• Der DFB und der deutsche Frauenfußball stehen vor einem wegweisenden Jahr.
  • Ist der gemeinsame Weg noch zielführend?
  • Vor allem die Frage nach strukturellen Veränderungen beim Verband wird über die weitere Entwicklung entscheiden, sagt Bianca Rech, Sportchefin des FC Bayern München.
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Stellen Sie sich vor, der Nationalspieler des Jahres gibt ein Interview, in dem er die Entwicklungen des Fußballs in Deutschland kritisiert. Wie lange würde wohl darüber debattiert werden?

Im Frauenfußball ist das passiert. Dem Tagesspiegel sagte Lea Schüller, Nationalspielerin des Jahres 2021, Anfang Januar: "Überall ist der Frauenfußball auf dem Vormarsch, nur in Deutschland nicht." Reaktionen? Keine.

Das Zitat wurde medial so gut wie gar nicht aufgegriffen. Allein diese Tatsache beschreibt wohl am besten, wo sich der Frauenfußball hierzulande befindet. Dabei bekam der DFB im November 2019 präsentiert, welches Potential dieser Sport hat. Damals absolvierte das deutsche Nationalteam ein Testspiel gegen England im Wembley Stadion – vor rund 77.000 Zuschauerinnen und Zuschauern.

Bianca Rech: "In Deutschland steht der Männerfußball über allem"

Doch nicht nur in England, wo die Europameisterschaft in diesem Jahr stattfinden wird, geht es seit einigen Jahren vorwärts. In Spanien liegt der Rekord beispielsweise bei rund 60.000 Zuschauerinnen und Zuschauern. Und vermutlich wird dieser Bestwert bald schon wieder Geschichte sein. Denn Ende März wird der amtierende Champions-League-Sieger FC Barcelona im bereits jetzt ausverkauften Camp Nou auf Real Madrid treffen. Es werden rund 85.000 Zuschauerinnen und Zuschauer erwartet.

Und in Deutschland? Der deutsche Rekord liegt fast acht Jahre zurück. Damals besuchten rund 12.000 Menschen das Ligaspiel zwischen dem VfL Wolfsburg und dem 1. FFC Frankfurt (heute Eintracht Frankfurt). Zahlen wie jene aus dem Ausland sind aktuell undenkbar.

Bianca Rech ist sportliche Leiterin des amtierenden Deutschen Meisters, dem FC Bayern München. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt sie: "Man sollte das differenziert sehen. Wir dürfen auch die kulturellen Unterschiede nicht außer Acht lassen. In Deutschland steht der Männerfußball über allem und das betrifft dann nicht nur den Frauenfußball, sondern auch jede andere Sportart."

DFL, DFB und die Debatte um die Ausgliederung der Frauen-Bundesliga

Erst letztes Jahr habe die Partie zwischen Bayern und der TSG Hoffenheim gezeigt, dass auch in Deutschland großes Potential vorhanden ist. Die ARD erreichte an einem Sonntag um 18 Uhr 1,53 Millionen Menschen. Rech kritisiert deshalb vor allem die Anstoßzeiten: "Wir drehen uns immer um die gleichen Themen: Sichtbarkeit, TV-Präsenz und nicht nur Pay-TV, Qualität der Übertragung und TV-Präsenz zu den richtigen Zeitpunkten."

Deshalb wurde in Deutschland zuletzt auch immer wieder darüber debattiert, die beiden höchsten Spielklassen des Frauenfußballs aus dem DFB auszugliedern. Schon Ende 2018 machte Ralf Kellermann, sportlicher Leiter des VfL Wolfsburg, in einem Interview mit dem "SportBuzzer" den Vorschlag, den Frauenfußball mittelfristig in die DFL einzugliedern.

Aber auch eigene Strukturen jenseits von DFB und DFL waren immer wieder Thema. Der Fußball-Verband Rheinland hatte für den DFB-Bundestag dieses Jahres einen entsprechenden Antrag gestellt, der die Eigenständigkeit der Ligen zum Ziel hatte.

DFB wird trotz Ankündigung kritisch gesehen

Am 11. März 2022 wird der DFB-Bundestag über das weitere Vorgehen entscheiden, allerdings scheinen progressive Pläne erstmal vom Tisch zu sein. So gab der Verband am 21. Januar in einer Pressemitteilung bekannt: "Die Vereine der (...) Frauen-Bundesliga und 2. Frauen-Bundesliga denken nach dem Antrag des Fußball-Verbandes Rheinland nicht an Ausgliederung, sondern streben mit einem Änderungsantrag eine nachhaltige Professionalisierung für ihre Ligen unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) an."

