung in Deutschland bleibt unverändert

Im Gegensatz zu Frankreich, wo im Sommer die Olympischen Spiele stattfinden werden und wo nach dem Anschlag bei Moskau die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen wurde, bleibt die Einschätzung der Sicherheitsbehörden zur islamistischen Bedrohung für Deutschland unverändert.

"Diese war vorher schon hoch, was die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen Terrorverdächtige des ISPK gezeigt haben", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag.

Ministerin Faeser geht davon aus, dass die als Ableger des Islamischen Staats (IS) bekannte Gruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) den Anschlag zu verantworten hat, wie sie der "Süddeutschen Zeitung" am vergangenen Wochenende sagte.

"Die Sicherheitsbehörden sind sehr wachsam, weil die islamistische Bedrohung ja keine neue ist."

Sprecher des Bundesinnenministeriums

Der ISPK sei "nach unseren Erkenntnissen derzeit der aggressivste IS-Ableger", sagte der Ministeriumssprecher. Es habe im Zusammenhang damit in den vergangenen Monaten mehrere Verhaftungen gegeben. Seit dem 7. Oktober 2023, also dem Überfall der Hamas auf Israel, sei die islamistische Szene insgesamt noch stärker im Fokus der Sicherheitsbehörden, erklärte der Sprecher. "Die Sicherheitsbehörden sind sehr wachsam, weil die islamistische Bedrohung ja keine neue ist."

Nancy Faeser

Anschlag in Moskau: Faeser nennt Terrorgefahr in Deutschland "akut"

Nach dem Anschlag nahe Moskau spricht Bundesinnenministerin Nancy Faeser über die Terrorgefahr in Deutschland. (Photocredit: Wochit/imago images)

Innenminister Reul kündigt verschärfte Vorkehrungen in NRW an

Unmittelbare Auswirkungen auf die Fußball-Europameisterschaft sieht das Bundesinnenministerium allerdings nicht. "Für Großveranstaltungen in Deutschland gelten ganz unabhängig jetzt von dem schrecklichen Terroranschlag in Moskau seit Langem schon erhöhte Sicherheitsmaßnahmen, insbesondere auch zum Schutz vor islamistischen Bedrohungen", sagte der Sprecher.

Die Sicherheitskonzepte umfassten auch islamistische Bedrohungen und würden kontinuierlich weiterentwickelt. Es gebe aber keine neue Lage in Deutschland. "Die Sicherheitsbehörden von Bund und Länder sind gut vorbereitet, sind gut ausgestattet", versicherte er.

Etwas anders äußerte sich Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU), der für die Fußball-EM verschärfte Sicherheitsvorkehrungen angekündigt hat.

"Wir brauchen ein sauberes Lagebild, wir brauchen genug Informationen. Das ist das Allerwichtigste. Das wird immer unterschätzt."

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU)

In Neuss bei Düsseldorf werde ein internationales Polizeizentrum eingerichtet, sage Reul am Dienstag im Deutschlandfunk. Von dort aus würden alle Informationen und Lagebilder zusammengeschaltet. Polizisten in NRW hätten während der EM Urlaubssperre.

In Nordrhein-Westfalen ist die Lage besonders brisant, denn hier gibt es mit Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Köln gleich vier Spielorte. "Wir brauchen ein sauberes Lagebild, wir brauchen genug Informationen. Das ist das Allerwichtigste. Das wird immer unterschätzt", sagte Reul.

Herbert Reul
NRW-Innenminister Herbert Reul. © IMAGO/Bonn.digital/Marc John

Innenminister Strobl warnt vor Nachahmertaten

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sieht aktuell keinen Grund, sich gegen einen Besuch eines EM-Spiels zu entscheiden. Vor dem Hintergrund des Terroranschlags in Russland und mit Blick auf das Turnier, das auch in Stuttgart ausgetragen wird, sagte Strobl, dass man selbstverständlich die Veranstaltungen besuchen könne. Aber man müsse im Blick haben, dass solche Großereignisse auch potenzielle Ziele für islamistische Terroristen seien.

Die Sicherheitsbehörden täten alles dafür, dass die Spiele friedlich und erfolgreich abliefen. In großangelegten Übungen würden auch komplexe Szenarien durchgespielt. Die Lage werde ständig neu bewertet. Selbstverständlich flössen da auch weltpolitische Ereignisse ein.

"Wenn so ein Ereignis passiert wie in Russland, kann das auf radikalisierte Personen auch bei uns initial wirken", warnte der Minister indes, es bestehe die Gefahr für Nachahmungstaten. "Das haben unsere Sicherheitsbehörden selbstverständlich auf dem Schirm."

EM 2024: Die Ukraine könnte in München spielen

Auch in München sind die Vorbereitungen auf die Europameisterschaft in vollem Gange. Das zuständige Referat für Bildung und Sport, das vor allem für die große Fan Zone im Olympiapark zuständig ist, ist mit "allen Partnern der Sicherheitsbehörden im engen, sehr guten und regelmäßigen Austausch", wie Sprecher Lukas Schauer im Gespräch mit unserer Redaktion klarstellt.

Und auch die Einsatzplanung der Polizei selbst laufe derzeit auf Hochtouren, so Schauer weiter. "Dabei wird natürlich auch die Weltlage immer mit einbezogen – also auch der Anschlag in Moskau und natürlich auch der Krieg in der Ukraine."

Viele Abstimmungsrunden in Sicherheitsfragen würden auch lageabhängig stattfinden. München beispielsweise ist hier besonders betroffen: Denn erst am Dienstagabend entscheidet sich in den Playoffs, ob die Ukraine oder Island bei der EM in München spielen wird.

Sollten die Osteuropäer in die Endrunde einziehen, könnte das Thema Sicherheit aufgrund des russischen Angriffskriegs nochmals mehr in den Fokus rücken. "Entsprechende Kontaktaufnahmen mit National- und Fanverbänden werden in den nächsten Tagen stattfinden. Die grundlegenden Sicherheitsplanungen werden entsprechend der hieraus und aus etwaigen Neubewertungen der Sicherheitsbehörden resultierenden Erkenntnisse angepasst", heißt es seitens des Referats.

In den "Host City Operations Center" läuft alles zusammen

Die Ausrichterstädte sehen sich jedenfalls schon sehr gut vorbereitet: Während des Turniers wird es in jeder der Städte ein "Host City Operations Center" (HCOC) geben. In diesem sitzen unter anderem Vertreter von Bundes- und Landespolizei, Feuerwehr, Flughafen, anderen Verkehrsbehörden sowie der Stadt. "Im HCOC werden laufend alle wichtigen Informationen geteilt, um abgestimmt und effektiv handeln und kommunizieren zu können", erklärt Schauer.

Entsprechende große Übungen, um die Abläufe im Ernstfall zu testen, gab es bereits – in München beispielsweise im vergangenen Herbst, in Stuttgart Ende Januar. Auch hier wurden, ähnlich wie bei der Anti-Terror-Übung vor eineinhalb Wochen verschiedene Gefahrenszenarien durchgespielt.

Für die Sicherheit im Stadion sind jedoch nicht die Städte, sondern die EURO 2024 GmbH als Veranstalterin zuständig. Die GmbH entwickelt also auch das Sicherheitskonzept für die jeweilige Spielstätte, steht dabei aber immer auch in engem Austausch mit den Sicherheitsbehörden wie der Polizei.

Verwendete Quellen

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