Musiker Shantel: Der Frankfurter Musiker Shantel tourt regelmäßig in Israel, in seinen Stücken finden sich jüdische Einflüsse. Seit dem 7. Oktober 2023 hat er mit immer mehr Anfeindungen zu kämpfen.
Neu sind die Anfeindungen nicht. Angefangen hat es schon vor etwa zwölf Jahren. Der Frankfurter Musiker Stefan Hantel – Künstlername: Shantel – hatte auf Facebook einen Auftritt in Israel angekündigt. Die Kommentare darunter waren eindeutig und zahlreich. Als Unterstützer eines Apartheidstaates wurde Hantel beschimpft. Eine Absage seines Konzerts wurde gefordert. Oder gleich ein genereller Boykott des Musikers.
Der "Shitstorm" damals habe ihm zugesetzt, sagt Hantel. Auch danach sei es in den sozialen Netzwerken immer wieder zu Angriffen gekommen. Doch verglichen mit dem Israelhass, der sich seit dem Hamas-Anschlag vom 7. Oktober 2023 in der Musikszene ausbreite, seien die Boykottaufrufe harmlos gewesen: "Wer als Musiker heute sagt, dass das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar ist, riskiert damit seine Karriere." Nicht die Judenhasser müssten sich verstecken, sondern die, die um Solidarität mit bedrohten Juden würben, die sich in ihrer Kunst mit jüdischer Kultur auseinandersetzten, sagt Hantel.
Shantels Familie stammt aus der Bukovina
In seiner eigenen Musik haben jüdische Kulturtraditionen schon lange einen festen Platz – als ein Einfluss unter vielen, als Bestandteil eines "kosmopolitischen Sounds". Das hat auch mit Hantels Familiengeschichte zu tun. Seine Vorfahren mütterlicherseits stammen aus der jüdisch geprägten Stadt Czernowitz in der Bukowina, die heute zur Ukraine zählt. Seine Mutter kam in einem österreichischen DP-Lager für Holocaustüberlebende zur Welt. Und obwohl die Religion in Hantels Kindheit und Jugend nie eine große Rolle spielte, er auch keine Bar Mitzwa hatte, begreift der Musiker das Jüdische als "Teil seiner heterogenen Identität".
Mit Ende 20 hat er sogar selbst einmal ein Jahr in Israel gelebt. Er wollte herausfinden, ob das Land im Nahen Osten für ihn eine "spirituelle Heimat" sein könne, doch fasziniert hat ihn etwas ganz anderes: die "aufregende Partymetropole Tel Aviv", eine brodelnde, von der Clubkultur stark geprägte Stadt.
Jüdische Musik ist "mehr als Klezmer"
Hantel suchte Kontakte zur Szene und legte selbst in Tel Aviver Clubs auf. Er lernte Musiker kennen, mit denen er zusammenarbeitete und deren Alben er später, als er nach Frankfurt zurückgekehrt war, auf seinem Musiklabel Essay Recordings veröffentlichte. Junge israelische Bands wie Boom Pam oder Balkan Beat Box brachten ihre Songs auf Hantels Label heraus und gaben auch Konzerte in Frankfurt. "Ich wollte zeigen, dass jüdische Musik mehr als Klezmer ist, dass sie popkulturelle Relevanz hat", sagt der Musiker.
Diese Nähe zur israelischen Kulturszene machte ihn zum Feindbild für die um die Jahrtausendwende entstandene BDS-Bewegung. Die propalästinensischen Aktivisten fordern eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Isolation Israels, die Abkürzung BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen. Mit massivem Druck werden Künstler, die in Israel auftreten wollen, von den BDS-Anhängern bedrängt.
Manche Musiker wie Lauryn Hill, Lana Del Rey oder Elvis Costello beugen sich den Angriffen und sagen ihre Konzerte ab, andere, wie Madonna, Paul McCartney und Lady Gaga, widerstehen den Anfeindungen.
BDS wird als antisemitisch kritisiert
Von vielen wird die BDS-Bewegung, deren prominentester Vertreter der Pink-Floyd-Musiker Roger Waters ist, als antisemitisch eingestuft. Der Slogan "From the river to the sea, Palestine will be free", der schwer anders als der Wunsch nach einer Auslöschung Israels zu verstehen ist, gehört fest zu ihrem Repertoire. Die BDS-Aktivisten entgegnen ihren Kritikern, dass es ihnen nicht um Judenhass, sondern um die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland und die Ungleichbehandlung arabischer Israelis gehe – und dass auch zahlreiche Juden die Proteste unterstützten.
