Die CDU steht nach ihrem Rückzug aus den Asyl-Gesprächen mit der Regierung unter Druck. Bei Maybrit Illner musste sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklären. Ricarda Lang sprach von "Getöse und Fundamentalopposition" bei den Christdemokraten und empörte sich über den neuen Vorschlag von Friedrich Merz.

Eine Kritik
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Das war das Thema bei Maybrit Illner

Nach dem tödlichen Attentat in Solingen beschloss die Ampel-Koalition verschärfte Grenzkontrollen, beschleunigte Abschiebungen und Leistungsstreichungen für Asylbewerber. Parteiübergreifende Gespräche zwischen Regierung und Opposition über weitere Verschärfungen scheiterten unter der Woche, weil die CDU um ihren Vorsitzenden Friedrich Merz mit viel Getöse aus den Gesprächen ausstieg.

Ihre Forderung, vorübergehend alle Asylbewerber an deutschen Grenzen zurückzuweisen, stieß in der Regierung auf rechtliche Bedenken. Dennoch war sie zu einem dreimonatigen Modellversuch an einem kleinen Teil der deutschen Grenze bereit. Das Thema bei Maybrit Illner: "Asyl-Gipfel gescheitert – wie macht die Ampel weiter?"

Das waren die Gäste

  • Tina Hildebrandt: Die Ressortleiterin Politik der "Zeit" sieht politisches Kalkül hinter dem Rückzug der CDU. "Merz wollte der Regierung vor der Brandenburg-Wahl keinen Erfolg bescheren", sagte sie. Nachdem sich die CDU nach dem Ausstieg wieder etwas in Richtung Regierung bewegt hatte, habe sich die Dynamik zu Ungunsten Merz' entwickelt, so Hildebrandt. Er muss nun reagieren. Ihr Fazit: Er hat es sich in der ganzen Frage unnötig kompliziert gemacht.
  • Dagmar Rosenfeld: Auch die Co-Herausgeberin von "The Pioneer" sieht im Rückzug der CDU eine vertane Chance, dass die Parteien der Mitte in der für die Bevölkerung so wichtigen Migrationsfrage zu einer Einigung kommen. Nur durch den Druck der CDU habe die Ampel ihre Asylpolitik überhaupt noch mal geöffnet. Die CDU hätte nach einer gemeinsamen Einigung sagen können: "CDU wirkt, selbst wenn sie nicht an der Regierung ist", argumentierte Rosenfeld. Allerdings bezweifelte sie, ob die von SPD-Innenministerin Nancy Faeser ins Spiel gebrachten Ankerzentren wirklich in kurzer Zeit und massiv etwas geändert hätten. Denn dort wären ja gar keine sofortigen Zurückweisungen möglich gewesen, so Rosenfeld. Sondern lediglich zeitlich beschleunigte Rückführungen "unter verschärften Bedingungen" nach Dublin-Verfahren – also für jene, die schon in einem anderen EU-Land Asyl beantragt hatten. Die Regierung hätte die Union mit einem "falschen Angebot gelockt", behauptete Rosenfeld.
  • Nancy Faeser (SPD): Die Bundesministerin des Innern und für Heimat wollte in den ganzen Debatten um den Rückzug der Union aus den gemeinsamen Gesprächen verhindern, dass die Erfolge der Regierung in der Migrationspolitik vergessen werden. Die Ampel habe schon viel auf den Weg gebracht, sage sie. Man dürfte nicht immer alles schlecht reden. Um ein Fünftel sind nach ihren Abgaben zuletzt die Rückführungen gestiegen, um ein Fünftel die Asylanträge gesunken.
  • Carsten Linnemann: Der CDU-Generalsekretär erklärte den Rückzug der CDU so: "Das, was die Ampel macht (…) wird das grundlegende Problem nicht lösen, dass sehr viele Menschen zu uns kommen, – in den letzten Jahren Millionen – die keine Berechtigung haben." Die Pläne der Regierung seien "kein grundlegender Kurswechsel". Linnemann bezweifelte, dass mit den geplanten beschleunigten Verfahren so viel mehr abgeschoben würde als bisher. Schließlich argumentierte er, dass "in zehn, 15 Jahren" niemand mehr über den jetzigen Streit zwischen Regierung und Union reden wird, sondern über die am Ende geglückte gemeinsame Verschärfung der Bestimmungen - wenn sie denn wirklich kommt.
  • Ricarda Lang: Die Grünen-Parteivorsitzende ist bereit, in der Regierung über Faesers Vorschlag der Ankerzentren zu sprechen. Allerdings meldete sie Bedenken an der Idee an. Bundesländer mit Außengrenzen wie Brandenburg würden temporär überlastet mit solchen Zentren, man müsste sich die Folgen genau anschauen und die Länder unterstützen. Zudem wies sie Linnemann Vorwurf zurück, die Grünen würden bei der Migrationsfrage bremsen. Lang lobte ein neues Sicherheitspaket der schwarz-grünen Koalition in NRW. "Der Unterschied sind nicht die Grünen, sondern dass in NRW eine Union mit staatspolitischer Verantwortung sitzt und im Bund eine, die vor allem auf Getöse und Fundamentalopposition setzt."

