Shkodran Mustafi wurde 2014 mit dem DFB-Team in Brasilien Weltmeister. Zehn Jahre später wird der Verteidiger als MagentaTV-Experte von der Heim-EM berichten. Im Interview spricht der 31-Jährige über seine Erwartungen an die deutsche Nationalmannschaft und verrät, dass er seine Fußballschuhe noch nicht an den Nagel hängen will.

Ein Interview

Bei der Europameisterschaft 2024 wird Shkodran Mustafi das Expertenteam von MagentaTV um Michael Ballack, Tabea Kemme und Co. verstärken. Als Weltmeister von 2014 und Fußballprofi, der in den europäischen Top-Ligen in Deutschland, England, Italien und Spanien gespielt hat, kann der 31-Jährige mit Erfahrung und Expertise punkten.

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Unsere Redaktion hat mit dem Abwehrspieler über seine Erwartungen an das DFB-Team bei der Heim-EM, seine persönlichen Zukunftspläne und sein Aufgabenfeld als Experte des Streaming-Anbieters gesprochen, der alle 51 EM-Spiele live übertragen wird.

Herr Mustafi, MagentaTV hat nach eigenen Angaben eine "Nationalmannschaft der Sportberichterstattung" für die EM 2024 zusammengestellt, zu der neben Ihnen auch Michael Ballack gehören wird. Als Profi haben Sie nie mit dem "Capitano" zusammengespielt, als Experte kommen Sie nun in den Genuss. Geht damit auch für Sie ein Traum in Erfüllung?

Shkodran Mustafi: Zunächst einmal habe ich wirklich nicht damit gerechnet, dass ich mit 31 als Experte unterwegs sein würde. Und gehofft habe ich es eigentlich auch nicht, weil ich schon noch gerne etwas länger gespielt hätte. Leider haben mir meine Verletzungen da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber jetzt macht es unheimlich viel Spaß, mein Wissen und meine Erfahrungen als Experte weiterzugeben, weil ich den Fußball auf diese Weise noch einmal von einem ganz anderen Blickwinkel aus erleben darf. Ich freue mich riesig auf die Zusammenarbeit mit Michael Ballack, Tabea Kemme und Co. – das ist schon ein tolles Team.

Kommt es Ihnen zugute, dass Sie bis vor kurzem noch selbst auf dem Platz gestanden haben?

Ja, das ist schon hilfreich. Ich glaube, dass ich noch ganz gut nachvollziehen kann, was auf dem Platz oder in der Kabine passiert. Ich kenne die Gedankengänge und Gefühle eines Fußballprofis aus eigener Erfahrung. Besonders gespannt bin ich auf die Stimmung bei dieser EM im eigenen Land und hoffe auf ein sehr erfolgreiches Abschneiden der deutschen Mannschaft. Es wäre großartig, wenn sich das Sommermärchen-Feeling von 2006 wiederholen würde. Das Land könnte es ganz gut gebrauchen.

"Er hat einfach nur die Zeit gebraucht, um sich einzuleben und sich in seiner neuen Rolle zurechtzufinden."

Mustafi über DFB-Trainer Julian Nagelsmann

Damit es dazu kommt, muss natürlich auch das DFB-Team entsprechend abliefern. Nach dem enttäuschenden Jahresausklang 2023 prophezeiten der Mannschaft viele ein EM-Desaster. Nun haben zwei Testspielsiege im März gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) offenbar gereicht, um vom EM-Titel träumen zu dürfen. Wo liegt die Wahrheit?

Für mich persönlich ist die Wahrheit, dass wir eine Mannschaft haben, die um den Titel mitspielen kann. Außerdem haben wir mit Julian Nagelsmann einen Trainer, von dem ich überzeugt bin. Ich glaube, er kann die Mannschaft gut packen. Er hat einfach nur die Zeit gebraucht, um sich einzuleben und sich in seiner neuen Rolle zurechtzufinden. Es ist ein großer Unterschied, ob du einen Verein oder eine Nationalmannschaft trainierst. Als Bundestrainer hast du die Jungs nicht täglich an deiner Seite und weniger Zeit, den Spielern taktische Vorgaben und eine Spielidee zu vermitteln. Sowohl gegen Frankreich als auch gegen Holland habe ich Deutschland taktisch und fußballerisch auf einem Top-Niveau gesehen.

Hat Julian Nagelsmann bei seiner im Vorfeld viel diskutierten Nominierung alles richtig gemacht?

