• Wie soll der Westen auf die Zuspitzung der Ukraine-Krise reagieren? Aus Berlin kommt darauf keine einheitliche Antwort.
  • In der Ampel-Koalition und innerhalb der CDU/CSU-Opposition ist man geteilter Meinung über Waffenlieferungen oder mögliche Sanktionen gegen Russland.
  • Das konfuse Auftreten schade nicht nur Deutschland, sondern der gesamten EU, kritisiert der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz.

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Jetzt hat sich auch Vitali Klitschko zu Wort gemeldet. In der "Bild"-Zeitung kritisierte der frühere Profi-Boxer, dass die deutsche Bundesregierung keine Waffen an die Ukraine liefern will. "Das ist unterlassene Hilfeleistung und Verrat an Freunden in einer dramatischen Situation", schrieb Klitschko, der seit 2014 Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist, in einem Gastbeitrag.

Seit Wochen braut sich im Osten Europas eine bedrohliche Situation zusammen: Russlands Präsident Wladimir Putin hat Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Ein russischer Einmarsch in das Nachbarland ist nach Einschätzung von Experten und Beobachtern ein mögliches Szenario.

Unter immer stärkeren Druck gerät damit auch die deutsche Bundesregierung. Denn Berlin zeigt sich in der Frage alles andere einig – und das in einer Situation, in der es auf ein geschlossenes Auftreten Deutschlands, der Europäischen Union und des gesamten Westens ankommt.

Streitthema 1: Waffenlieferungen

Das erste Beispiel: Ob Deutschland der Ukraine Waffen zur Selbstverteidigung liefern sollte, ist in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP umstritten. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat das in der vergangenen Woche bei ihrem Besuch in Kiew abgelehnt. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bekräftigte dieses Nein. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, zeigte sich dagegen offen für diesen Schritt.

Auch der frisch gewählte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz schrieb am Montag auf Twitter, Deutschland dürfe die Unterstützung der Ukraine mit Verteidigungswaffen "nicht blockieren".

Nicht nur in Berlin kommt jedoch die Frage nach der Sinnhaftigkeit auf. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wies am Montag darauf hin, dass auch die Lieferung von Defensivwaffen das große russische Übergewicht im Falle eines Angriffs nicht aufwiegen könne. "Ich glaube, das funktioniert nicht", sagte er im "Deutschlandfunk". Bundestagsabgeordnete weisen zudem darauf hin, dass eine reine Lieferung nicht genügen würde – schließlich müsste jemand diese Waffen auch bedienen.

Allerdings handeln andere Staaten des Militärbündnisses NATO trotzdem: Großbritannien sagte der Ukraine schon vor einer Woche Waffenlieferungen zu, die USA und Estland hatten das zuvor auch getan.

Streitpunkt 2: Nord Stream 2

Ein Teil der deutschen Politik setzt in diesem Konflikt zuerst auf Dialogbereitschaft. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warb in einem Interview mit der "taz" um Verständnis für die Angst Russlands vor einer "Einkreisung" durch die NATO: "Wir sollten diese Gedankengänge nachvollziehen, unabhängig davon, ob wir sie akzeptieren."

Der frühere SPD-Parteivize Ralf Stegner, der ehemalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck und Mecklenburg-Vorpommerns Landeschefin Manuela Schwesig sehen Sanktionen kritisch. Die ältere Generation der SPD sei immer noch "beseelt von der Ost-Politik Willy Brandts", heißt es aus Kreisen der Koalitionspartner.

Allerdings bewegt sich in der Frage etwas: Bundeskanzler Olaf Scholz hatte lange die Meinung vertreten, die russisch-deutsche Gas-Pipeline Nord Stream 2 sei ein rein wirtschaftliches Projekt. Eine Haltung, die er von seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) übernommen hat. Inzwischen hat der Sozialdemokrat klargemacht: Sollte Russland wirklich in die Ukraine einmarschieren, stehe auch die deutsche Genehmigung für Nord Stream 2 auf dem Spiel.

Streitpunkt 3: Das SWIFT-Abkommen

Ein anderer Teil der deutschen Politik vertritt die Haltung: Wenn man Russland mit einer echten Drohkulisse vom Einmarsch abhalten will, müssen alle Optionen auf den Tisch. Neben einem Ende von Nord Stream 2 wäre das der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT. "Wir sollten Putin hier bewusst im Unklaren lassen, das ist der Sinn einer glaubwürdigen Drohkulisse", schrieb der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) auf Twitter.

