Mesut Özil hat bei seinem Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft knallhart mit DFB-Präsident Reinhard Grindel abgerechnet. Der Weltmeister unterstellt Grindel Inkompetenz und wirft ihm Rassismus vor. Özil scheint sich dabei auf Grindels Vergangenheit zu berufen. Die Hintergründe.

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Auf das wochenlange Schweigen folgte am Sonntag der große Knall: In mehreren Tweets hatte sich Mesut Özil erstmals zu den Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie den daraus resultierenden Anfeindungen gegen ihn geäußert.

In seiner dritten und letzten Twitter-Botschaft erklärte Özil gar seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft - und attackierte Reinhard Grindel scharf. Özil gab dem DFB-Präsidenten eine gehörige Mitschuld daran, dass er diese Konsequenzen nun gezogen hat.

"Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen", schrieb Özil und holte zum Rundumschlag gegen Grindel aus.

"Ich weiß, dass er mich nach dem Foto aus dem Team haben wollte, und seine Ansicht bei Twitter ohne Nachdenken oder Absprache veröffentlicht hat, aber Joachim Löw und Oliver Bierhoff haben sich für mich eingesetzt und mich unterstützt. In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen - aber ein Immigrant, wenn wir verlieren."

Özil: Grindel will eigene politische Karriere forcieren

Er habe das DFB-Trikot immer mit Stolz getragen, "aber wenn hochrangige DFB-Funktionäre mich so behandeln, meine türkischen Wurzeln missachten und mich egoistisch als politisches Propagandamittel nutzen, dann ist es genug. Dafür spiele ich nicht Fußball, und ich werde mich nicht zurücklehnen und nichts dagegen tun. Rassismus darf nie und nimmer hingenommen werden", so Özil weiter.

Der Weltmeister von 2014 stellt den DFB-Präsidenten als karrieresüchtigen Funktionär dar, der beim Krisentreffen in Berlin vor der WM nicht an Özils Beweggründen für die Entstehung der Erdogan-Fotos interessiert gewesen sei, sondern nur seine eigenen politischen Ansichten mitteilen und Özils Meinung kleinmachen wollte - ganz im Gegensatz zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ein offenes Ohr für ihn gehabt habe.

Özil schrieb zudem, Grindel sei verärgert gewesen, dass ihm nicht erlaubt wurde, beim Treffen zwischen Özil, Steinmeier und Ilkay Gündogan dabei zu sein, "um seine eigene politische Karriere zu forcieren".

Grindel 2004: "Multikulti ist Kuddelmuddel und Lebenslüge"

Es sind heftige Vorwürfe, die für Grindel zu einem Problem werden könnten. Denn es ist nicht das erste Mal, dass dem DFB-Präsidenten Ansichten nachgesagt werden, die nicht mit den vom Deutschen Fußball-Bund propagierten Werten einhergehen.

14 Jahre lang - von 2002 bis 2016 - saß Grindel für die CDU als Mitglied des Innen- und Sportausschusses im deutschen Bundestag und galt dort als innenpolitischer Hardliner.

"Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel", sagte Grindel im Parlament im Dezember 2004. Es sei eine "eine Lebenslüge, weil Multikulti in vielen Vierteln eben nur Monokultur geschaffen hat, wo Anreize zur Integration fehlen". Es gebe in den Städten zu viele islamisierte Räume "und Verhaltensweisen von Ausländern, die zu Unfreiheit führen".

Grindel warnte dem "Tagesspiegel" zufolge in seiner Zeit als Politiker zudem vor Masseneinwanderung und forderte in seinem Wahlkreis mehr Polizei, damit die Bürger sich sicher fühlen könnten vor den vielen Zuwanderern.

Grüner rückt Grindel in Nähe der AfD

Vor knapp zwei Wochen sprach die Zeitung mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Özcan Mutlu, der Grindel noch aus seiner Zeit im Bundestag kennt.

