Bedroht durch den Klimawandel: Douglasien statt Fichten? Wildwuchs statt Kahlschlag? Die Debatte um die Zukunft des Waldes wird zunehmend schärfer. In Hessen manifestiert sie sich im Streit um ein Gütesiegel.

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Der deutsche Wald ist nicht nur ein bedeutendes ökologisches System, sondern auch ein wichtiger Teil der Kultur und der Identität des Landes. Rund ein Drittel der Gesamtfläche der Bundesrepublik ist bewaldet, in Hessen und Rheinland-Pfalz sind es sogar jeweils mehr als 40 Prozent. Doch der deutsche Wald ist in Gefahr. Der Klimawandel, wirtschaftliche Interessen, invasive Arten und die intensive Nutzung von Waldflächen sind enorme Herausforderungen. Extreme Wetterereignisse, steigende Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster bringen das ökologische Gleichgewicht ins Wanken und gefährden die Biodiversität.

Vor diesem Hintergrund gewinnt das Konzept eines klimaresistenten Waldes zunehmend an Bedeutung. Doch was genau bedeutet klimaresistent, und welche Strategien sind notwendig, um solche widerstandsfähigen Ökosysteme zu fördern? Darüber wird zwischen Politikern, Wissenschaftlern, Naturschützern und Waldbesitzern zunehmend heftig gestritten.

In Deutschland mit seinem vergleichsweise hohen Anteil an Privatwaldbesitz (knapp 50 Prozent) befürchten kleine und mittlere Forstbetriebe eine zu starke Bevormundung. Sie argumentieren, dass sich die Diskussion um den deutschen Forst zu sehr auf den Klimaschutz konzentriere und Ökologie vor Ökonomie gesetzt werde. Doch das Gegenteil ist richtig: Die Debatte um den Wald war bisher zu stark auf wirtschaftliche Aspekte zugespitzt.

Streit in der Politik und Wissenschaft

Im Bund manifestiert sich die Auseinandersetzung über die Zukunft des Waldes im Streit um die Novellierung des Bundeswaldgesetzes. Waldbesitzer- und Forstverbände kritisieren etwa die geplante Vorschrift, dass sie vor allem mit heimischen Baumarten aufforsten sollten. Nur, wenn sie sich an diese Vorgabe hielten, könnten Waldbesitzer dann noch in den Genuss staatlicher Fördergelder kommen.

Auch in Hessen gibt es Streit über den richtigen Umgang mit dem Wald. Der Staatsforst wird hier seit Jahren nach den Öko-Standards des FSC-Gütesiegels bewirtschaftet, einem der stärksten und weithin akzeptierten Qualitätskriterien für den nachhaltigen Umgang mit Waldflächen. Das hieß bisher: kein Pflanzengift, begrenzte Kahlschläge und limitierter Einsatz schwerer Erntemaschinen. In einem Zehntel des hessischen Forstes darf die Natur erst gar nicht gestört werden, und der Anteil nicht heimischer Bäume soll 20 Prozent nicht überschreiten.

Im Sommer vollzog die seit Januar amtierende neue Landesregierung dann allerdings eine Kehrtwende: Die Koalition aus CDU und SPD beschloss, unterstützt von AfD und FDP, bis auf Weiteres aus der FSC-Zertifizierung auszusteigen. Im Jahr 2028 soll dann Bilanz gezogen werden, welche Konsequenzen der Verzicht auf das Gütesiegel für den hessischen Wald gehabt hat.

Bis dahin erhofft sich die CDU durch die Abkehr vom FSC-Siegel "mehr Beinfreiheit für die Förster" bei der Bewirtschaftung des Waldes. Die FSC-Vorgaben seien "aus Sicht vieler Praktiker nicht mehr zeitgemäß", meint der hessische Umweltminister Ingmar Jung (CDU). Ziel der Landesregierung bleibe ein stabiler Mischwald, allerdings ohne überzogene Vorgaben für die Bewirtschaftung des Staatsforstes und mit mehr Spielraum für ökonomische Interessen.

Ungleichgewicht von Wirtschaft und Nachhaltigkeit

Die Grünen im Landtag sprechen hingegen von einer "dramatischen Zäsur" und einem Abbau von Umweltstandards. Der Verzicht auf das FSC-Siegel bedeute mehr Chemie, mehr Holzeinschlag, mehr schwere Maschinen und weniger heimische Artenvielfalt im hessischen Wald. Empört und "mit großem Unverständnis" reagierten auch die hessischen Naturschutzverbände BUND, NABU, die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) sowie die IG Bau. In einer gemeinsamen Erklärung beklagten sie einen "Rückschritt in die Vergangenheit ohne Not". Die bewährten FSC-Standards würden der Aussicht auf höhere Profite durch den Holzverkauf geopfert.