Applaus bekam er dafür unter anderem von Außenpolitikern der CDU. Doch auch die Union ist sich in dieser Frage nicht einig. Friedrich Merz hat sich gegen einen Ausschluss Russlands aus SWIFT ausgesprochen – wegen der möglicherweise weitreichenden wirtschaftlichen Folgen. "SWIFT infrage zu stellen, das könnte die Atombombe für die Kapitalmärkte und auch für die Waren- und Dienstleistungsbeziehungen sein", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Wirbel um Admiral Schönbach

Hinzu kam am Wochenende der Wirbel um den Inspekteur der Deutschen Marine, Kay-Achim Schönbach. Er hatte bei einem Auftritt in Indien Verständnis für Wladimir Putin geäußert. "Was er wirklich will, ist Respekt auf Augenhöhe. Und – mein Gott – jemandem Respekt entgegenzubringen, kostet fast nichts, kostet nichts. Also würde man mich fragen: Es ist leicht, ihm den Respekt zu geben, den er fordert – und den er vermutlich auch verdient."

Wieder einmal kam die Frage auf, wo genau Deutschland in dem Konflikt steht. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte der DPA: "Die Äußerungen entsprechen in Inhalt und Wortwahl in keiner Weise der Position des Bundesverteidigungsministeriums." Schönbach räumte nach den Diskussionen relativ schnell seinen Posten.

NATO verstärkt Präsenz

Die NATO ging am Montag auf Konfrontation mit Russland. Mehrere Staaten – darunter neben den USA auch Dänemark, Spanien, Frankreich und die Niederlande stocken ihre Truppen in der Ostsee und in den östlichen Mitgliedsstaaten auf. Über das deutsche Engagement wurde am Montag nur bekannt, dass ein Feldlazarett an Kiew geliefert werde.

Der Westen gibt kein geschlossenes Bild ab. Ein weiteres Beispiel: Die USA haben Familienangehörige des Botschaftspersonals in Kiew aufgefordert, die Ukraine zu verlassen – offenbar aus Angst vor einem Einmarsch Russlands. Die Europäische Union sieht derzeit keinen Grund dafür, das Gleiche zu machen. "Ich denke, nicht, dass wir dramatisieren müssen", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montagmorgen am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Dann wurde am Mittag bekannt: Deutschland will Familienangehörigen der Botschaft nun doch die Ausreise aus der Ukraine finanzieren.

Scharfe Kritik am Erscheinungsbild der deutschen Außenpolitik äußerte der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, auf Twitter: "Wie vielen in Berlin ist eigentlich bewusst, wie massiv unsere konfus wirkende Ukraine-Politik nicht nur Deutschland, sondern der gesamten EU schadet?", fragte er. "Unsere östlichen Partner klammern sich immer stärker an USA/Nato, die Glaubwürdigkeit der EU leidet Schaden. Germany home alone?"

Ähnlich sieht es der CDU-Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Er sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: "Putin hat diese Drohkulisse aufgebaut, zu der sich die Europäische Union jetzt verhalten muss. Sie hat dazu aber keine gemeinsame Haltung. Das macht es Russland und den USA so leicht, über und nicht mit Europa zu verhandeln – und das ist ein fatales Zeichen."

Verwendete Quellen:

  • Deutsche Presse-Agentur
  • Bild.de: Vitali Klitschko über Putin und die neue Kriegsgefahr "Deutschland verrät seine Freunde!"
  • Deutsche Presse-Agentur
  • Taz.de: SPD-Fraktionschef über russische Ängste: "Die Nato bietet keine Garantie"
  • Twitter-Account von Friedrich Merz
  • Twitter-Account von Danyal Bayaz
  • Twitter-Account von Wolfgang Ischinger
  • Welt.de: Rüstung für Ukraine? "Deutschland sollte strikte Anti-Haltung aufgeben"
  • Gespräch mit Roderich Kiesewetter, CDU

Marine-Chef tritt wenige Stunden nach umstrittenen Putin-Aussagen zurück

Kay-Achim Schönbach ist nicht länger Inspekteur der Deutschen Marine. Der Vizeadmiral ist nur wenige Stunden nach umstrittenen Äußerungen zurückgetreten. Er hatte mit Aussagen zu Putin und dem Ukraine-Konflikt für Irritationen gesorgt.
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