Grindel habe sich bereits im Parlament als "Rechtsaußen" sowie "gewiefter Strippenzieher und absoluter Opportunist" hervorgetan. Der "Spiegel" schrieb 2016 über Grindel, dass dieser seinen Willen auch schon mal mit bösen Briefen, ruppigen Telefonaten oder Drohungen durchsetze.

Besonders in Erinnerung blieb Özcan Mutlu aber eine Rede Grindels im Jahr 2013 zur doppelten Staatsbürgerschaft, in der der CDU-Politiker forderte, dass sich Jugendliche mit Migrationshintergrund für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden haben.

Mutlu bezeichnet Grindels damalige Wortwahl zwar als "AfD-Sprech, bevor es diese Partei überhaupt gab", allerdings scheint dieser Vergleich angesichts des Rede-Protokolls überzogen. Grindel hatte bei seiner Rede 2013 politisch auf Unions-Linie argumentiert.

Dass sich Grindel Özil nun aber in einem "Kicker"-Interview herauspickte, dessen sportlichen Stellenwert infrage stellte sowie öffentlich eine Erklärung zu den Erdogan-Fotos einforderte, nannte Mutlu "schäbig".

Kehrtwende aus Selbstschutz

Dabei war es Grindel selbst, der noch vor der WM rhetorisch fragte, ob dieses Land denn keine anderen Probleme habe. Ein jämmerliches WM-Aus später vollzog er die Kehrtwende.

Grindel, so lautete die Kritik, wolle mit seinem öffentlichkeitswirksamen Ultimatum an Özil von Fehlern beim DFB ablenken.

Der Präsident, das Sprachrohr des DFB, gab in der Erdogan-Affäre ein schwaches Bild ab und schaffte in der Tat es zu keinem Zeitpunkt, Özil und Gündogan abseits sachlicher Kritik vor rassistischen Anfeindungen zu schützen.

"Für Integration. Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit", lautet das Motto des DFB. Stattdessen stellte Grindel mit seinem Interview den Spieler an den Pranger und machte ihn für das WM-Aus hauptverantwortlich.

Die Fans würden "zu Recht" eine Antwort erwarten, sagte Grindel in dem Interview Anfang Juli. "Deshalb ist für mich völlig klar, dass sich Mesut, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt, auch in seinem eigenen Interesse äußern sollte."

Diese Worte fielen nur wenige Tage nachdem Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff ebenfalls einen Hauptschuldigen für das desaströse Scheitern des DFB-Teams gesucht - und in Özil zu finden geglaubt hatte.

Für Grindel wird es nun eng

Ein offizielles Statement des DFB gegen fremdenfeindliche Hetze und Rassismus, wie es etwa Schweden im Fall von Jimmy Durmaz vorgemacht hatte, gab es in der Causa Özil/Gündogan nicht. Weder von Bierhoff, noch von Grindel.

Obwohl gerade auch Mesut Özil in der Vergangenheit genannt worden war, wenn der DFB stolz auf die integrierende Kraft des Fußballs in Deutschland verwiesen hatte.

Erst jetzt, einen Tag nach Özils Rücktritt, meldet sich der größte Sportverband der Welt in einer offiziellen Pressemitteilung zu Wort.

"Dass der DFB mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, weisen wir aber mit Blick auf seine Repräsentanten, Mitarbeiter, die Vereine, die Leistungen der Millionen Ehrenamtlichen an der Basis in aller Deutlichkeit zurück", heißt es in dieser. Der DFB bedauere den Abschied Özils.

Es ist der überfällige und wohl schon viel zu späte Versuch, die Wogen zu glätten. Der Zentralrat der Muslime hatte Bierhoff und Grindel nach ihren Interviews bereits zum Rücktritt aufgefordert.

Özils Aussagen und Anschuldigungen gegen DFB-Präsident Grindel, in dem der 29-Jährige diesem gar Rassismus unterstellt, dürfte die Debatte weiter befeuern.

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