- CSU-Chef Markus Söder wäre gern Kanzlerkandidat der Union geworden, musste aber Armin Laschet den Vortritt lassen.
- Nach anfänglichen Sticheleien unterstützt der bayerische Ministerpräsident nun den CDU-Chef nach Kräften, wie er beim Interview mit unserer Redaktion in der Staatskanzlei in München beteuert.
- Außerdem verrät Söder, was die Verkehrswende mit einem Robinson Club zu tun hat, wie die CSU die Klimakrise bekämpfen will und wie er die aktuelle Corona-Situation sieht.
Herr
Markus Söder: Es wird ein Wimpernschlag-Finale. Gerade holen wir auf, denn die Bürgerinnen und Bürger haben Zweifel, ob Rot-Rot-Grün wirklich die Perspektive ist, die sie mehrheitlich wollen. Sie befürchten höhere Steuern, höhere Schulden und vor allem eine Phase der internationalen Instabilität.
Sie kennen
Seit
Gegen Ihren eigenen Kandidaten
Da wüsste ich jetzt gerne, wie Sie darauf kommen.
Sie haben seinen "Schlafwagen-Wahlkampf" kritisiert, Ihr Generalsekretär Markus Blume hat noch Anfang September gesagt, mit Ihnen als Kanzlerkandidat stünde die Union besser da. Einer aktuellen Umfrage zufolge hat jeder Dritte den Eindruck, Sie hätten Laschet schlecht unterstützt.
Armin Laschet hat meine volle Rückendeckung, daran gibt es nichts deuteln. Ich bin wohl der freundlichste CSU-Vorsitzende, den je ein CDU-Vorsitzender erleben durfte – denken Sie nur an
Spielen Sie mit dem Gedanken, selbst ins nächste Bundeskabinett als Minister einzuziehen?
Nein, ich bin ja Ministerpräsident und das ist die stärkste Position, die man aus CSU-Sicht haben kann. Dazu kommt, dass den Parteivorsitzenden künftig eine noch stärkere Bedeutung zukommen wird. In einem Viererbündnis aus der Union und zwei weiteren Parteien lassen sich nicht alle Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung herbeiführen. Da kommt es entscheidend auf den Koalitionsausschuss an, in dem ich als Parteivorsitzender eine zentrale Rolle spiele.
Lassen Sie uns über Inhalte sprechen: Wenn Ihnen Klimaschutz so wichtig ist, warum fiel dann das bayerische Klimaschutzgesetz im November so lasch aus, dass es nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt schon nachgebessert werden muss?
Der Rohentwurf des neuen bayerischen Klimaschutzgesetzes ist der ambitionierteste, den es in Deutschland gibt. Wir wollen Klimaneutralität bis 2040. Wir planen eine Milliarde Euro zusätzlicher Investitionen als Anschub für neue Klimaschutzmaßnahmen. Wir setzen auf einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Als natürliche CO2-Speicher sollen die Waldflächen verdoppelt und alle Moore renaturiert werden. Wir fördern Wasserstoff, Elektromobilität und synthetische Kraftstoffe. Und last but not least entwickeln wir Förderprogramme für Klimaarchitektur, Holzbau und Urban Gardening in den Städten.
Nochmal die Frage: Warum erst im zweiten Anlauf?
Länder mit grünen Umweltministerien liegen in den meisten Feldern deutlich hinter Bayern. Ich bin froh, dass es mit dem Volksbegehren zum Artenschutz und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zusätzliche Impulse gab, den Umwelt- und Klimaschutz voranzubringen. Das hat es mir erleichtert, in der Regierungskoalition mehr Tempo zu machen.
Wird das reichen?
Nachsteuern werden wir in den kommenden Jahren immer wieder müssen, denn die Klimaveränderungen werden für unser Land stärker werden, als viele jetzt erwarten. Da werden wir noch ganz andere böse Überraschungen erleben, von Gebirgsabgängen bis zu Dürreperioden. Das Ganze wollen viele Menschen leider noch nicht annähernd in der ganzen Dimension wahrhaben.
Wahlkampf der Nebensächlichkeiten? "Wir erfassen die Tiefe der Herausforderungen nicht"
Wie meinen Sie das?