Ja, ich bin der Meinung, dass er genau richtig nominiert hat, weil er nach dem Leistungsprinzip gegangen ist. Julian Nagelsmann hat den momentanen Leistungen entsprechend nominiert. Natürlich hat es mich überrascht, dass er kurz vor dem Turnier so viele neue Gesichter eingeladen hat. Aber die Jungs sind in einem Flow und das ist mit Blick auf ein großes Turnier sehr wichtig. Spieler, die zuvor im Verein Erfolge feiern konnten, bringen diese Stimmung mit zur Nationalmannschaft. In Verbindung mit Toni Kroos, der mit seiner Rückkehr im Land eine gewisse Euphorie ausgelöst hat, scheint da etwas zusammenzuwachsen.

Darum sind Automatismen für ein Turnier eminent wichtig

Erreicht der Trainer die neu dazugekommenen Spieler besser als die zuvor aussortierten?

Sie haben in diesen zwei Spielen das aufgenommen und umgesetzt, was der Trainer von ihnen verlangt hat. Dass eine deutsche Nationalmannschaft nach vorne so frei und kreativ kombiniert, habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Sie sind vorne wiederholt zu Abschlüssen gekommen. Trotzdem haben sie gut nach hinten gearbeitet und es den Gegnern schwer gemacht, indem sie geschlossen hinten den Ball gekommen sind. Man hat eine Einheit auf dem Platz gesehen. Und man hat ganz klar gesehen, wohin die Mannschaft möchte. Für mich ist das besonders wichtig, denn man kann nur ein erfolgreiches Turnier spielen, wenn man Sachen auf den Platz bringt, die man auch wiederholen kann. Das schönste Traumtor bringt nämlich nicht viel, wenn Erfolgserlebnisse nur auf Zufall basieren und man sie nicht wiederholen kann. Diese Wiederholungen bezeichnet man im englischen Fußball als "Patterns" (deutsch: "Muster").

Sie sprechen von Automatismen?

So kann man es auch ausdrücken, ja. Gerade wenn es in einem Turnier mal nicht so läuft, kann sich die Mannschaft an diesen Mustern oder Automatismen festhalten. Vor allem in schwierigen Phasen ist es wichtig, sich an Spielzüge zu erinnern, die von Erfolg gekrönt waren. So findet man wieder ins Spiel zurück. Solche Spielzüge habe ich gegen Frankreich und die Niederlande gesehen.

Der Bundestrainer hat mehrfach betont, dass die Tür für niemanden zu ist. Doch nach den guten Auftritten im März ist sie für die zuletzt nicht nominierten Dortmunder, Leon Goretzka und Co. auch nicht zwingend weiter aufgegangen, oder?

Die vergangene Nominierung hat deutlich gezeigt, dass der Bundestrainer seine personellen Entscheidungen davon abhängig macht, wie die Spieler performen. Bis zur EM sind es noch ein paar Monate. Für die einen, zum Beispiel für die Stuttgarter Maximilian Mittelstädt, Chris Führich und Deniz Undav, wird es darum gehen, ihr Level zu halten – während die zuletzt nicht nominierten Dortmunder auf einen Schub im Verein hoffen. Man kann die Tür nicht schließen, weil auch Verletzungen jederzeit auftreten können. Für den Moment war es wichtig zu sehen, dass die Automatismen greifen und wir die individuelle Klasse haben, um gegen jeden Gegner zu gewinnen. Die Spieler, die jetzt dabei waren, haben bewiesen, dass sie es verdient haben. Es gibt aber noch viele weitere Spieler, die eine Berufung verdient hätten – und dieser Konkurrenzkampf tut der Mannschaft gut.

Luxusproblem Torwart-Position und Sanés Lehren

Ist für Leroy Sané, der zuletzt gesperrt gefehlt hat, in dieser funktionierenden Mannschaft jetzt überhaupt noch Platz? Sein Auftritt beim 2:2 der Bayern in der Champions League bei Arsenal war jedenfalls ein Bewerbungsschreiben.

Leroy Sané ist ein hochtalentierter Fußballer, der Spiele entscheiden kann. Er gehört zu den besten Flügelspielern der Welt. Er muss natürlich noch viel konstanter seine Leistungen bringen auf dem Top-Niveau, was er nun mal spielen kann. Ich glaube, es war ganz gut für ihn zu sehen, wie die Nationalmannschaft auch ohne ihn funktionieren kann. Ich denke auch, dass ihm das auch die nötige Motivation gibt, wieder Vollgas zu geben, um seinen Stammplatz zu verteidigen.

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Finden Sie es richtig, dass sich Nagelsmann im Tor auf Manuel Neuer als Nummer eins festgelegt hat? Marc-André ter Stegen macht ebenfalls einen super Job.

