• Deutschland hat es mit einem 2:2 gegen Ungarn gerade so ins Achtelfinale geschafft.
  • Löw verspricht eine gute Vorbereitung gegen den EM-Mitfavoriten England.
  • Das DFB-Team erkennt seine Schwächen an - doch die Chancen gegen England stehen gar nicht schlecht.
Eine Analyse

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Vielleicht fasste die Szene in der letzten Minute der Nachspielzeit den Abend dann doch noch einmal bündig zusammen. Die Ungarn probierten noch einen letzten verzweifelten Angriff, spielten den aber im Mittelfeld Toni Kroos in die Beine.

Deutschland mit der großen Konterchance, drei Spieler in Schwarz rannten gegen einen Ungarn auf deren Tor zu. Leroy Sane - einer der schnellsten deutschen Spieler - trieb den Ball nach vorne, in der Mitte lauerten schon Kevin Volland und Jamal Musiala auf das Zuspiel.

Eine Kleinigkeit eigentlich für einen Profi, den Pass über ein paar Meter an den oder die Mitspieler zu bringen mit der Konsequenz einer glasklaren Torchance. Es wäre der mögliche Siegtreffer für die deutsche Mannschaft gewesen und damit der Gruppensieg. Sane spielte den Pass aber nicht flach und präzise temperiert zur Mitte - sondern halbhoch, viel zu scharf und ungenau. Ein Bastard von einem Zuspiel, das ins Seitenaus trudelte.

Deutschland als Gruppenzweiter: Mindestanforderung erfüllt

Letztlich blieb es eine folgenlose Episode, die deutsche Mannschaft schaffte auch ohne ein drittes Tor den Einzug ins Achtelfinale der Europameisterschaft. Zwar "nur" als Gruppenzweiter, aber in einer Staffel mit den Ungarn, mit Weltmeister Frankreich und Europameister Portugal ist das gar nicht so schlecht.

Die deutsche Nationalmannschaft hat die (schwere) Mindestanforderung erfüllt, aber auch nach drei Spielen gegen jede Couleur an Gegner weiß man immer noch nicht so genau, was diese Mannschaft denn nun kann und wo sie steht.

Kein Plan gegen tief stehende Mannschaften

Klar dürfte nach dem ebenso dramatischen wie fußballerisch schwachen 2:2 gegen die Ungarn sein, dass die Mannschaft von ihrer ehemaligen Vormachtstellung noch meilenweit entfernt ist. Gegen tief stehende Mannschaften hat das Team von Joachim Löw weiter massivste Probleme und stößt überraschend schnell an seine Grenzen.

Deshalb war die Mannschaft bis wenige Minuten vor dem Ende auch ausgeschieden, Platz vier und nach der WM-Blamage schon wieder nur Momente entfernt von der EM-Blamage.

"Natürlich hatte ich Sorge. Wir haben uns brutal schwergetan. Wir standen auch bei eigenem Ballbesitz nicht wirklich gut", sagte Joshua Kimmich nach dem Spiel im ZDF und sprach die wichtigsten Punkte an.

Die Flügel stumpf, das Zentrum lahmgelegt

DFB-Spiele können mittlerweile regelrechte Achterbahnfahrten sein, man weiß als Fan oder Beobachter nie, was man bekommt. In der Offensive fehlten trotz der eindeutig besseren Einzelspieler Kreativität und Ideen und auch ein Plan, wie man die Pattsituation gegen die Ungarn hätte auflösen können.

Die verteidigten wenig überraschend mit einer tiefen Fünferkette und spiegelten damit quasi die höchste deutsche Linie, brachten immer wieder Mann-gegen-Mann-Situationen zustande und gewannen dann die Zweikämpfe mit ihrer aggressiven, bissigen Art. Deshalb waren die deutschen Flügel schnell lahm gelegt.

Und weil das Spiel durch das Zentrum auch im dritten Spiel in Folge trotz Toni Kroos, Ilkay Gündogan und Kai Havertz völlig ungefährlich bleibt und Löw in der Besetzung der Halbräume daneben lag, hatte Deutschland mal wieder kaum Torchancen gegen eine aufopferungsvoll und konzentriert verteidigende Mannschaft.

Goretzka: "Das darf natürlich niemals passieren"

So vieles erinnerte an das schmachvolle 1:2 vor einigen Monaten gegen Nordmazedonien und wer noch ein wenig weiter zurückdenken wollte, dem fielen sofort die Auftritte bei der WM in Russland ein, zuvorderst das blamable 0:2 gegen Südkorea.

Alleine die Sequenz nach dem ersten Ausgleich durch Havertz, als die Ungarn nach dem Wiederanpfiff mal wieder einen Ball nur weit nach vorne schlugen, sich aber auf eine unerklärliche deutsche Fehlerkette verlassen konnten und nur 15 Spielsekunden nach dem deutschen Gegentreffer wieder nachlegten, sprach Bände.

