Für das historische Aus der Nationalmannschaft gibt es neben den rein sportlichen Fehlern auch ein paar andere Gründe abseits des Platzes. Die Jugendarbeit in Deutschland bedarf einer Reform. Und die Nationalmannschaft sollte sich wieder etwas geerdeter präsentieren.

Eine Analyse

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Oliver Bierhoff kommentierte das Vorrundenaus der deutschen Mannschaft wie folgt: "So wie der Erfolg nicht von einem einzigen Punkt abhängt, ist es auch bei Misserfolg nicht so", sagte der Manager der Nationalmannschaft am Donnerstag.

Damit lag er auf einer Linie mit den Sprachführern seiner Mannschaft, für die Thomas Müller quasi stellvertretend resümierte: "Wenn du Weltmeister bist, musst du dich mit vielen Dingen auseinandersetzen, die mit dem Fußball gar nichts zu tun haben. Aber Störfeuer werden von außen auch gerne genommen. Und jetzt haben wir die Quittung bekommen."

Viele Gründe für das WM-Aus

Diese Quittung wird den deutschen Fußball noch eine ganze Weile beschäftigen. Neben den sportlichen Gründen für das Ausscheiden nach der Gruppenphase gibt es mindestens zwei andere Dinge, die im Hintergrund schon eine ganze Zeit lang schwelen.

Es ist gerade ein Jahr her, da wähnte sich der Deutsche Fußball-Bund auf dem Zenit. Die A-Nationalmannschaft trug stolz den Beinamen "Weltmeistermannschaft" mit sich herum, beim Testturnier für die WM in Russland wurde Deutschland dann auch noch Confed-Cup-Sieger.

Mit einer Truppe, die aus Spielern aus der zweiten Reihe bestand, rauschte Bundestrainer Joachim Löw durch das Turnier und am Ende musste man unweigerlich an Franz Beckenbauers Bonmot denken, wie unschlagbar die Deutschen doch auf Jahre hinaus sein würden.

Eine Woche später holten sich die U21-Junioren den EM-Titel, der DFB wähnte sich so gut aufgestellt wie wohl noch nie zuvor in seiner Geschichte. Unter der glitzernden Fassade versteckten sich aber schon damals Probleme.

Im Nachwuchsbereich dürfte der Titel der U21 einiges übertüncht haben, das wurde spätestens bei den nachfolgenden Turnieren oder den Qualifikationsrunden anderer U-Nationalmannschaften klar.

Die U19 scheiterte in der Qualifikation für ihr Endturnier an Norwegen, die U20 bei der WM am afrikanischen Vertreter aus Sambia. Die U17 ging vor wenigen Wochen bei der Europameisterschaft unter: 0:3 gegen die Niederlande, 1:5 gegen Spanien.

Von den U21-Europameistern hat es in Löws WM-Kader für Russland kein einziger Spieler geschafft. Der Bundestrainer selbst hatte bereits vor drei Jahren angemerkt, dass im Jugend- und Ausbildungsbereich mehr Schein als Sein sei beim DFB. "Viele glauben, in Deutschland gäbe es Talente wie Sand am Meer. Das stimmt nicht", sagte Löw damals. Deutschland ist schon längst nicht mehr das Maß aller Dinge im Juniorenbereich.

England hat es vorgemacht

Spanien ist nach einer kurzen Delle wieder zurück in der Weltspitze, zusammen mit den Niederländern, Frankreich und neuerdings auch England. Der britische Verband FA hat nach dem einmal mehr desaströsen Ausscheiden seiner A-Nationalmannschaft bei der WM 2014 noch einmal nachgelegt, finanziell wie inhaltlich massiv aufgestockt.

Die Trainerausbildung in England kostete bis vor ein paar Jahren noch ein halbes Jahresgehalt eines Durchschnittsverdieners, nun hat man sich in etwa dem Niveau in Deutschland angepasst, wo der A-Schein für rund 2.000 bis 3.000 Euro zu erwerben ist.

Die Engländer haben das Dilemma mit ihrer Premier League erkannt und dass die vielen Stars in der heimischen Liga den Talenten den Zugang zu Kaderplätzen und Spielzeiten verwehren. Und sie haben dann endlich auch die Ligen etwas reformiert, die Bedingungen für Leihgeschäfte vereinfacht.

Nun spielen talentierte englische Spieler zwar immer noch nicht sofort bei den Top-Klubs, finden aber bei kleineren Vereinen Zuflucht, um sich dort in Ruhe zu entwickeln. Und: Der Verband hat die Leitlinien für die Nachwuchsförderung verändert.

Nach dem Crash bei der EM 2000 und der verpflichtenden Einführung der Nachwuchsleistungszentren für die Profi-Klubs hat sich in Deutschland zwar eine Menge getan, unter anderem sind die Aufwendungen allein in der Bundesliga von rund 50 Millionen Euro im Jahr 2003 auf etwa 120 Millionen Euro im Jahr 2017 gestiegen. Aber finanzielle Zuwendungen alleine formen noch keinen Weltklassespieler.