Mich stört an diesem Wahlkampf wirklich, dass Nebensächlichkeiten eine derart große Rolle spielen. In einer der ernstesten Phasen unserer Geschichte – zwischen Klimakrise, Corona-Stress und Afghanistan-Schock – diskutieren wir über Lebensläufe, Lacher und darüber, wer wen lobt.
Warum wird die Dramatik der Klimakrise im Wahlkampf nicht thematisiert?
Meine Sorge ist, dass wir die Tiefe der Herausforderungen nicht erfassen. Ein Teil der öffentlichen Debatte verweigert sich einer ernsthaften Diskussion. Dabei brauchen wir dringend weitreichende Veränderungen, nicht nur beim Klimaschutz, sondern zum Beispiel auch bei der Digitalisierung oder beim Hemmschuh Bürokratie, der vieles verlangsamt und verhindert.
Söder: "Deutschland ist zu langsam"
Sie wollen den Kohleausstieg schon 2030 statt 2038. Als Ministerpräsident eines Landes, in dem es keine Zechen gibt, tun Sie sich natürlich leicht, das zu fordern.
Wir müssen die ökologische Frage auch in ihrer sozialen Dimension erfassen. Wir wollen zum Beispiel die Pendlerpauschale erhöhen, wenn der CO2-Preis den Sprit verteuert. Steigt der Benzinpreis um zehn Cent, würden wir die Pendlerpauschale um einen Cent erhöhen. Klar, in der Stadt kann ich auch das Fahrrad nehmen, aber in ländlichen Regionen sind die Wege dafür oft zu weit – und es fährt nun mal keine U-Bahn nach Schneizlreuth. Da muss man einen Ausgleich schaffen, alles andere führt zu sozialer Spaltung.
In Schneizlreuth gibt es keine U-Bahn, aber in München schon. Dennoch kommt es hier täglich zu unzähligen Staus im Pendlerverkehr. Wie wollen Sie die Verkehrswende schaffen?
Zunächst mal ist es etwas Positives, dass so viele Menschen in München leben wollen. Den starken Zuzug gibt es nur dank der Leistungsfähigkeit der Menschen, der Wirtschaft und der Politik. Für die Verkehrsdichte ist die einzige Antwort der massive Ausbau des ÖPNV. Das Problem beim ÖPNV und dem Schienennahverkehr ist die Geschwindigkeit der Umsetzung. Nehmen Sie als Beispiel den Zulauf zum Brennerbasistunnel: Die Österreicher werden 2028 fertig, wir, wenn’s gut läuft, Ende der 40er Jahre. Deutschland ist zu langsam. Selbst bei einem Funkmast dauert es durchschnittlich 18 Monate, bis er aufgestellt ist.
Ihr Lösungsansatz für dieses Problem?
Wir müssen unsere Verfahren neu organisieren. Ich bin nicht für weniger Bürgerbeteiligung, aber sie muss schneller und effizienter sein. Wir brauchen nicht unzählige Instanzen, sondern zum Beispiel ein spezialisiertes Gericht, das sich mit den Details des Verwaltungsrechts auskennt. Dazu braucht es digitalisierte Verfahren, um das Ganze transparenter zu machen und zu beschleunigen.
Laut Statistischem Bundesamt geht bei Pendlern der Trend zum Zweitauto. Eine autofreie Innenstadt ist keine Option, um diese Entwicklung zu stoppen?
Statt das Auto zu verbieten, sollten wir auf alternative Antriebe setzen. Wenn das Zweitauto ein Elektroauto ist, haben wir kein Problem.
Söders Vision für den Pendlerverkehr: Erhöhte und überdachte Radschnellwege
Aber davon löst sich doch kein Stau auf.
Dafür gibt es ja dann den ÖPNV. Auch wenn wir uns das vielleicht wünschen: Das Leben ist kein Robinson Club. Wir werden es nicht schaffen, alles für alle zu 100 Prozent perfekt zu machen. Aber annähernd gelingt es schon, und das passiert in Bayern oft besser als anderswo.
Eine Verkehrswende wäre in Ihren Augen also eine Utopie?