Das war der Moment des Abends

CDU-Chef Friedrich Merz hatte der Ampel nach dem Rückzug aus den Gesprächen am Donnerstag einen neuen Vorschlag unterbreitet: umfassende Zurückweisungen an den Grenzen erst einmal für drei Monate testen. Beginn am 1. Oktober. Ricarda Lang kritisierte diesen Vorschlag scharf: "Das war kein Angebot. Das war ehrlich gesagt eine Schimäre", also ein Hirngespinst. Der Vorschlag sei nichts anders als "drei Monate Rechtsbruch", redete sich Lang regelrecht in Rage. "Wir würden als Staat sagen: Wir machen jetzt drei Monate Verstoß gegen das europäische Recht. Das kann sich ein Land wie Deutschland nicht leisten. Deutschland darf nicht Ungarn werden."

Zudem würde man damit die europäischen Partner verärgern, die schon nach den von der Ampel beschlossenen verschärften Grenzkontrollen protestiert hatten. "Das Ergebnis wäre absolutes Chaos in Europa, weil auch die anderen Recht brechen würden." Lang warf der Union vor, sich von dem Erbe von Angela Merkel distanzieren zu wollen und damit auch "das Erbe von Helmut Kohl und Konrad Adenauer über Bord zu werfen". Beide waren überzeugte Europäer. "Das ist absolut unverantwortlich". Carsten Linnemann sagte zu diesem überzeugenden Monolog der Grünen-Chefin: gar nichts.

Das war das Rededuell des Abends

Carsten Linnemann brachte den Merz-Vorschlag - drei Monate an den Grenzen hart zurückweisen - auch bei Maybrit Illner vor. Er schlug vor, ihn gemeinsam mit SPD und FDP umzusetzen, ohne Einbeziehung der Grünen. "Nur um die Sache" gehe es ihm, wiederholte Linnemann fast gebetsmühlenartig. Wenn man das so oft sagt, kommt der Verdacht auf: Geht es ihm gar nicht um die Sache?

Das ist auch Nancy Faesers Vermutung. "Wenn es Ihnen um die Sache gehen würde, dann wären Sie in den Gesprächen drin geblieben." Faeser erklärte Linnemann, dass Zurückweisungen an den Grenzen europarechtlich nur möglich wären, wenn man eine Notlage erklärt. Die aktuellen Flüchtlingszahlen und die Belegung der Erstaufnahmeeinrichtungen ließen die Argumentation juristisch nicht zu, dass man die Lage nicht im Griff habe. Außerdem gebe es praktische Gründe. Wohin mit den Flüchtlingen, die Deutschland nicht hereinlassen will, die Polen, Tschechien oder Österreich aber auch nicht zurücknehmen wollen. Was dann?