Auf der Torwart-Position hatten wir in Deutschland schon immer ein Luxusproblem. Unsere Nummer zwei oder drei wäre in vielen anderen Nationalmannschaften sicherlich die klare Nummer eins. Manuel Neuer ist nicht mehr der Jüngste, hat einige schwere Verletzungen hinter sich. Wenn er aber zu 100 Prozent fit ist, wird Julian Nagelsmann an seiner Entscheidung, mit ihm als Nummer eins in die EM zu starten, nicht mehr rütteln. Eine der Erkenntnisse aus den vergangenen Testspielen ist, dass wir mit Marc-André ter Stegen eine Nummer zwei haben, die genauso gut funktioniert. Aus meiner Sicht ist er auf demselben Level wie Neuer.

Sie wurden 2014 Weltmeister in Brasilien. Aus dieser Erfolgsmannschaft sind nur noch Neuer, Kroos und Thomas Müller mit dabei. Was kann sich das heutige DFB-Team von den Weltmeistern von vor zehn Jahren abgucken?

Wenn man sich von den Weltmeistern 2014 etwas abschauen kann, dann ist es das Zusammenstehen in jeder Situation zu jedem Zeitpunkt des Turniers. Das Turnier wird nicht immer so verlaufen, wie man sich das erhofft und die Spiele werden auch nicht immer so schön sein, wie man sie sich vorstellt. Da gilt es, als Mannschaft zusammenzuhalten. Individuell muss jeder Einzelne voran marschieren wollen, gerade in den schwierigen Momenten.

Als Profi haben Sie fünf Jahre beim FC Arsenal verbracht. In der vergangenen Saison wurden die "Gunners" am Ende noch von Manchester City im Kampf um die Meisterschaft abgefangen. Ist Ihr Ex-Klub dieses Jahr weiter?

Arsenal hatte 2023 ein sehr gutes Jahr, es nur leider am Ende nicht geschafft, das Ganze über die Bühne zu bringen. Sie haben aber gezeigt, zu was sie in der Lage sind. Und ich glaube, dass sie aus dem vergangenen Jahr gelernt haben. Wenn du in England Meister werden willst, musst du nun einmal dazu in der Lage sein, auch mal auswärts gegen Top-Klubs wie Manchester City oder den FC Liverpool Punkte zu holen. Das kann Arsenal. Aus meiner Sicht sind sie dieses Jahr bereit, um auch den letzten Schritt zu gehen. Sie sind im Flow. Auch wenn ich persönlich als Ex-Arsenal-Spieler den "Gunners" den Titel gönne, wünscht man objektiv betrachtet Jürgen Klopp den Titel zum Abschied ebenso. "Kloppo" hat eine riesige Karriere hingelegt und in Liverpool Unglaubliches geschafft.

Mustafi arbeitet an Profi-Comeback: "Ich traue es mir zu"

Wie wird es für Sie nach der EM weitergehen? Wollen Sie weiter als Experte arbeiten, eine Trainerkarriere anstreben oder vielleicht doch noch mal selbst die Fußballschuhe schnüren?

Ich werde diesen Monat zwar 32 Jahre alt, dennoch denke ich, dass ich jung genug bin und noch genug Energie in mir habe und Motivation, um nochmal anzugreifen. Das wäre mein größter Wunsch. Ich weiß, dass meine Situation nicht ganz einfach ist. Wenn man längere Zeit draußen ist, dann wieder reinzufinden. Aber ich traue es mir zu. Ich genieße zurzeit auch sehr die Arbeit als Experte, weil mir das unheimlich viel Spaß macht. Viele Dinge, die man früher nur aus der Spieler-Perspektive gesehen hat, kann man jetzt auch aus einem anderen Blickwinkel sehen. Das hilft mir, vieles besser zu verstehen. Das Interesse, den Blickwinkel eines Trainers zu sehen, ist ebenfalls sehr groß. Deshalb werde ich mit Sicherheit irgendwann in der Zukunft meine Trainerlizenz machen. Das ist auch etwas, was mich sehr reizt.

Über den Gesprächspartner

  • Shkodran Mustafi ist ein deutscher Fußballprofi, der in den größten europäischen Ligen unter Vertrag stand. Unter anderem lief der 31-Jährige in der italienischen Seria A für Sampdoria Genua, in der spanischen La Liga für den FC Valencia und für UD Levante, in der Bundesliga für Schalke 04 und in der englischen Premier League fünf Jahre lang für den FC Arsenal auf. Seinen größten Erfolg feierte Mustafi 2014 im Trikot des DFB-Teams, das damals in Brasilien Weltmeister wurde. Bei der Heim-EM 2024 wird der Ex-Nationalspieler als Experte für MagentaTV im Einsatz sein. Der Streaming-Dienst der Telekom überträgt alle 51 Spiele der Europameisterschaft live, fünf davon exklusiv. Bereits am 15. April öffnet einer der insgesamt drei EM-Kanäle von MagentaTV seine Pforten.
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