"Was gar nicht passieren darf, ist die Situation nach dem 1:1. Das haben wir schon angesprochen. Bei Standards sind wir nicht schnell genug wieder auf dem Platz. Du hast das erlösende 1:1 gemacht und dann fällt das 2:1, das darf natürlich niemals passieren, wenn du bei so einem Turnier etwas erreichen willst", sagte Goretzka.

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Immerhin: Die Protagonisten wollten erst gar nichts schönreden, sondern waren in ihren Analysen glasklar. Bis auf Löw vielleicht, der etwas zu sehr die "gute Moral" seiner Mannschaft herausstellte, aber wenig an seinem Matchplan oder seiner Personalauswahl auszusetzen hatte.

"Wir wussten, Ungarn haut alles rein und läuft alles zu, so lange es geht. Am Ende durch diese Gruppe durchzukommen, das war gut und das war das Ziel. Frankreich hat auch nur 1:1 gegen Ungarn gespielt, die sogenannten Kleinen hauen alles rein, es war nicht einfach, sie haben nichts zu verlieren. Aber am Ende zählt, das wir weiter sind", lautete ein Teil von Löws Fazit.

England dürfte der DFB-Auswahl besser liegen

Und weil die deutsche Mannschaft weiter ist und weil Sane den Ball nicht auf Musiala oder Volland passen konnte und Deutschland damit den möglichen Gruppensieg verpasst hat, kommt es nun am Dienstag zum ewig jungen Duell mit England. In London, im Wembley-Stadion, vor wahrscheinlich rund 50.000 Fans. Aufgrund der strikten Corona-Auflagen wohl ohne deutsche Fans. Mehr Rivalität und mehr Auswärtsspiel geht nicht.

Aber: Diese Partie wird eine ganz andere werden als jene gegen die Ungarn. England spielt im 4-2-3-1 und England wird nach vorne spielen. Die Engländer haben bisher auch noch keine Wunderdinge vollführt, ganz im Gegenteil gibt es seit Tagen heftige Personaldebatten und der ehemals unantastbare Trainer Gareth Southgate steht unter einem unglaublichen Druck von Medien und Fans. Nichts anderes als der EM-Titel wird erwartet, jetzt, da London Austragungsort beider Halbfinals und des Finales sein darf und England die besten Einzelspieler aller Zeiten zu einem Turnier schickt.

Die Fallhöhe für die "Three Lions" ist enorm, Deutschland dürfte angesichts der Umstände keinesfalls als Favorit in die Partie gehen. Das eröffnet ganz andere Möglichkeiten, so viel kann man jetzt schon sagen. "Das ist jetzt ein absolutes Highlight, wenn man gegen England in Wembley spielen kann. Wir werden gut vorbereitet sein und anders auftreten, das kann ich versprechen", sagte Löw.

Hoffnung bei Löw: England-Spiel als Wendepunkt

Der Bundestrainer weiß ganz genau um die Unwägbarkeiten eines langen Turniers und er weiß auch, dass manchmal eben auch etwas Glück und eine rumpelige Partie vonnöten sind, um daraus dann neue Energie und Schwung zu generieren.

Auf dem Weg zum WM-Titel 2014 war das beim Spiel gegen renitente Algerier so, die Deutschland am Rande einer Niederlage hatten. Danach war der Mannschaft klar, dass sie auch Widerstände überwinden und mit den typisch deutschen Tugenden auch Spiele gewinnen kann. Auf diesen Effekt könnte man nun auch hoffen: auf das England-Spiel als Wendepunkt.

"Es ist ein ganz anderes Spiel. Man hat es ja gesehen, wenn wir gegen spielstärkere Mannschaften spielen. Wir haben klasse Jungs und trotzdem Selbstvertrauen, auch wenn wir 2:2 gegen Ungarn gespielt haben. Es ist ein K.o.-Spiel, wir wollen weitergehen. Wembley liegt uns", so Kapitän Manuel Neuer.

Deutschland rutscht in die leichte Hälfte des Turnierbaums

Denn so ärgerlich die Darbietung gegen die Ungarn auch war, so unerklärlich der von Sane verschlampte Konter kurz vor Schluss und damit die Aussicht auf die Schweiz als Gegner im Achtelfinale: Dadurch ist die deutsche Mannschaft erst in den deutlich leichteren Turnierbaum gerutscht. In der "deutschen Hälfte" sind von den Favoriten die Niederlande und eben England dabei.

Belgien, Portugal, Spanien, Frankreich und die bisher überragenden Italiener: Sie alle tummeln sich im anderen Zweig und nehmen sich auf dem Weg nach Wembley früher oder später selbst aus dem Turnier.

Es klingt nach einem schwachen Spiel wie nun gegen Ungarn etwas komisch, aber die Chance auf den Einzug ins Finale der Europameisterschaft ist nun völlig klar umrissen.

Verwendete Quelle:

  • sueddeutsche.de: "Wembley liegt uns"
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