Frau Müller, an diesem Dienstag soll im Bundestag die Entscheidung über ein Billionen-Schuldenpaket fallen, zugleich eine Weichenstellung für die Koalition zwischen Union und SPD.
Was erwartet die deutsche Automobilindustrie in schwerer Zeit mit Tausenden Jobstreichungen, Werkschließungen und Milliardenverlusten von der neuen Bundesregierung?
Unsere Branche befindet sich inmitten einer großen Transformation – das gilt mit Blick auf Elektromobilität und Digitalisierung. Das bringt Veränderungen mit sich, etwa, dass ein Elektroauto viel weniger Komponenten hat als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Das wiederum hat Folgen für die Zahl der Arbeitsplätze, Jobs fallen weg. Das ist nicht neu und belastet natürlich die Beschäftigten erheblich. Von besonderer Bedeutung ist daher, wo die neuen Jobs entstehen. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts entscheidet über die Investitionen der Zukunft. Und da setzt das große Problem ein.
Welches konkret?
Die Investitionstätigkeit in Deutschland geht drastisch zurück. Der Standort ist international nicht mehr wettbewerbsfähig. Unsere Branche setzt auf Innovationen und Investitionen: Allein rund 320 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren für Forschung, Innovation, Digitalisierung, neue Antriebe und weitere 220 Milliarden Euro für Sachinvestitionen, vor allem für den Werksumbau. Nur: Tendenziell wird immer weniger hierzulande investiert – mit potenziell dramatischen Konsequenzen für viele Regionen Deutschlands. Deswegen gilt: Die Politik darf jetzt nicht nur das größte Investitionsprogramm der Geschichte beschließen, sondern es braucht zwingend auch das größte Reformprogramm für unsere Wettbewerbsfähigkeit. Die Notwendigkeiten sind bekannt.
Nämlich?
Neben dem Thema Bürokratie, wo es innovative und auch drastische Lösungen braucht, gehört auch das Thema Energiepreise auf die Agenda. Wir bezahlen hier drei bis fünf Mal so viel wie Wettbewerber in den USA oder China. Wir brauchen günstige Energie auch, um Halbleiter- und Batterieproduktion hierzulande anzusiedeln. Und ebenso für die Verbraucher: Laden muss günstiger sein als Tanken. Es braucht zudem einen deutlichen Stromnetzausbau und eine flächendeckende Ladeinfrastruktur.
Bei teuren Standortkosten kann kein billiges Auto entstehen. Hier spielt neben den Faktoren Energie, Rohstoffe, Steuern und Abgaben auch das Thema Bürokratie eine entscheidende Rolle
Fakt ist aber auch, dass E-Autos nach wie vor sehr teuer sind?
Bei teuren Standortkosten kann kein billiges Auto entstehen. Hier spielt neben den Faktoren Energie, Rohstoffe, Steuern und Abgaben auch das Thema Bürokratie eine entscheidende Rolle. Ich sage es ganz deutlich: Es braucht einen Paradigmenwechsel. Mehr Vertrauen in die Wirtschaft, kein Misstrauen und übermäßige Regulierung. Insgesamt braucht es jetzt eine umfassende und klare Reformagenda. Auch die Arbeitskosten waren bei uns nie sehr günstig. Deutschland wird beim Thema Standort immer weiter durchgereicht. Und wenn man überall der Teuerste ist, kann man am Ende nicht die billigsten Autos bauen.
Wo soll denn das Vertrauen herkommen, wenn der mutmaßlich nächste Bundeskanzler ein zentrales Wahlkampfversprechen – Festhalten an der Schuldenbremse – mal eben über den Haufen wirft?
Es geht mir um das Vertrauen in die Wirtschaft. Das kritische Bild, was hier teils auch politisch manchmal gezeichnet wurde, ist doch weit weg von der Realität. Eine starke Wirtschaft sichert Wohlstand und Arbeitsplätze und damit letztlich auch Demokratie. Fest steht, dass wir – und damit meine ich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – gerade mit zahlreichen und äußerst komplexen Herausforderungen konfrontiert sind. Und ganz entscheidend ist, dass es jetzt nicht nur neue Investitionen und Verschuldungsprogramme geben darf, sondern auch umfassende und breit angelegte Wirtschaftsreformen geben muss. Wir müssen auch private Investitionen hierzulande wieder attraktiv machen. Das ist ein klarer Handlungsauftrag für die Koalitionäre.
