Die Karriereenden von Philipp Lahm und Xabi Alonso, eine holprige Vorbereitung und ein neuer Sportdirektor: Die vergangenen Wochen haben den FC Bayern München ziemlich durchgeschüttelt. Ein Problem auf dem Weg zum sechsten Meistertitel in Folge? Oder nur eine Randnotiz am Beginn einer neuen großen Bayern-Ära? Eine Prognose.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Am Freitag eröffnet der FC Bayern die 55. Bundesliga-Saison mit der Auftaktpartie gegen Bayer Leverkusen.

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Wer sind die Schlüsselspieler? Was für eine Saison wird Thomas Müller spielen? Und welche Spieler müssen um ihren Stammplatz kämpfen? Zehn Thesen zur Bayern-Saison 2017/2018:

1. These: Bleibt Thiago fit, wird Bayern Meister

Thiago ist der einzige Spieler im Bayern-Kader, der als Spielertyp keinen logischen Ersatzmann hat.

Selbst Robert Lewandowski ist durch Thomas Müller zumindest theoretisch zu ersetzen.

Thiago ist es eins zu eins nicht. Zu außergewöhnlich, zu elegant, zu kreativ ist sein Spiel.

Er gibt den simplen Strukturen Ancelottis mit, aber auch gegen den Ball den Schuss Genialität, den die Bayern brauchen, um erfolgreich zu sein.

An seiner Fitness hängt in diesem Jahr sehr viel. Fällt er lange aus, könnte es gerade gegen tiefstehende Gegner zäh werden.

Nur dann eröffnet sich eine Chance für Dortmund, Leipzig, Hoffenheim und Co. Bleibt Thiago fit, wird Bayern Meister.

2. These: Müller ist wieder Müller

13 Tore, 13 Tore, 13 Tore, 20 Tore ... 5 Tore. Viel ist in der vergangenen Saison über Thomas Müller diskutiert worden.

Blickt man auf die Torausbeute der letzten fünf Jahre, ist das verständlich.

Und doch zeigt schon die Statistik der Vorsaison, dass es keinen krassen Leistungsabfall gab.

Müller schoss in der Bundesliga pro 90 Minuten zweimal aus dem Strafraum aufs Tor (durchschnittlicher Wert) und bereitete über zwei Torschüsse vor (Top-Wert). Er ließ einfach zu viele klare Chancen liegen. Nun ist seine Paraderolle hinter und neben Lewandowski in Ancelottis 4-2-3-1-System wieder frei.

Müller wird wieder Müller. Auch vor dem Tor.

3. These: Rudy wird wichtiger als James

Viele blickten mit Skepsis auf die Verpflichtung von Sebastian Rudy.

Rode, Kirchhoff, Schlaudraff - Beispiele für Fehleinkäufe waren schnell parat.

Doch Rudy hat bessere Startvoraussetzungen. Er ist mit 27 Jahren in seiner Entwicklung bereits weit fortgeschritten.

Seine Handlungsschnelligkeit, sein Blick für entscheidende Dynamiken auf dem Feld, sein starkes Passspiel und seine Spielintelligenz werden ihn zu einem wertvollen Bestandteil in dieser Bayern-Saison machen.

James hat dagegen keine logische Position und in der Offensive Weltklasse-Konkurrenz.

Er wird sich nach der Rückkehr von seiner Verletzung zunächst als Joker bewähren müssen.

Sein Transfer brachte viel Aufmerksamkeit. Aber wichtiger wird in der kommenden Saison Sebastian Rudy sein.

4. These: In Europa ist nichts zu holen

Die große Schwächephase der englischen Teams ist vorbei. Mit Manchester United, Manchester City und dem FC Chelsea drängen starke Teams mit starken Trainern zurück an Europas Spitze.

Hinzu kommen Real Madrid, der FC Barcelona und wohl auch Paris St. Germain.

Der FC Bayern hat in dieser Saison weder den besten Kader, noch den besten Trainer und nach dem Abgang von Lahm und Alonso auch nicht die größte Erfahrung für den ganz großen Wurf.

Der Abstand zur europäischen Spitze ist in diesem Sommer nicht nur ein Stück größer geworden. Die Spitze ist auch wieder breiter geworden. Der FC Bayern muss sich wieder hinten anstellen.

