Ukraine-Hilfe der NATO: Generalmajor Hartmut Renk ist der stellvertretende Kommandeur des neuen Ukraine-Unterstützungskommandos der NATO in Wiesbaden.

Mehr News aus Hessen finden Sie hier

Im Interview spricht er über die Aufgaben der Einheit, die Vorteile gemeinsamer Hilfe und über politische Entscheidungen.

Herr Generalmajor, Sie sind seit fünf Monaten der stellvertretende Kommandeur des neuen NATO-Hauptquartiers NSATU. Das steht für NATO Security Assistance and Training for Ukraine. Welche Aufgaben hat diese Einheit?

Der NATO-Gipfel im Juli in Washington hat bezüglich der Ukraine vier wesentliche Dinge verkündet: Das eine ist das ökonomische Versprechen der NATO, Hilfe in Höhe von 40 Milliarden Euro zu leisten. Das andere ist die Ernennung des NATO-Vertreters in der Ukraine, also eine Art Botschafter der NATO mit einem Arbeitsstab in Kiew. Drittens die Einrichtung des gemeinsamen NATO-Ukraine-Zentrums für Analyse, Aus- und Weiterbildung, um zum Beispiel die bisherigen Lehren aus Russlands Krieg gegen die Ukraine zu identifizieren. Und das Vierte ist die langfristige Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte in Ausrüstung und Ausbildung durch ein neues NATO-Hauptquartier.

Das ist NSATU.

Ganz genau. Dieses Hauptquartier wird seit Mitte Juli hier in Wiesbaden, am Standort des Hauptquartiers der US-Army für Europa und Afrika, aufgestellt. Ich habe am 12. Juli im Urlaub einen Anruf von Admiral Rühle bekommen, der damals der Stabschef im militärischen NATO-Hauptquartier Shape in Mons in Belgien war. Und der sagte: Sie werden stellvertretender Kommandeur für NSATU. Wann können Sie anfangen? Ich sagte: Herr Admiral, ich bin im Urlaub. Woraufhin er antwortete: Gut, dann haben Sie zwei Tage Zeit. Tja, und dann habe ich hier am 14. Juli angefangen.

Welchen Posten hatten Sie davor inne?

Ich war schon hier in Wiesbaden und seit Januar 2023 Deputy Commanding General for Integration der US-Army Europe and Africa.

Und Sie haben als stellvertretender Kommandeur den Aufbau von NSATU geführt, bis der amerikanische Generalleutnant Curtis Buzzard kurz vor Weihnachten als Kommandeur vom Kongress in Washington bestätigt wurde?

Ja, aber das ist eine Selbstverständlichkeit. Der Deputy vertritt den Commander immer dann, wenn er nicht da ist – es gibt nie eine Zeit ohne Führung. Und da der amerikanische Prozess zur Bestätigung länger gedauert hat, habe ich das Kommando geführt.

Noch befindet sich Ihre Einheit aber im Aufbau.

Statt Einheit würde ich lieber Hauptquartier sagen. Denn wir haben zwar einen umfangreichen, militärischen Auftrag, aber was hier in Wiesbaden passiert, ist Stabsarbeit: Wir halten die Fäden zusammen, koordinieren die Beiträge der verschiedenen Nationen, organisieren Abstimmungskonferenzen – damit die Ukraine bekommt, was sie braucht. Mit dieser Arbeit haben wir jetzt begonnen.

Hat NSATU schon die vorgesehene Mannstärke? Die Rede war von insgesamt 700 Mitarbeitern aus allen NATO-Mitgliedstaaten.

Unsere Personalstärke wächst ständig. Wir haben inzwischen Vertreter von 29 Nationen an Bord, dabei sind auch Partnernationen wie Australien und Neuseeland – und auch die Ukraine. Deren Leute sitzen mit uns als gleichberechtigte Partner am Tisch und planen mit uns gemeinsam die Unterstützung des ukrainischen Militärs, und zwar für alle Teilstreitkräfte, sprich Land, Luft, See. Alles, was wir hier machen, basiert auf den Anforderungen und Bedarfen der Ukraine. Und unsere Aufgabe ist es, die daraus folgende Hilfe der Spendernationen, wie wir sie nennen, zu synchronisieren.