Der Markt für E-Mobilität ist nach dem abrupten Ende der Förderung unter der Ampelkoalition eingebrochen. Erwarten Sie von der neuen Bundesregierung erneute Förderungen?
Das Förder-Aus hat zu einem großen Abriss bei den Verkaufszahlen geführt. Anreize und Maßnahmen müssen für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für die Wirtschaft verlässlich und verstetigt sein. Es gibt verschiedene Instrumente, die grundsätzlich machbar und möglich sind, die Politik könnte zum Beispiel steuerliche Anreize in den Blick nehmen, um E-Autos noch attraktiver zu machen.
Aber Sie fordern keine neue Förderprämie?
Das ist keine Forderung, die der VDA erhebt. Wichtig ist, lang- und mittelfristig Vertrauen aufzubauen. Dafür müssen wir die Probleme des Standorts in den Griff bekommen und über den Ausbau der Infrastruktur das Vertrauen der Verbraucher stärken. Laden muss immer und überall problemlos und kostengünstig möglich sein.
In den USA setzt die Trump-Administration erklärtermaßen wieder auf den Verbrenner-Motor. Und im Gefolge dessen hört man auch von der AfD in Deutschland: Weg mit dem Verbrennerverbot ab 2035. Hat die deutsche Automobilindustrie aufs falsche Pferd gesetzt mit der E-Mobilität oder ist aufs falsche Pferd gejagt worden?
Nein. Ob die USA das so tun werden, wird sich auch noch entscheiden. Klar ist, dass der Hochlauf zur klimaneutralen Mobilität beim Pkw weit, weit überwiegend elektrisch sein wird. Es gibt in der Spitze sicherlich auch noch zusätzliche Notwendigkeiten. Und Lösungen, die für eine gewisse Zeit noch eine stärkere Rolle spielen als zunächst angenommen, wie Hybrid-Antriebe. Und es wird vielleicht auch in mittlerer Zukunft Verbrennerfahrzeuge geben, die dann nur mit erneuerbaren Kraftstoffen, also CO2-neutral, getankt werden können. Wir sollten dabei auch nicht nur an Deutschland, sondern auch an die weltweiten Märkte denken. Die deutsche Autoindustrie steht jedenfalls zu den Pariser Klimaschutzzielen.
Keiner ist fehlerfrei. Es ist insgesamt unterschätzt worden, wie komplex der Hochlauf der E-Mobilität ist und dass es nicht nur damit getan ist, Autos zu bauen.
Hat die Industrie nicht auch gravierende Fehler in der Vergangenheit gemacht?
Keiner ist fehlerfrei. Es ist insgesamt unterschätzt worden, wie komplex der Hochlauf der E-Mobilität ist und dass es nicht nur damit getan ist, Autos zu bauen. Wir sind aber sehr erfolgreich. Deutsche Hersteller bieten 130 Elektroautos weltweit an. Sieben von zehn Elektroautos, die in Deutschland verkauft werden, kommen von uns. Wir sind zweitgrößter Elektrostandort weltweit. Wir haben also Erfolge vorzuweisen. Der Plan geht allerdings erst dann auf, wenn alle Akteure ihre Hausaufgaben machen – vom Netzausbau, bis zur Versorgung mit günstiger Energie.
Auf EU-Ebene greifen jetzt die verschärften CO2-Grenzwerte, und es drohen den Herstellern Milliarden Strafzahlungen. Nun gibt es Brüssel Überlegungen, das abzumildern. Wie ist der Stand? Und reichen die Pläne aus, um die Branche zu stabilisieren?
Brüssel hat sich die Realitäten angeschaut und wie die geopolitische Lage sich entwickelt hat. Richtigerweise hat man auch die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts stark in den Blick genommen, allerdings sind hier bisher nur erste richtige Impulse aus Brüssel zu beobachten. Fest steht, dass Flexibilisierungen notwendig sind und es mehr darum gehen muss, dass die Ziele, die die Politik der Industrie gesetzt hat, auch tatsächlich erreichbar sind. Wir haben in Deutschland das dritte Jahr in Folge Rezession und in ganz Europa große Konjunkturkrisen. Wir brauchen jetzt eine Regulierung, die das einbezieht und ein Umfeld, dass den Markthochlauf der Elektromobilität unterstützt.
