Die Bundesliga geht in ihre vierte Saison, stellt sich neu auf und die Nationalmannschaft feiert einen historischen Erfolg: Amputierten-Fußball sorgt in Deutschland für Highlights, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Wir haben mit Nationaltrainer Klaudiusz Dittrich über die hoffnungsvolle, aber auch herausfordernde Situation gesprochen.
Radouane Chaanoune war bestens vorbereitet. Schließlich hatte er das Kunststück immer wieder trainiert, es fast schon perfektioniert. Deshalb sah es auch so beeindruckend leicht aus, wie sich der Spieler von Fortuna Düsseldorf gefühlvoll auf seine Krücken stemmte, sein Bein in die Höhe streckte und mit dem Rücken zum Tor einnetzte. Chaanounes Fallrückzieher-Tor wurde im Juni 2023 zum Tor des Monats gewählt, mit fast 50 Prozent der Stimmen. Damals ließ er unter anderem
Bei der Wahl zum Tor des Jahres wurde Chaanoune, der im Alter von acht Jahren von einem Zug überrollt wurde und seinen linken Unterschenkel verlor, Zweiter. Chaanounes Düsseldorfer wurden 2023 außerdem Meister der Amputierten-Bundesliga, er selber als Düsseldorfer des Jahres ausgezeichnet. Mittendrin schon damals: Klaudiusz Dittrich, der Trainer der Fortuna und auch der Nationalmannschaft der Amputierten-Fußballer.
Die feierte in diesem Sommer einen historischen Erfolg: Sie hat bei der Europameisterschaft in Frankreich Platz sieben erreicht und sich damit für die Weltmeisterschaft 2026 in Costa Rica qualifiziert. "Das war sehr wichtig. Auch um Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Leute sollen sehen: Es gibt einen geilen Sport da draußen. Dass Europameisterschaften und Weltmeisterschaften ausgetragen werden. Und dass jeder mitmachen kann", sagt Dittrich im Gespräch mit unserer Redaktion.
Wichtige Höhepunkte für den Sport
Denn Chaanounes Traumtor, die Düsseldorfer Meisterschaft oder die WM-Quali sind tolle und wichtige Höhepunkte, aber eben auch "nur" vereinzelte Highlights, die für bundesweite Schlagzeilen sorgen. "Der Amputierten-Fußball steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen, er steckt in der Aufbauphase. Und das ist eine echte Herausforderung", betont Dittrich. Zwar hatte Ex-Weltmeister
Die Bundesliga besteht in ihrer vierten Saison inzwischen aus fünf Mannschaften, es wurde einiges umgekrempelt, um weitere Schritte nach vorne zu machen. Nach dem Ende des Modellprojekts "Amputierten-Fußball im Verein – Mittendrin statt nur am Rand" durch "Anpfiff ins Leben" und die "Aktion Mensch Stiftung" bildet seit April 2024 die gemeinnützige DAFL gGmbH um Geschäftsführer Christian Heintz den offiziellen Dachverband, sie kümmert sich sowohl um die Belange der Nationalmannschaft als auch die Organisation der Bundesliga. Mit den bestehenden Vereinen wie Fortuna Düsseldorf, Anpfiff Hoffenheim, Hamburger SV, Tennis Borussia Berlin und Mainz 05 will man die Sportart weiterentwickeln. Soll heißen: Mehr mediale Aufmerksamkeit, mehr Möglichkeiten, mehr Spieler.
Finanzen sind das große Problem
Doch die Finanzen sind der große Bremsklotz. Ein Beispiel: Dass es in der vergangenen Saison einen Livestream von den Spielen gab, ermöglichte Chaanounes Wahl zum Tor des Monats erst. Aus finanziellen Gründen wurde die Übertragung im Netz aber in diesem Jahr eingestellt. "Eine Saison steht immer ein bisschen auf wackeligen Füßen. Denn der ganze Spielbetrieb muss finanziell gestemmt werden", sagt Dittrich: "Aber wir bekommen von vielen Seiten positives Feedback." Vier Spieltage sind absolviert, zwei weitere folgen im September, ehe am 12. Oktober im Mommsenstadion in Berlin der Finalspieltag ausgetragen wird.
Rund 70 Spieler sind in den Vereinen aktiv. Gespielt wird im Format Fünf gegen Fünf (Vier Feldspieler plus ein Torhüter), über 2 mal 20 Minuten auf einem 40 mal 20 Meter großen Spielfeld. Die Feldspieler beim Amputierten-Fußball haben ein Bein amputiert, der Torwart spielt mit nur einem Arm. Viele haben ihre Behinderung schon seit ihrer Kindheit, andere noch nicht so lange, wurden durch einen Unfall oder eine Krankheit und der Amputation aus dem normalen Leben gerissen.
