Die Formel 1 kehrt am Wochenende aus der Sommerpause zurück. Wir haben uns vor dem Rennen in Zandvoort mit dem RTL-Kommentator Christian Danner über den spannenden Titelkampf, den Audi-Einstieg, Vettel und Schumacher sowie die F1 in Deutschland unterhalten.
Christian Danner, ab Zandvoort zieht die Formel 1 das Tempo wieder an. Wie spannend wird es an der Spitze?
Christian Danner: Es gibt zwei große Themen für die zweite Saisonhälfte. Kann
Wer kämpft denn im Endspurt tatsächlich noch um den Fahrer-Titel?
Das wird kein Zuckerschlecken für Verstappen. Er ist der Favorit und er hat ein großes Polster auf die Konkurrenz. Aber er muss seine gesamte Konzentration darauf verwenden, auch mal einen dritten, vierten oder sogar fünften Platz ins Ziel zu bringen. Und das ist etwas anderes, als jedes Rennen zu gewinnen. Das ist eine andere Herangehensweise.
Kann da noch jemand eingreifen oder ist das, wenn überhaupt, nur McLaren?
Ich glaube, es ist nur McLaren. Die Mercedes sind zwar auch gut unterwegs, aber die sind ein bisschen weit weg, was die Punkte angeht. Bei McLaren ist es in erster Linie Lando Norris, aber auch Oscar Piastri hat ganz fantastische Leistungen gezeigt. Das sind die Herausforderer von Verstappen.
Lando Norris unterlaufen allerdings immer wieder kleinere Fehler.
Ich würde mir nie anmaßen, Lando Norris einen Mentaltrainer zu empfehlen, wie Ralf das macht. Das ist die falsche Herangehensweise. Man kann als ehemaliger Grand-Prix-Fahrer einem jungen Piloten nicht durch ein Abwatschen einen Ratschlag geben. Das ist für mich undenkbar, das ist eine ziemliche Ohrfeige. Ich glaube aber, dass Norris sich weiterentwickeln muss, und da gibt es verschiedene Baustellen. Er muss abgeklärter werden, er muss viel besser starten und er muss sich im Rennen nicht nur auf seinen eigenen Speed verlassen, sondern auch ein bisschen strategischer werden. Aber das lässt sich auch mit einem guten Renningenieur besprechen. Dafür muss man nicht unbedingt einen Mentalcoach haben.
Danner: McLaren ist noch nicht ganz titelreif
Und McLaren generell als Rennstall – können die Titelkampf?
Die fahren erstmals seit längerer Zeit wieder vorne mit. Für die ist das schon neu. Das ist eine komplett neue Generation an Management, Mechanikern, Ingenieuren. Die sind deshalb noch nicht ganz titelreif. Sie machen noch ein paar Fehler, die aber der Tatsache geschuldet sind, dass man unbedingt vermeiden will, Fehler zu machen. Da geht halt auch mal was schief. Aber das nötige Selbstbewusstsein und die Sicherheit in der Entscheidungsfindung werden sie in kürzester Zeit lernen.
Die Saison ging so los wie die letzte aufgehört hatte. Wie kam es dazu, dass jetzt vier Teams mehr oder weniger auf Augenhöhe siegfähig sind?
Das ist die Frage, die sich jeder stellt im Fahrerlager. Es war fast undenkbar, dass die anderen Verstappens riesigen Vorsprung von fast einer Sekunde innerhalb von einem halben Jahr aufholen. Es ist aber passiert und das zeigt, dass inzwischen alle Top-Teams das Thema, um das es geht, verstanden haben. Heißt: Bei den aerodynamischen Kleinigkeiten, die dazu führen, dass der Fahrer mal ein gutes, mal ein schlechtes Gefühl hat, haben alle kapiert, was der Fahrer braucht. Und jetzt sind Mercedes, Ferrari, McLaren und Red Bull auf Augenhöhe. Und sowas hat es in den letzten Jahren in der Formel 1 nicht gegeben. Das ist eine ganz besondere Situation.
Wie sehen Sie die Situation bei Red Bull? Erleben wir eine schleichende Wachablösung?
Ja, auf jeden Fall. Alle guten Dinge kommen irgendwann mal zu einem Ende. Das fing mit dem Weggang von Adrian Newey an, hinzu kommt der Abgang von Jonathan Wheatley, dazu die wackelige Situation um Verstappen, der das Team immer wieder kritisiert. Ob das noch lange gut geht – ich weiß es nicht. Aber es ist ganz klar zu sehen, dass die Konkurrenz nicht nur viele Red-Bull-Leute abwirbt, sondern auch an Selbstbewusstsein gewonnen hat. Und das ist eigentlich das Entscheidende und deswegen ist man jetzt auf Augenhöhe.