Fehler in der Ausbildung

Deutschland fehlen seit Jahren Spitzenkräfte für die Außenverteidigerpositionen und im Angriff, dazu lahmt das Flügelspiel in der Offensive. Es wird zu schnell zu hart dazu erzogen, den Ball sauber zu passen, mannschafts- und gruppentaktische Feinheiten stehen schon früh auf dem Stundenplan. Dabei gehen die originären Fähigkeiten etwas verloren, die vielzitierten Straßenkickerqualitäten.

"Es sind die Basics, die Eins-gegen-Eins-Situationen, die wir nicht gut lösen", sagt etwa Frank Kramer. Und der muss es als Trainer der deutschen U20-Nationalmannschaft wissen. Kramer war mal Trainer in der Bundesliga und in der Zweiten Liga, nun ist er beim DFB angestellt.

Er passt eigentlich gar nicht so in diese Reihe von Trainern, denen der DFB seine Jugendmannschaften anvertraut. Fast alle sind "reine" Jugendtrainer ohne große Erfahrung im Profibereich.

Meikel Schönweitz (U19), Guido Streichsbier (U18), Michael Prus (U17) und Michael Feichtenbeiner (U16) sind allenfalls Insidern bekannte Trainer, lediglich Christian Wück (U15) hat zumindest eine Vita als ehemaliger Profi.

Und die U21 leitet mit Stefan Kuntz jemand, der als Spieler sehr erfolgreich war, aber noch kein Traineramt auf höchstem Niveau innehatte.

Jeder dieser Trainer hat seine Qualitäten und ist nicht durch Zufall an den Job gekommen. Aber etwas mehr Schnittmenge zwischen reinen Ausbildern und profierfahrenen Trainern könnte auf Dauer wohl nicht schaden.

Es wird eine Weile dauern, bis sich der Tanker DFB wieder in eine andere Richtung bewegt, insofern sollte man sich von schnellen Verbesserungen in der Ausbildung der Spieler wohl verabschieden.

Was man intern aber ganz schnell ändern kann, ist die Außendarstellung - oder das, was der DFB darunter versteht. Das Image der Nationalmannschaft sei fast zu einhundert Prozent positiv, stellte Bierhoff vor ein paar Jahren fest. Vor der EM 2012 ließ der DFB in einer großen Studie erfassen, wie es um den Markenkern seiner wichtigsten Mannschaft bestellt sei und das Ergebnis war: glänzend.

Die große Marketingmaschine

Das Ausscheiden nun hat aber große Teile der Fans gar nicht mehr wirklich tangiert. Vielleicht, weil sie mit dem Endturnier in Russland ohnehin nie so richtig warm wurden, weil die Euphorie nie entfacht werden konnte, schon gar nicht nach dem Rumpelstart gegen Mexiko.

Das dürften aber vergleichsweise kleine Probleme sein im Gegensatz zu dem, was eigentlich schief läuft. Die Nationalmannschaft, die schon länger unter dem Claim "Die Mannschaft" firmiert, hat sich losgelöst von ihrer Basis.

Profi- und Amateurfußball waren noch nie so weit voneinander entfernt wie derzeit. Daran hat auch die kleine Tochter DFL ihren Anteil. Losgetreten und für die Nationalmannschaft ins Unerreichbare befördert hat aber der DFB diese Entwicklung.

Das ganze Drumherum erinnert an eine Zirkusveranstaltung, die Spieler fliegen im Helikopter zum Formel-1-Rennen (wie vor der EM 2012) oder lenken sich bei einer Driving Experience eines Hauptsponsors ab (inklusive schwerem Unfall vor der WM 2014) - Zeit für ein intensives Standardtraining etwa soll aber keine mehr sein.

Der DFB hat seine Vorzeigemannschaft zu einer sterilen Marke geformt. Die Nationalmannschaft wird abgeschottet, den Spielern wirklich alles abgenommen, die Ticketpreise selbst für Testspiele sind enorm, die Anstoßzeiten kinderunfreundlich. Ein bisschen mehr Demut und ein bisschen weniger Glamour täten wieder ganz gut.

Auch das sollte sich der größte Sportfachverband der Welt auf die Fahnen schreiben. Fußball ist immer noch deshalb so populär, weil er alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen anspricht. Der DFB hat seine Mannschaft aber eine Spur zu elitär wirken lassen. Daran sollten die Strategen hinter den Kulissen wieder etwas ändern.

"Es braucht tiefgreifende Maßnahmen, es braucht klare Veränderungen. Und das müssen wir jetzt besprechen, wie wir das tun", sagte Joachim Löw. Das sollte auf allen Ebenen geschehen. Denn nur so bekommt der DFB irgendwann auch wieder die Kurve.

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