Faeser brachte ihre Idee der Ankerzentren vor. Das wären Asylzentren mit Wohnauflage, weil es sonst keine Leistungen geben würde, und beschleunigten, rechtssicheren Verfahren in fünf Wochen. Die Ankerzentren würden die Kommunen entlasten, weil die Menschen nicht mehr in die Erstaufnahmeeinrichtungen kommen würden, behauptete die Bundesinnenministerin. "Das biete ich ihnen an", sagte Faeser zu Linnemann. "Und ich glaube, Verhandlungen führt man am Tisch." Nicht in einer Talkshow.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

"Wo sollen die Ankerzentren herkommen und das Personal?", fragte Maybrit Illner Nancy Faeser. Eine Frage, die ihren Auftritt an diesem Abend gut in einem Satz zusammenfasste. Die Gastgeberin war bei dem schwierigen Thema – mit vielen Fachbegriffen und inhaltlichen Wendungen wie Wirrungen – stets auf der Höhe.

Dass der Talk manchmal eher einem Uni-Seminar glich und der eine oder andere Zuschauer womöglich Schwierigkeiten gehabt haben könnte, zu folgen, dafür konnte die Gastgeberin schließlich nichts. Ironisch war ihre Frage zu verstehen, wann der Abschiebe-Wumms komme, wobei diese Sendung in ihrer Komplexität eher einen Gehirn-Wumms verursachte.

Das ist das Fazit

Haben wir die "echte Asylwende", die die CDU fordert, in Wahrheit schon? Dieser Meinung war "Zeit"-Journalistin Hildebrandt. Sie sprach mit Blick auf die Summe von Regierungsmaßnahmen in den vergangenen Jahren bis heute allerdings von einer "Rollwende in Zeitlupe". Und die wird, wie Nancy Faeser ankündigte, fortgesetzt. Sie nannte neue Migrationsabkommen mit Kenia und Usbekistan als Beispiele einer Praxis, die weiter ausgebaut werden soll. Die Staaten nehmen ihre Bürger zurück, die illegal nach Deutschland einreisen und erhalten dafür mit Kontingentlösungen Arbeitsmarktzugang nach Deutschland. Das hielt auch Carsten Linnemann für eine gute Idee. "Ich will ein weltoffenes Land bleiben", betonte der CDU-Mann. Faeser versicherte: "Die Tür ist immer noch offen, Herr Linnemann".

Ricarda Lang bremste die Zuversicht um "die eine Wunderlösung" bei der Lösung der Migrationsfrage am Ende. "Das wird wieder zu enttäuschten Erwartungen führen", warnte die Grünen-Chefin. Sie will ebenfalls ein besseres Vorgehen beim Abschieben. Aber auch Länder wie Libanon, das 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge bei einer Bevölkerung von nur 5,5 Millionen Menschen aufgenommen hat, viel mehr unterstützen.

Apropos: Lang erinnerte bei der ganzen Debatte um illegale Migranten, Abschiebe-Quoten oder Kontingentlösungen daran, dass es hier immer noch "um Menschen geht", während Carsten Linnemann noch einmal den großen historischen Bogen spannte. Er erinnerte an den durchaus umstrittenen, aber letztlich überparteilich verabschiedeten Asylkompromiss Anfang der 90er Jahre. "Es gab übrigens eine Partei, die hieß nicht AfD, die hieß Republikaner", sagte Linnemann. "Die ist danach marginalisiert worden".

Auch der AfD könnte mit einem tragfähigen Asylkompromiss, der die Zahlen deutlich senkt und das aufgeheizte Klima letztlich befriedet, das Wasser abgegraben werden. Allein das müsste Grund genug für Regierung und Union sein, sich noch einmal an einen Tisch zu setzen.

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