Der Einfluss der BDS-Bewegung ist in der Kulturszene in den vergangenen Jahren stark gewachsen, besonders nach dem Hamas-Attentat vom 7. Oktober und dem anschließenden Gazakrieg. Aufgerufen wird mittlerweile auch zu einem Boykott deutscher Kultureinrichtungen, begründet wird er mit der anhaltenden Unterstützung Deutschlands für Israel. "Strike Germany" haben die Aktivisten ihre Kampagne getauft, auch die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux unterzeichnete den Aufruf.
Palästinaaktivisten sind tonangebend in der Szene
Der Frankfurter Musiker Hantel beschreibt den Palästinaaktivismus als längst tonangebend in der Musikszene. Besonders im Süden Europas sei es Usus, dass palästinensische Fahnen und Plakate mit Slogans wie "Free Palestine" bei Festivals auf den Konzertbühnen hingen. Wer dem widerspreche, wer argumentiere, dass er sich politisch nicht vereinnahmen lassen wolle, müsse damit rechnen, dass er "nicht mehr eingeladen wird".
Er selbst hat, als die ersten BDS-Aufrufe auf seinen Social-Media-Kanälen auftauchten, noch versucht, mit Argumenten dagegenzuhalten. Hantel hat dann zum Beispiel darauf hingewiesen, dass er nicht nur in israelischen Städten, sondern auch in Ramallah im Westjordanland auftreten würde. Auf einem Festival dort hatte der Musiker gespielt, in den Berlin Pub, einen angesagten Treffpunkt der LGBTQ-Szene in der Stadt, der heute nicht mehr existiert, wurde er zu Auftritten eingeladen.
"Es gibt kein Interesse an Dialog"
Doch auf seine Erwiderungen gingen die Aktivisten nicht ein. "Es gibt kein Interesse an Dialog", sagt der Musiker. "Allein die Tatsache, dass du in Israel spielst, macht dich für diese Menschen zur Persona non grata."
Seit dem 7. Oktober hätten die Angriffe stark zugenommen, sagt Hantel. Die immer zahlreicheren, aggressiv formulierten Boykottaufrufe nennt er "institutionell organisierte Kampagnen". Manchmal leitet der Musiker die Kommentare unter seinen Posts an RIAS, den Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus, weiter. "Aber die können ja auch nichts machen."
Besonders ärgert Hantel, wie er von den Aktivisten "in Sippenhaft für Israel" genommen werde – als wäre er ein offizieller Vertreter des Staates. Dabei interessiert ihn als Künstler vor allem die jüdische Kultur in der Diaspora. "Das wird alles in einen Topf geworfen, es gibt keine Differenzierung, sondern nur Schwarz-Weiß", sagt Hantel. "Wenn du nicht pro Palästina bist, dann bist du automatisch pro Israel – und dann wirst du weggecancelt."
Israelische Bands werden nicht mehr gebucht
Am härtesten seien davon israelische Künstler betroffen. "Die Bands, die ich kenne, machen nichts mehr, keiner bucht heute mehr Künstler aus Israel." Dass der Großteil der Musiker selbst zu den Gegnern der Netanjahu-Regierung zählt, sei den Promotern und Veranstaltern gleichgültig. Dazu komme: Wer israelische Künstler nach Deutschland einlädt, geht auch ein Sicherheitsrisiko ein. "Keiner hat Lust auf ein Konzert unter Polizeischutz", sagt Hantel. "Aber dass wir das einfach so hinnehmen, empört mich."
Er habe sich zuletzt häufig weggeduckt, sagt der Musiker. Seine Beiträge in den sozialen Medien hat Hantel reduziert, zu politischen Fragen hat er nicht mehr Stellung bezogen, die Situation im Nahen Osten nicht kommentiert. Das aber widerspreche seiner Haltung – und darum will er sich nun auch wieder aus der Deckung wagen. Nicht mit politischen Statements, sondern mit einem Kulturprojekt.
Ein Orchester gegen den Judenhass
In Zusammenarbeit mit dem in Köln ansässigen Verein "Jüdisches Leben in Europa" will Hantel "ein Orchester ins Leben rufen", eine Band gründen, die sich mit jüdischen Musiktraditionen beschäftigt, die einen Sound entwickeln will, der diese aufgreift und trotzdem modern und zeitgenössisch klingt.
Jüdische Kultur und jüdischer Alltag: Das ist für den Musiker nichts Verstaubtes, sondern etwas sehr Gegenwärtiges. "Es geht mir um Sichtbarkeit und Empowerment", sagt er. "Es geht darum, laut zu werden."
Die ersten Songs für sein neues Bandprojekt hat Hantel gerade erst geschrieben. Drei oder vier große Konzerte will der Frankfurter im nächsten Jahr mit seinem "Orchester" geben. Dem "Shitstorm", den das Projekt hervorrufen könnte, will Hantel sich stellen. "Man muss einfach weitermachen", sagt er. "Es hilft ja nichts." © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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