Jürgen Smettan steht auf dem Carolaplatz und schaut auf die gleichnamige Brücke. "Ein bisschen mulmig war mir schon", sagt der 67-Jährige, "schließlich bin ich noch drei Stunden vor dem Einsturz drübergefahren."

Mehr News aus Berlin finden Sie hier

Er war bis Mitternacht bei einer Geburtstagsfeier und fuhr dann mit dem Fahrrad von der Neustadt Richtung Südvorstadt, wo er wohnt. "Jeden zweiten Tag fahre ich hier normalerweise über die Elbe."Eine Woche ist es nun her, dass in Dresden ein Teil der Brücke ins Wasser stürzte. Die Aufräumarbeiten wurden in den Tagen danach erst von einem weiteren Teileinsturz behindert – und dann kam am Wochenende das Hochwasser hinzu: Dort, wo der Pegel normalerweise 1,42 Meter anzeigt, steht das Wasser am Dienstag bei fast sechs Metern. Im Laufe des Tages könnte das zu einer Alarmstufe 3 führen, die eine Gefährdung von Gebäuden bedeutet. Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) sagte: "Wenn eine Katastrophe kommt, ist die andere nicht weit."

Der Dresdner Jürgen Smettan, 67, am Elbufer, nicht weit von der Carolabrücke, die vor einer ...
Der Dresdner Jürgen Smettan, 67, am Elbufer, nicht weit von der Carolabrücke, die vor einer Woche einstürzte. © Sören Kittel/Berliner Zeitung

Doch angesichts der Bilder aus Polen und Tschechien, wo bisher 18 Todesopfer zu beklagen sind und die Wassermassen Kleinstädte zerstört haben, entspannt sich die Lage in Sachsen zusehends. Umweltminister Wolfram Günther (Die Grünen) spricht davon, dass Dresden "mit einem blauen Auge" davonkommen könnte, "vielleicht noch nicht mal das". Die Pegelstände seien insgesamt niedriger als befürchtet. "Das ist noch keine Entwarnung", fügt er an. Bis für die Elbe die Alarmstufe wieder auf 1 gesenkt werden könne, dauere es noch, vielleicht bis Ende September.

In der Innenstadt wird trotzdem überall über den Fluss gesprochen, der mal wieder über die Ufer getreten ist. Die Menschen sprechen darüber, stehen auf der weltberühmten Brühlschen Terrasse zusammen, machen Fotos. Unterhalb dieser Flaniermeile, nur 100 Meter Luftlinie von der wieder aufgebauten Frauenkirche entfernt, wurden mehrere Schutzwälle errichtet. Die Lehren aus den Fluten 2002 und 2013, so könnte man meinen, sind gezogen worden.

Philip G. ist extra wegen der Flut von Torgau nach Dresden umgezogen. Das Elternhaus des 31-Jährigen war bei den letzten beiden Fluten vor elf und 22 Jahren betroffen gewesen. Nur wohnt er wieder an der Elbe, aber nicht so nah. Er dachte nicht, dass es noch einmal derartige Probleme geben würde. "Und jetzt noch das mit der Brücke." Er war in Italien, als er von dem Einsturz hörte. "Seitdem ist für mich jede Brückenüberfahrt hier in Dresden ein Abenteuer."

Immerhin sieht es nicht so aus, als ob der Einsturz der Brücke eine Auswirkung auf den steigenden Wasserstand hat. Der Dresdner Umweltsamtleiter René Herold sagt, dass die Pegel an den verschiedenen Brücken gleich sind. Die Abrissarbeiten liefen auch nachts auf Hochtouren und so konnten gerade noch rechtzeitig vor dem Hochwasser wichtige Trümmerteile weggeschafft werden. Die Uferbereiche wurden geräumt, um den Wassermassen eine Ausweichmöglichkeit zu geben. Einige Teile liegen am Dienstag noch mitten im Fluss.

Sachsens Umweltminister Günther verwies darauf, dass diese Entspannung in Dresden auch mit den Maßnahmen seit der letzten Flut zu tun habe. "Wir haben 3,3 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz investiert." Der habe beim Hochwasser 2013 die Belastungsprobe bestanden und geschätzt 450 Millionen Euro Schäden verhindert. "Das ist eine Herausforderung, denn es geht immer um Voraussagen für die Zukunft in dramatischer Lage", sagt Günther. Er verwies extra auf die gute Zusammenarbeit mit den tschechischen Hydrologen.

Währenddessen rief die Regierung in Warschau den Katastrophenzustand aus. Premierminister Donald Tusk sprach von Soforthilfen in Höhe von umgerechnet 230 Millionen Euro. In Tschechien kämpfen die Einsatzkräfte an der Oder in der östlichen Großstadt Ostrava mit Deichbrüchen. Strom- und Mobilfunknetze sowie die Trinkwasserversorgung sind teilweise zusammengebrochen. In Österreich wurden mehr als 1800 Gebäude geräumt, zwei Menschen starben. Aus Rumänien wurden bislang sieben Tote gemeldet. Dort sind 6000 Häuser betroffen, es gilt die höchste Hochwasser-Warnstufe.

Angesichts dieser Meldungen sind die Dresdner froh über die aktuellen Pegelstände. Eine von ihnen ist die New Yorkerin Karen Reimann. Die 61-Jährige lebt in einem Mehrfamilienhaus an der Elbe im Stadtteil Wachwitz, zwischen Pillnitz und dem Blauen Wunder. "Ich kam vor 25 Jahren nach Dresden für einen Job und blieb für die Liebe – und meine Kinder."

Sie hat beide Fluten mitgemacht und somit schon etwas Erfahrung. "Ab einem Pegelstand von 7,40 Metern ist das Wasser im Haus, also räumen wir ab sieben Metern das Erdgeschoss aus", sagt Karen Reimann. "Wir haben schon erste Aufräumaktionen gestartet und auch schon den Zaun vor dem Haus abgebaut." Der wurde bei beiden Fluten stark verbogen und war danach zerstört.

Noch bis Donnerstag müssen Betroffene in Dresden ausharren. Die Behörden gehen davon aus, dass die Alarmstufe 4 wohl an keinem sächsischen Elbpegel erreicht wird. Ab Mittwoch werde ein "sehr langgestreckter Hochwasserscheitel" in Schöna und in Dresden erwartet. Ab Donnerstag sei schon mit fallenden Wasserständen der Elbe zu rechnen. Die Pegel an Neiße, Spree und Schwarzer Elster sanken in Sachsen bereits wieder.

www.Berliner-Zeitung.de
Um Zugang zu allen exklusiven Artikeln von Berliner-Zeitung.de zu erhalten, können Sie hier ein Abo abschließen (1 Monat Gratis)

Karen Reimann hat nur eine Sorge: "Im Jahr 2013 gab es ja diese Welle." Sie kam aus Osteuropa und bahnte sich langsam den Weg immer weiter bis nach Dresden. "Wir konnten uns damals gar nicht vorstellen, dass es so schlimm wird, aber wegen dieser Welle stieg der Pegel für kurze Zeit von 7 auf 9,40 Meter." Bis jetzt heißt es, sei keine Welle in Sicht.  © Berliner Zeitung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.