Das gelingt durch günstigeren, besser vernetzten ÖPNV, auch in der Fläche, mit höherer Taktung, besseren Fahrzeugen und neuen Schienenstrecken. Zudem alternative Antriebe. Weiter diskutieren wir speziell für die Städte andere Formen von Radwegen: aufgeständerte – über dem Boden, und sogar überdacht. Das ist meine Vision, ein Radschnellweg, auf dem man sogar im Winter trockenen Fußes in die Stadt fahren kann.
Söder: Für die Geimpften ist die Corona-Pandemie "ziemlich" überstanden
Lassen Sie uns über die Corona-Situation sprechen. Herr Scholz sagt, die Corona-Pandemie sei im Großen und Ganzen überstanden. Sehen Sie das genauso?
Für die Geimpften: ziemlich. Für die Ungeimpften: im Gegenteil. Wir befinden uns jetzt in der Pandemie der Ungeimpften. Wo die Impfquote am niedrigsten ist, sind die Inzidenzen höher und die Krankenhäuser stärker belastet. Diese Relation ist eindeutig. Deshalb müssen wir die Impfquote erhöhen.
Warum stagniert sie?
Wir müssen noch besser aufklären, etwa bei jungen Menschen, wo unbegründete Ängste herrschen, zum Beispiel vor Unfruchtbarkeit oder vor Problemen für Schwangere; und wir müssen mit mobilen Impfteams die Menschen dort aufsuchen, wo sie sind. Ich erwarte mir aber einen Schub für die Impfquote, wenn ab Mitte Oktober die kostenlosen Tests und der Verdienstausfall für Ungeimpfte im Quarantänefall gestrichen werden. Es wird keine Impfpflicht geben, jeder entscheidet eigenverantwortlich. Man muss dann aber auch die Konsequenzen tragen.
Andreas Gassen, der Chef der kassenärztlichen Vereinigung, hat kürzlich einen Freedom Day vorgeschlagen. Eine gute Idee?
Wer sich impfen lässt, hat im Grunde seinen Freedom Day. Wenn immer noch fast 40 Prozent der Bevölkerung nicht geimpft sind, kann es sehr schnell eine Überlastung des Gesundheitswesens geben. Es interessiert das Coronavirus wenig, wenn irgendwer den Freedom Day ausruft.
Sie halten Ihren Weg der Vorsicht nach wie vor für den richtigen?
Nach Schätzungen des Landesamtes für Gesundheit haben wir in Bayern 130.000 Leben gerettet und 850.000 Menschen vor Long Covid bewahrt. Reden Sie mal mit jemandem, der darunter leidet – fürchterlich! Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem politischen Leben mal Entscheidungen treffen muss, die unmittelbar den Lebensschutz betreffen. Ich habe Verständnis dafür, wenn sich der eine oder andere über verschiedene Maßnahmen ärgert oder davon genervt ist. Aber Leben zu schützen ist einfach am wichtigsten.
Sie haben sich in der Pandemie vom polternden bayerischen Ministerpräsidenten zum bundesweit geschätzten Corona-Manager gemausert. Wie aktiv haben Sie diese Entwicklung beeinflusst?
Wir waren damals, sozusagen über Nacht, massiv betroffen. Die Zahlen explodierten in kürzester Zeit. Es waren schwerste Entscheidungen, es gab dafür keine Blaupause. Ich habe meine Vorgänger befragt – alle hatten keinen Plan dafür. Während man anderswo noch zurückhaltender war, habe ich versucht, nach bestem Wissen und Gewissen situativ das Notwendige zu entscheiden.
Also reine Intuition?
Vier Wochen vorher hätte ich nicht einmal gewusst, ob das rechtlich überhaupt geht, dass ein Infektionsschutzgesetz Maßnahmen in diesem Ausmaß vorsieht. Es ging nur um das Kernziel, unser Land gut durchzubringen, viele Menschenleben zu retten und Bilder der Triage wie in Bergamo oder New York zu verhindern. Nur danach habe ich gehandelt. Anfangs wusste niemand genau, welche Entscheidungen richtig sind, aber in meinen Einschätzungen lag ich größtenteils richtig.
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