Aus mentaler Sicht sehr wichtig
Für diese Menschen kann der Amputierten-Fußball "sehr wichtig" sein, weiß Dittrich. "Zum einen für diejenigen, die vorher immer Fußball gespielt haben und dann glauben, sie können es wegen der Amputation von einem auf den anderen Tag nicht mehr. Deshalb ist es aus mentaler Sicht extrem wichtig. Aber auch für diejenigen, die danach trotzdem Sport machen wollen", so Dittrich.
DAFL-Geschäftsführer Heintz zum Beispiel spielt seit seinem vierten Lebensjahr Fußball und verlor 2010 mit 28 nach einem Autounfall seinen rechten Unterschenkel. Keine einfache Zeit, in der er auch depressiv wurde. Doch ein Flyer aus dem Krankenhaus war seine "Eintrittskarte zurück ins Leben", wie er bei Goal verriet. Zwei Jahre danach fing er bei den Amputierten-Fußballern an, nahm sein Schicksal mit einer Prise Humor an ("Ich war früher schon immer Linksfuß, mit dem rechte Bein konnte ich ohnehin nie viel anfangen") und arbeitet seit Jahren mit vollem Einsatz daran, den Sport in Deutschland nach vorne zu bringen.
Der Weg ist beschwerlich
Doch das ist alles andere als einfach, was auch an vorhandenen Strukturen liegt. "Ich muss ganz offen sagen, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern, was die Förderung vom Behindertensport angeht, absolut hinterherhinken", sagte Heintz, der auch Nationalspieler ist und für Mainz 05 in der Bundesliga kickt. "Klar, es wurde in den vergangenen Jahren auch die Förderung im Behindertensport gesteigert, aber immer nur in der Spitze. Aber der Weg dorthin, der wird nur bedingt oder teils auch gar nicht gefördert. Da haben wir in Deutschland großen Nachholbedarf, auch durch die Politik."
Deshalb versuche man, Sponsoren zu finden, so Dittrich, "die Lust darauf haben, uns zu unterstützen, damit der Sport in Deutschland weitergehen kann. Damit diese Menschen auch weiter Sport machen können".
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Möglicherweise dann auch in der Nationalmannschaft, die jährlich vier bis sechs Trainingslehrgänge absolviert. Auch vor der EM gab es einen Sichtungslehrgang, der offen für alle war. Danach fanden drei weitere Trainingslager statt. 20 Leute hatte Dittrich anfangs, plus vier Torhüter, der EM-Kader bestand am Ende aus zwölf Krücken-Kickern, wie sich die Amputierten-Fußballer selbst bezeichnen, und zwei Keepern. Im Kader stand mit Nicola Roos auch eine Frau. Die 18-Jährige verlor ihr rechtes Bein durch eine Krebserkrankung im Kniegelenk. "Ich kann nichts mehr ändern. Ich lebe so weiter, so gut es geht. Und da hat mir der Fußball sehr geholfen", sagte sie dem SWR: "Mein Wunsch ist, dass mehr Frauen dem Sport beitreten."
In Zukunft bei den Paralympics?
Wer sich auf den Sport einlässt, der merkt schnell: Es geht richtig zur Sache, bei der Nationalmannschaft erst recht. "Die schonen sich nicht. Es sieht anders aus, aber auch bei uns geht es bis zum bitteren Ende, es wird alles gegeben", sagt Dittrich: "Die Jungs sind fleißig, die wollen, die sind ehrgeizig. Alle wollen ihre Ziele erreichen." Doch auch dabei spielt das Geld eine nicht unwesentliche Rolle. Denn die Nationalmannschaft könnte öfter spielen, wird nicht selten eingeladen, wobei die Übernachtungskosten übernommen werden, das Spiel dann aber an den teuren Fahrtkosten scheitert.
Die Hoffnung: Dass die Finanzen zumindest auf das sportliche Niveau steigen. Denn da sieht Dittrich sein Team "im Mittelfeld. Vor allem sehe ich, dass wir auf einem sehr guten Weg sind. Was uns stolz gemacht hat: Dass man uns bei der EM aus sportlicher Sicht sehr viel Respekt entgegengebracht hat. Wir machen also einiges richtig, das ist eine schöne Anerkennung", sagte er. Die wohl schönste und aktuell wichtigste wäre es, paralympisch zu werden. Möglicherweise, so die Hoffnung, ist man 2032 dabei. Damit noch mehr positive Schlagzeilen geschrieben werden können.
Über den Gesprächspartner
- Klaudiusz Dittrich (44) ist seit 2023 der Trainer von Bundesligist Fortuna Düsseldorf, zuvor war er beim amtierenden Meister Co-Trainer. Seit dem vergangenen Jahr ist Dittrich zudem der Trainer der deutschen Nationalmannschaft.
Verwendete Quellen
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