Können Sie das an einem Beispiel beschreiben?

Zum einen synchronisieren wir die Bereitstellung von militärischem Gerät. Wenn zum Beispiel eine Nation der Ukraine zehn Artilleriegeschütze überlassen will, dann zeigt diese Nation uns das an, und wir koordinieren, dass diese Geräte den ukrainischen Streitkräften übergeben werden können.

Damit es kein großes Durcheinander bei der Ukrainehilfe gibt?

Ja. Es hat als Vorgängerorganisation der NSATU unter britischer Führung das International Donor Coordination Center gegeben, ebenfalls hier in Wiesbaden. Das hat schon kurz nach Beginn des Krieges damit begonnen, die militärische Hilfe für die Ukraine zu organisieren. Den großen Vorteil, den wir nun mit dem NATO-Kommando NSATU haben, ist, dass wir jetzt auf gemeinsame, über viele Jahre entwickelte Standards, eine gemeinsame IT, gemeinsame NATO-Doktrinen und so weiter zugreifen können. Das ist ein riesiger Vorteil bei der unverzüglichen Umsetzung der Unterstützung.

Aber es gibt auch noch die Security Assistance Group Ukraine, kurz SAG-U. Haben Sie die abgelöst?

SAG-U ist ein amerikanisches Hauptquartier, das auch hier in Wiesbaden sitzt und weiter besteht, von dem wir aber einige Aufgaben übernehmen, zum Beispiel den Bereich Training. So werden wir mit unserem Hauptquartier am Ende vier Aufträge haben. Erstens: Wir koordinieren die Lieferung von militärischem Gerät. Zweitens die Wartung für dieses Gerät und die Bereitstellung von Ersatzteilen und Munition – denn ohne Munition nützt die beste Haubitze nichts. Drittens organisieren wir die nötige Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte. Und viertens kümmert sich eine unserer Abteilungen, die Force Development Support Division, darum, die ukrainischen Streitkräfte mittelfristig an NATO-Standards heranzuführen und so interoperabel mit der Allianz zu machen. Das beginnt mit der Nutzung des NATO-Alphabets und geht bis hin zu detaillierten technischen Vorgaben für bestimmte Munition und zum Beispiel auch Training und Übungen. Das ist langfristig von großer Bedeutung für eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.

Noch einmal zu der Größe Ihres Kommandos: Haben Sie die Sollstärke von 700 Mitarbeitern hier in Wiesbaden schon erreicht?

Hier im Hauptquartier werden wir nur etwa die Hälfte dieses Personals haben. Der Rest verteilt sich auf eine NSATU-Abteilung im militärischen NATO-Hauptquartier Shape in Belgien und auf drei logistische Knoten in Polen, der Slowakei und in Rumänien, wo auch Stabspersonal von uns tätig sein wird.

Ist das ausreichend?

Sie werden nie im Leben einen Kommandeur finden, der sagt: Ich habe genug Leute. Mehr geht immer, das ist doch klar.

Welche Nationen leisten denn den wichtigsten Beitrag zu Ihrem Kommando?

Alle Nationen sind wichtig, alle NATO-Länder stehen hinter NSATU. Hinzu kommt die Unterstützung von unseren Partnernationen. Ich bin mit dem schnellen Aufwuchs des Kommandos zufrieden. Sie müssen bedenken, dass es große und kleine NATO-Mitglieder gibt und sogar NATO-Nationen ohne Streitkräfte, die nur ziviles Personal stellen. Darum sind die Beiträge sehr unterschiedlich in jeder Hinsicht.

Werden aus Wiesbaden auch Waffen, Geräte und Munition auf den Weg gebracht? Oder werden ukrainische Soldaten hier ausgebildet?

Nein, nein. Wir sind ein reines Hauptquartier, ein Koordinierungsknoten. Außer Whiteboards und Schreibtischen wird hier keinerlei Gerät umgeschlagen.

Und wo werden das militärische Gerät und die Munition tatsächlich umgeschlagen?

Ich habe die drei logistischen Knotenpunkte ja erwähnt – aber auf Details will ich nicht eingehen.

Und das Training der ukrainischen Soldaten?