5. These: 4-2-3-1 oder nix

Ganz gleich wie viele Argumente es für eine Dreierkette gibt - Ancelotti wird sie nicht spielen lassen.

Auch das 4-3-3, das Ancelotti zu Beginn seiner Amtszeit praktizierte, wird wenn überhaupt eine Ausnahme bleiben, um James besser einzugewöhnen.

6. These: Renato Sanches wird verliehen

Es gibt einfach keinen realistischen Weg zu Spielanteilen für den jungen Portugiesen. Tolisso, Thiago, Vidal, Rudy - im Prinzip sogar Kimmich und Martínez: Die Konkurrenz im zentralen Mittelfeld ist enorm.

Sanches muss spielen, um das sichtbar angekratzte Vertrauen in sein Spiel wiederzuerlangen.

In München wird er diese Gelegenheit kaum bekommen. Er wird verliehen werden. Entweder jetzt oder im Winter.

7. These: Boateng muss kämpfen

Am 1. Dezember 2012 wurde Jerome Boateng im Spiel gegen Borussia Dortmund für den schwer verletzten Holger Badstuber eingewechselt.

Seitdem ist er bis auf einige verletzungsbedingte Pausen aus der Innenverteidigung nicht mehr wegzudenken. Das könnte sich ändern.

Mats Hummels hat mit seinem Spiel und seinem Auftreten längst eine Führungsrolle eingenommen.

Javi Martínez hat im Vorjahr bis auf wenige Ausnahmen überzeugt.

Hinzu kommt mit Niklas Süle ein hungriger, kompromissloser Verteidiger, der ziemlich gut zu Hummels passt.

Boateng wird sich strecken müssen, um in den Top-Spielen weiter erste Wahl zu sein.

8. These: Kimmich wird zum Star

Der 22-Jährige hat alle Möglichkeiten, den FC Bayern über Jahre zu prägen.

Kimmich ist mit seinem starken Aufbauspiel und seiner bemerkenswerten Klarheit in Strafraumnähe als Rechtsverteidiger ein Plus in vielen Spielsituationen.

Er hat nach dem Rücktritt von Lahm freie Bahn und ist schon jetzt in der Lage, die Mannschaft auch mit seiner Persönlichkeit mitzureißen und anzutreiben.

Kimmich wird in der Saison 2017/2018 endgültig zum Star.

9. These: Robbery lebt weiter

Uli Hoeneß hat am vergangenen Wochenende betont, wie wichtig es für den Verein ist, Ribéry und Robben bei Laune zu halten.

Eine Jokerrolle ist dabei nicht vorgesehen - selbst wenn diese vor allem für Franck Ribéry sehr viel Sinn ergeben würde.

Die statistischen Werte sprechen weiter für sich. Ribéry war im Vorjahr alle 17 Minuten an einem Torschuss beteiligt - Arjen Robben alle 13.

Stoppen können beide, auch mit Mitte 30, nur Verletzungen.

10. These: Ancelotti muss liefern - oder gehen

Die Signale von Rummenigge und Hoeneß sind eindeutig: James und Tolisso? Wunschspieler des Trainers. Sagnol und Salihamidzic? Notwendige neue Reize, die intern den Druck auf die Mannschaft erhöhen sollen.

Der Verein - so die Botschaft - habe alles getan, um eine erfolgreiche Saison zu garantieren.

Jetzt muss der Coach liefern. Carlo Ancelotti hat nicht alles davon gefallen, aber es ist vielleicht seine größte Qualität, all das stoisch hinzunehmen, die Bedingungen zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.

Unter Druck steht er in jedem Fall von Anfang an. Ancelotti muss liefern oder schon vor Ablauf seines Vertrages bis 2019 gehen.


Steffen Meyer ist Autor und Taktik-Spezialist beim FC-Bayern-Blog "Miasanrot.de", der 2014 als Sportblog des Jahres ausgezeichnet wurde und 2016 für den Deutschen Fußball-Kulturpreis nominiert war. Auf Twitter ist er als @derbayernblog zu finden und als Moderator im Gut Sport Podcast zu hören. Für uns schreibt er als Kolumnist über die Bayern-Saison 2017/2018.
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