Zudem muss geklärt werden, wie es künftig mit der Versorgung mit Rohstoffen aussieht vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen. Die EU hat also noch einige Hausaufgaben zu machen.
Die USA drohen mit Zöllen und die chinesische Konkurrenz drängt mit hoch subventionierten Autos massiv auf den europäischen Markt. Müssen Deutschland und Europa ihre Hersteller und Märkte nicht ebenfalls stärker schützen?
Ich halte das für schwierig. Wir sind auf offene Märkte angewiesen. 70 Prozent unserer Arbeitsplätze in Deutschland haben wir, weil wir exportstark sind. Das heißt, der Zugang zu anderen Märkten ist für uns existenziell. Wir verkaufen zum Beispiel hundertmal so viele Autos in China wie umgekehrt. Das sichert in einem hohen Maße die Finanzierung der Transformation. Und: Durch Wertschöpfungsketten, die wir aufgebaut haben, sichern wir uns nicht nur Märkte, sondern geben auch das Versprechen für Wachstum und Wohlstand in andere Märkte. Es ist schlichtweg falsch und strategisch unklug, den eigenen Standort nicht zu reformieren und ihn stattdessen scheinbar vor anderen schützen zu wollen. So werden wir uns international nicht behaupten können.
Ist Donald Trump der Totengräber der deutschen Autoindustrie?
Nein! Und die deutsche Autoindustrie kann mit Blick auf unsere Zahlen in den USA selbstbewusst agieren. Wir haben knapp 140.000 Beschäftigte in den USA und produzieren dort fast 900.000 Autos pro Jahr. Davon geht die Hälfte in den Export. Diese Autos sind auf offene Märkte angewiesen. Ihre Zahl entspricht etwa der dem, was wir aus Deutschland heraus in die USA exportieren. Also allein hier kann man von einer mehr als ausgeglichenen Handelsbilanz sprechen. Zölle führen am Ende des Tages nur dazu, dass die Verbraucher höhere Preise zahlen, zu Inflation. Und damit bricht Donald Trump eines der zentralen Versprechen an seine Wähler, nämlich die Inflation zu senken. Die aktuellen Turbulenzen an den Börsen in den USA spiegeln die Unruhe bereits deutlich wider.
So wie die Lage im Moment ist, ist ein faktisches Verbrenner-Aus 2035 noch zu halten?
Wir fordern seit längerer Zeit, dass man die Review-Prozesse, also die Überprüfung, vorzieht. Wenn man ein komplexes Projekt hat, das ins Stocken gerät, muss man schauen, welche Teilbereiche man verbessern muss. Aber klar ist: So wie es derzeit energie- und handelspolitisch läuft, wie wenig Absicherungen wir zum Beispiel für Rohstoffe haben, kommt dieses Ziel unter Druck. Und ganz grundsätzlich: Menschen kaufen kein E-Auto, weil Verbrenner verboten werden - sondern weil E-Autos sie überzeugen.
Wie dankbar sind Sie denn den Grünen, dass Sie den Klimaschutz noch in das Paket mit dem Sondervermögen hineinverhandelt haben? Denn davon könnte ja die Autoindustrie profitieren.
Generell ist der Klimaschutz ein zentrales Thema. Wie gesagt, wir bekennen uns zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Wir investieren massiv und haben die Lösungen für eine klimafreundliche Zukunft. Wichtig ist, dass man insgesamt darauf achtet, wie wir aus dem Klimaschutz ein wirtschaftliches Erfolgsmodell machen. Denn nur, wenn die Transformation ein Erfolg für die Wirtschaft, die Menschen und das Klima ist, wird unser Modell kopiert. Und nur dann kommen wir voran - sowohl national, weil hier neue Jobs und Wohlstand entstehen, als auch international, weil man unserem Beispiel folgt.
Wie sehen Sie die Situation bei Ford Deutschland?

Ich kann nichts zu einzelnen Unternehmen sagen. Nur so viel: Die Lage bei Ford ist symptomatisch für das, was ich eben beschrieben habe. Unsere Unternehmen sind mit ihren Produkten wettbewerbsfähig und weltweit führend – unser Standort ist es nicht. Da wären wir wieder bei der Hauptaufgabe für die kommende Regierung. © Kölner Stadt-Anzeiger