Viele Förster und Waldbesitzer kritisieren nicht zuletzt die mit der FSC-Zertifizierung verbundene Höchstmarke von 20 Prozent für fremde Baumarten. Tatsächlich besteht darüber, was eine einheimische Baumart ist – aus Deutschland oder Europa – und welche Baumarten besser mit den sich verändernden Klimabedingungen zurechtkommen, auch unter Wissenschaftlern kein Konsens. Zumal es bei der künftigen Gestaltung der heimischen Wälder nicht nur um Klimaresilienz, sondern auch um Holzqualität geht. Viele Waldbesitzer experimentieren mit heimischen und nichtheimischen Baumarten und wollen diese Wahlfreiheit behalten.

Je nach Geschwindigkeit und Ausmaß der Erwärmung könnte das relativ kleine Spektrum europäischer Baumarten nicht ausreichen, um gesunde Wälder zu erhalten. Manche Forstwissenschaftler raten deshalb, auf den Anbau fremdländischer, hitzebeständigerer Baumarten zu setzen – vor allem Douglasie, Roteiche, Robinie, Hybridpappel und Küstentanne.

Naturschützer wiederum warnen genau davor, da sie mehr Nach- als Vorteile für die bestehenden Waldökosysteme sehen. Das Risiko durch die Anpflanzung fremder Arten sei groß, der Nutzen hingegen völlig ungewiss. Im schlimmsten Fall werde die bei vielen Förstern und Waldbesitzern beliebte nordamerikanische Douglasie künftig ein ähnlich gewinnbringendes wie ökologisch schädliches Monopol erhalten wie bisher die Fichte.

Mischwälder statt Monokultur

Die Fichte gehört, neben Buche, Kiefer und Eiche, zu den häufigsten in Deutschland vorkommenden Arten, und sie ist von steigenden Temperaturen, Dürreperioden, Stürmen, Schädlingen und Krankheiten besonders bedroht. Andererseits bleibt die Fichte trotz kurzfristiger Verluste für viele Forstbetriebe noch immer profitabler als ein naturnah bewirtschafteter Wald. Der Spagat zwischen wirtschaftlicher Nutzung und ökologischer Nachhaltigkeit ist daher eine der größten Herausforderungen für den heimischen Wald. Und dass dabei dem Klimaschutz Vorrang eingeräumt wird, ist die Verantwortung des Staates.

Unbestritten ist, dass Mischwälder aus verschiedenen Baumarten generell eine höhere Resilienz gegen Schädlinge und Krankheiten haben und besser auf wechselnde Klimabedingen reagieren als Monokulturen. Die Wälder müssen bei der Aufforstung künftig robuster gestaltet werden. Sprich mehr Mischwälder, die klimaresistenter sind – ohne dass dafür die großflächige Ansiedlung fremdländischer Arten erforderlich wäre. Der Laubholzanteil wird langfristig steigen, aber auch Nadelbäume wie die Weißtanne oder die Waldkiefer haben in bestimmten Regionen noch eine Zukunft.

Klar ist, dass die Waldbewirtschaftung eine entscheidende Rolle im Bemühen spielt, die Wälder in Deutschland zukunftsfest weiterzuentwickeln, sie gegen die Folgen der Klimakrise zu wappnen. Die in großem Maßstab erforderliche Umstellung der Waldindustrie steht allenfalls am Anfang – und die Widerstände sind noch groß. Wo immer möglich, sollte der Staat deshalb die natürliche Entwicklung von Wäldern und die Renaturierung von bisher forstwirtschaftlich bearbeiteten Flächen fördern. Dazu sind eindeutige Gesetze, Richtlinien und Vorgaben unerlässlich.

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Der Staat muss bei der Bewirtschaftung seiner eigenen Wälder mit gutem Beispiel vorangehen. Mit dem FSC-Prädikat etwa, so wie es das Land Hessen – initiiert von einer CDU-Alleinregierung unter Führung von Roland Koch und durchgesetzt von einer CDU/Grünen-Koalition – seit dem Jahr 2008 getan hat. Die Abkehr von einem bewährten und international anerkannten Gütesiegel ist, bei allem Verständnis für die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der Waldbesitzer, auf lange Sicht ein Fehler. Die CDU/SPD-geführte Regierung befindet sich damit im Wortsinn auf dem Holzweg.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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