Es wird ja seit Monaten spekuliert: Wann verlässt Verstappen denn jetzt den Rennstall?
Durch die Affäre um Christian Horner ist das Vertrauensverhältnis angeknackst. Verstappen wird schlicht und einfach dorthin gehen, wo er das beste Auto bekommt. Ob das jetzt Mercedes ist oder vielleicht Aston Martin oder Red Bull bleibt, können wir jetzt noch nicht so ganz absehen. Schwierig ist es, weil die Formel 1 2026 einen neuen Reglementzyklus beginnt. Es gibt andere Motoren, eine andere Aerodynamik, andere Reifen. Es wird alles anders. Und da ist es schon schwierig, den Richtigen zu treffen, damit er auch von Anfang an vorne mitfahren kann.
Verstappen weiß, was die Konkurrenz macht
Wie trifft man als Fahrer so eine Entscheidung?
Verstappen ist ja nicht uninformiert. Er bekommt mit, was los ist, was die Konkurrenz so macht. Er spricht mit den Leuten. Gerade er kann mit jedem offen sprechen und sagen: 'Pass auf, ich habe Interesse, zeig mal, was du mir bieten kannst.' Und dann bekommt er auch alles gezeigt, wenn man Verstappen wirklich haben will. Er ist in der Lage, sich ein Bild zu machen, weil er der Fahrer ist, den alle gerne im Cockpit hätten.
Warum hat sein Teamkollege Sergio Perez bei Red Bull eigentlich so ein freies Geleit? Früher wäre er seit einem Jahr weg gewesen, jetzt setzt man so den Konstrukteurstitel aufs Spiel…
Das ist sicherlich eine andere Herangehensweise, aber das ist wohl der Tatsache geschuldet, dass man keine richtig schlüssige Alternative hat. Daniel Ricciardo ist keiner, der in den letzten Jahren die Welt begeistert hat. Liam Lawson ist ein junger Mann, der ein paar Grand Prix gefahren ist und überzeugt hat. Aber die Gefahr, dass man den verheizt, ist relativ groß. Und dann hat man noch weniger als das, was Perez leistet. Und Yuki Tsunoda hat nicht die Klasse von Perez. Deshalb hat man am Ende das kleinere Übel gewählt.
Bei Mercedes kann ja
Er wird dort mit Sicherheit auf Anhieb sehr, sehr schnell sein. Weil Lewis Hamilton nach wie vor eine echte Hausnummer in der Formel 1 ist. Inwieweit er da in Sachen Politik und italienische Presse unter die Räder gerät, hängt sehr davon ab, wie abgeklärt er das gemeinsam mit Teamchef Fred Vasseur löst. Fred und Lewis kennen sich seit vielen Jahren. Und Leclerc hat einen so guten Fahrer wie Hamilton noch nie im Team gehabt. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich das entwickelt. Und ich bleibe dabei: Es wird sehr an Fred Vasseur hängen, am Teamchef, wie er das Ganze managt.
Wie wird das mit Hamilton und Leclerc laufen?
Sehr professionell, da wird nichts passieren. Die werden sich relativ schnell respektieren und merken, dass der andere auch ganz gut ist und sich dann auf ihre eigenen Fähigkeiten fokussieren.
Welche Rolle kann Ferrari in den kommenden Monaten noch spielen?
Wir haben Red Bull, Mercedes, Ferrari und McLaren in einem Zeitbereich von maximal drei Zehntelsekunden. Jetzt kommt es sehr darauf an, inwieweit Ferrari Fortschritte macht. Ich kann mir vorstellen, dass sie das aufholen. Und dann bricht bei Ferrari sofort wieder die große Euphorie aus. Diese Emotionalität gehört bei ihnen zur DNA. Wenn es gut läuft, läuft es besonders gut, und wenn es schlecht läuft, läuft es besonders schlecht. Aber um den Titel werden auch sie nicht mehr fahren.
F1-Experte Danner: Verstappen holt den Titel
Wer wird sich den Titel am Ende sichern?
Max Verstappen, weil er der beste Fahrer im Feld ist. Er ist überragend in der Fähigkeit, aus schwierigen Situationen trotzdem etwas zu machen und ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Titel nach Hause bringen wird.