Findet an verschiedenen Standorten statt. Aber auch dazu nenne ich keine Details.

Dann lassen Sie uns über Waffen sprechen: Welche Systeme braucht die Ukraine momentan am dringendsten?

Natürlich haben wir eine Prioritätenliste – und ganz oben steht die Flug- und Raketenabwehr. Wir nennen das "Integrated Air and Missile Defence", und dazu gehört eine sehr große Bandbreite an Systemen, von Patriots über IRIS-T, Hawks und Gepard bis hin zu russischen Modellen wie BUK und S-300. Die Vielzahl der Waffen, die in der Ukraine zum Einsatz kommen, ist auf der einen Seite den sehr unterschiedlichen Anforderungen auf dem Gefechtsfeld und den Fähigkeiten der einzelnen Systeme geschuldet. Auf der anderen Seite aber auch der Vielzahl der Gebernationen und deren unterschiedlicher Ausrüstung. Und darum muss das alles sehr gut koordiniert werden. Das ist eine sehr große Herausforderung für uns.

Die Flugabwehr ist also von überragender Bedeutung.

Ja, aber hohe Priorität haben weiterhin auch Artilleriegeschütze und Artilleriemunition, Panzermunition, Panzerabwehrwaffen, gepanzerte Fahrzeuge, aber auch Drohnen und Aufklärungsgerät.

Ist die Ukraine erfolgreich bei der Abwehr der russischen Angriffe auf die Infrastruktur aus der Luft?

Die Ukrainer sind sehr erfolgreich in diesem Kampf, aber es ist ein Massekonflikt auf beiden Seiten. Das ist nicht vergleichbar mit den punktuellen Einsätzen etwa von F-16-Flugzeugen in Afghanistan. Die Front in der Ukraine hat 1300 Kilometer Länge, und überall wird gekämpft. Punktuell kann man mit Flugabwehr für guten Schutz sorgen, aber man kann ein so großes Land nicht komplett schützen, das ist unmöglich.

Kann die Ukraine diesen Krieg gewinnen?

Das ist eine politische Frage. Mein Auftrag ist es, die ukrainischen Anforderungen und Bedarfe für ihren heldenhaften Kampf gegen Russland zu decken. Wann die ukrainische Regierung den Punkt für erreicht hält, dass sie eine – wie auch immer geartete – politische Entscheidung trifft, kann ich nicht sagen. Darüber denke ich auch nicht viel nach. Ich habe genug damit zu tun, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie in eine starke Position kommt in diesem Konflikt.

Die Fragen stellte Peter Badenhop.

Interessieren Sie die Artikel der F.A.Z.?
Uneingeschränkter Zugriff auf diesen und alle weiteren zahlungspflichtigen F+ Inhalte auf FAZ.NET. Jetzt Abo abschließen.

Zur Person

Hartmut Renk wurde 1962 in Hamburg geboren und ist 1982 in die Bundeswehr eingetreten. Er hat an der Universität der Bundeswehr in München studiert und wurde 1989 Zugführer eines Panzerbataillons in Landshut. Von 1995 bis 1997 war er Adjutant des Stabschefs im NATO-Hauptquartier Shape im belgischen Mons. Als Stabschef der Panzergrenadierbrigade 38 war Renk drei Jahre später auch im Kosovo eingesetzt. Im Bundesverteidigungsministerium diente er dann unter anderem als Adjutant des Verteidigungsministers. Von 2014 bis 2018 war er stellvertretender Kommandeur des Ausbildungskommandos des Heeres in Leipzig, von Dezember 2015 an war er für ein Jahr Kommandeur des Command North in Masar-i-Scharif in Afghanistan. Im September 2018 wurde Renk zum Chef des Stabes der US-Army Europe in Wiesbaden ernannt, 2020 zum Stabschef des Multinationalen Kommandos Operative Führung in Ulm. Vor seiner Berufung als stellvertretender Befehlshaber des Kommandos NATO Security Assistance and Training for Ukraine (NSATU) im Juli 2024 war er zuletzt im Hauptquartier der US-Army Europe and Africa in Wiesbaden im Rang eines Generalmajors der Deputy Commanding General for Integration.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.