Wie beurteilen Sie die Saison von
Wenn er nicht schon so lange dabei wäre, wäre er die Entdeckung des Jahres. Er ist trotzdem irgendwie die Entdeckung des Jahres. Dass er so toll, konstant und so verlässlich fährt, ist Meisterklasse. Das hat ihn geadelt. Da gibt es keine Skandale, da gibt es keine Crashes, da gibt es nichts. Der fährt einfach sauschnell und saugut.
Er fährt 2025 für Sauber. Die straucheln sportlich, bei Audi ist personell eine Menge los, ein zweiter Fahrer fehlt immer noch. Müssen wir uns Sorgen machen?
Grund zur Sorge besteht aus meiner Sicht definitiv. Zum Erfolg gehören letztlich nicht nur viel Glück, sondern auch viele Milliarden. Ich betone: viele Milliarden. Denn so einfach ist es nicht, McLaren, Ferrari, Red Bull und Mercedes zu schlagen. Da herumzufahren, wo der Sauber jetzt fährt, das kann man schon schaffen. Aber damit ist der Anspruch von Audi im Leben nicht erfüllt. Das ist eine große Aufgabe, die sie sich da angetan haben. Das heißt nicht, dass sie es nicht schaffen können, aber es ist ein unglaublicher Aufwand, um einigermaßen mitzuhalten. Dass Audi reicht, wenn man Fünfter, Sechster oder Siebter wird, glaube ich nicht.
Haben Sie ernsthafte Zweifel an dem Projekt?
Ich habe meine Zweifel, denn sie haben nicht nur das langsamste Auto, sondern auch ein völlig neues Reglement vor der Brust. Sie haben Leute, die sich auskennen in der Formel 1, wie Mattia Binotto oder Jonathan Wheatley. Personen wie Wheatley müssen nun erstmals unterschiedliche Interessengruppen auf einen Nenner bringen. Und Binotto muss die Milliarden freischaufeln. So wie er jetzt dasteht, muss er gar nicht anfangen. Da muss schon noch was passieren. Es ist eine unglaublich schwierige und große Aufgabe. Und eine Sache ist ganz klar: Die schwere Fahrersuche hat ihre Gründe. Wenn jemand wie Carlos Sainz nur im Ansatz glauben würde, dass es was wird bei Audi, dann wäre er sofort hin.
Was ist ein realistischer Zeithorizont, bis Audi konkurrenzfähig vorne mitfahren kann?
Fünf Jahre, von 2026 an.
2031? Die Geduld werden sie wohl kaum haben, oder?
Es würde mich wundern, wenn sie so viel Geduld hätten. Audi wäre nicht der erste Automobilhersteller, der sagt, man wolle Weltmeister werden und dann irgendwann doch den Stecker zieht. Automobilhersteller tendieren dazu, die Bühne der Formel 1 zu betreten, sie aber auch wieder zu verlassen, und zwar nach eigenem Ermessen. Deshalb ist ein Automobilhersteller nicht immer ein Segen für die Formel 1. Das hat Max Mosley, der ehemalige Präsident der FIA, immer wieder erwähnt und er hatte letztlich auch Recht.
Im Nachhinein ist das müßig, aber hat Nico Hülkenberg mit dem Wechsel einen Fehler gemacht?
Nein, da kommt es auch immer auf die Alternativen an. Er hätte bei Haas weiterfahren oder seinem Girokonto mal was Gutes tun können in einem Stadium seiner Karriere, wo er noch zwei, drei, vielleicht vier Jahre hat, um in der Formel 1 zu fahren. Da würde ich mich auch für das Girokonto entscheiden und dann hoffen, dass das Sportliche auch kommt. Denn wo ein Fahrer hingeht, will er auch Erfolg haben. Seine Entscheidung ist zu 100 Prozent richtig, vor allem kann er zum potenziellen Erfolg dieses Teams etwas beitragen. Ich hoffe, dass er einen guten Teamkollegen bekommt, idealerweise Valtteri Bottas. Der ist stabil, der ist schnell und dann geht das gemeinsam viel besser als mit irgendeinem Neuling.
Die Silly Season lässt grüßen: Aktuell gibt es Gerüchte, dass Sebastian Vettel der zweite Fahrer werden könnte. Halten Sie das für realistisch?
Ich kann nur meine eigene Meinung sagen: Ich halte das für ausgeschlossen. Fertig.
Wie schätzen Sie die Situation von Mick Schumacher ein?
Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass er in die Formel 1 zurückkehrt. Denn solange es noch freie Plätze gibt wie bei Alpine, gibt es immer Hoffnung. Aber wenn man schaut, wer sonst noch so auf dem Markt ist und was es für Möglichkeiten gibt – für ihn wird es sehr schwierig.
Er wäre ohne Platz 2025 drei Jahre raus. Ist der F1-Traum damit zu 90, 95 Prozent ausgeträumt?
Ja, das ist so, aber das weiß er selbst auch. Deswegen kämpft er ja so verbissen um den Platz. Ich drücke ihm ganz fest die Daumen, dass es klappt, denn wenn es für das kommende Jahr nichts wird, ist es fast ausgeschlossen, dass er noch einmal einen Schritt zurück in die Formel 1 machen kann. Das ist tatsächlich ein bisschen wie eine letzte Chance, würde ich sagen.
Sehen Sie ihn dann mittelfristig dann weiter in der WEC?
Das kommt darauf an, wie viel Spaß ihm das macht. Er fährt da um die Plätze zwölf bis 15. Ob ihm das reicht, weiß ich nicht. Und das Format mit mehreren Fahrern hatte er so vorher auch nicht. Ich habe das auch alles gemacht. Das ist toll, aber es ist anders. Und da muss man sich die Frage stellen: 'Mag ich das?' Wenn ihm das gefällt, sehe ich dort eine gute Zukunft für ihn, dass er sich etablieren kann. Aber es muss ihm Laune machen.
Lesen Sie auch
Er ist zwar auch Mercedes-Ersatzfahrer, aber bei den Silberpfeilen sieht alles nach dem Supertalent Andrea Kimi Antonelli aus…
Das ist auch wahnsinnig spannend, denn er fährt im Mittelfeld der Formel 2 herum. Ja, er hat auch mal gewonnen, aber er fährt echt mittelmäßig im Moment. Aber bei Mercedes glaubt man fest an ihn und wenn das so ist, dann werden sie schon wissen, warum. Verstehen tue ich es nicht, aber dann gehe ich davon aus, dass sie mehr wissen als ich.
Aus deutscher Sicht gibt es in Tim Tramnitz und Oliver Goethe zwei Talente, die in der Formel 3 fahren, dazu als Red-Bull-Junioren. Was trauen Sie den beiden zu?
Beide sind heißes Formel-1-Material, ganz klar. Bei Goethe ist die zweite Saison ein bisschen zäher als die erste, für Tramnitz läuft die erste eigentlich prima. Da ist der nächste Schritt ganz wichtig. Wie geht es weiter? Fahren sie beide Formel 2 oder fährt Tramnitz nochmal Formel 3? Vom reinen Potenzial her haben wir hier zwei Deutsche, die ganz fantastisch qualifiziert sind. Und da beide Red-Bull-Junioren sind, steht ihnen die Welt eigentlich offen.
Kehrt die Formel 1 nach Deutschland zurück?
Wie groß ist bei Ihnen die Hoffnung, dass die Formel 1 in absehbarer Zeit nach Deutschland zurückkehrt?
Ich habe mit dem Präsidenten des Automobilclubs von Deutschland (Ausrichter des Deutschland-GP, Anm.), Lutz Leif Linden, ein Meeting gehabt. Da ist permanent Bewegung drin und das einzige Problem ist die Ziffer, die F1-Boss Stefano Domenicali an Antrittsgeld haben will. Einen WM-Lauf in Deutschland zu haben, wäre toll, aber das ohne staatliche Subventionen hinzubekommen – da wären wir das einzige Land der Welt, das dies schafft. Ohne staatliche Subventionen ist das nicht zu machen. Der Motorsport ist in Deutschland als einziger Sport per se ausgeschlossen von Förderungen. Das hat man mal so beschlossen. Dann muss man jetzt damit leben, dass man keinen WM-Lauf hat.
Glauben Sie, dass der Einstieg von Audi da etwas bewirken kann?
Der bewirkt natürlich, dass Domenicali wohlwollend mit dem Thema umgeht. Aber bezahlen muss am Ende trotzdem irgendjemand. Und es kann ja nicht sein, dass derjenige, der die Bühne betritt, dafür bezahlen muss, dass die Bühne steht.
Über den Gesprächspartner
- Christian Danner absolvierte zwischen 1985 und 1989 insgesamt 36 Rennen in der Formel 1, daneben fuhr der 66-Jährige unter anderem auch in der DTM und in der WEC. Seit 1998 ist Danner als Co-Kommentator und Formel-1-Experte für RTL im Einsatz.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.