Nach Recherchen unserer Redaktion ist die Stimmungslage bei den Klubs aber nach wie vor angespannt. Gedanken an eine Ausgliederung gibt es weiterhin, wenngleich eine rasche Umsetzung unwahrscheinlicher geworden ist.

Im Podcast "FE:male view on football” sagte Wolfsburgs Torhüterin Almuth Schult: "Es ist verrückt: Man tut so nach außen, als ob man uns zuhört und dass es toll ist, was wir machen." Andererseits würde es aber 100 Jahre dauern, bis Frauen die Chance hätten, eine Satzungsänderung beim DFB zu bewirken.

"Die Einstellung zum Frauenfußball generell müsste sich verändern – beim DFB, aber auch insgesamt", sagt Rech dazu. Wichtig sei, "dass Entscheidungsträger den Frauenfußball nicht nur nach außen unterstützen wollen." Der DFB verspricht das alles für die Zukunft, aber die Skepsis ist angesichts der falschen Versprechungen aus der Vergangenheit groß.

Bayerns Sportchefin: "Alle wollen nach England"

Als sportliche Leiterin spürt Rech die Auswirkungen der jahrelang ausgebliebenen Entwicklung besonders stark: "Spielerinnen von Deutschland zu überzeugen, ist selbst für uns extrem schwierig. Alle wollen nach England, da ist Geld manchmal gar nicht entscheidend." Ein Blick auf die Insel könnte also Aufschluss darüber geben, was in Deutschland passieren müsste, um den Frauenfußball voranzubringen.

In England ist vor allem die Präsenz des Frauenfußballs eine ganz andere. So wurde 2019 beispielsweise das erste Frauenfußball-Wochenende durch die FA veranstaltet: Mehrere Spiele der nationalen Liga wurden in den Top-Stadien des Landes ausgetragen. Die Zusammenarbeit zwischen dem englischen Fußballverband und den jeweiligen Klubs funktioniert im Vergleich zum DFB besser. Bei den Themen Sichtbarkeit und Marketing macht den Engländern in Europa kaum jemand etwas vor.

Während das Testspiel zwischen der englischen und der deutschen Nationalmannschaft 2019 vor einer Rekordkulisse stattfand, spielten in Deutschland nahezu zeitgleich die Männer des FC Bayern gegen den BVB. Die Folge: Faktisch bekam hierzulande kaum jemand etwas davon mit, was in London passiert war.

Eine Abstimmung der Spielpläne zwischen DFB und DFL scheint es nur sporadisch zu geben. Dabei zeigt insbesondere die durch die UEFA reformierte Champions League der Frauen in dieser Saison, was möglich ist. Spiele zur Primetime und zu Zeitpunkten, wo die großen Wettbewerbe der Männer pausieren, locken Publikum an. "DAZN" erreichte allein mit den frei auf YouTube zugänglichen Streams mehrere hunderttausend Menschen.

Deutschland muss Klischees und Vorurteile abbauen

Auch Rech sieht in "DAZN", "was die Präsentation des Frauenfußballs in der Women’s Champions League angeht, ein gutes Beispiel." Letztendlich sei es aus ihrer Erfahrung heraus immer wieder überraschend, wie viele jener, die Frauenfußball kritisch sehen, "dann doch nach ihrem ersten Stadionbesuch oder wenn sie mit Spielerinnen zusammengearbeitet haben, total begeistert sind."

Das ist vielleicht die größte Herausforderung, die der Frauenfußball nicht nur, aber vor allem in Deutschland hat: Klischees und Vorurteile abzubauen. "Ich habe 2015 meine Karriere beendet und wenn ich das Niveau von damals oder von vor zehn Jahren mit heute vergleiche, dann liegen mittlerweile Welten dazwischen", sagt Rech.

Zumal in Deutschland die Voraussetzungen für einen echten Aufbruch durchaus gegeben sind. Immer mehr Klubs investieren in den Frauenfußball. Die jüngsten Positivbeispiele sind Eintracht Frankfurt und die TSG Hoffenheim. In der Liga machen sie den beiden zuvor unangefochtenen Top-Klubs aus Wolfsburg und München mächtig Konkurrenz. Wolfsburg führt die Tabelle aktuell mit 29 Punkten vor Bayern (28), Hoffenheim (27) und Frankfurt (25) an.

Bundesliga so spannend wie noch nie

"Als Bayern-Verantwortliche hätte ich das mit Blick auf die aktuelle Tabelle natürlich gern ein bisschen anders, aber als Frauenfußball-Fan muss man ganz klar sagen, dass das dem deutschen Fußball guttut", sagt Rech. Die zahlreichen Vertragsverlängerungen von Top-Talenten bei Eintracht Frankfurt würden zudem einen guten Weg darstellen, weil die Liga noch in der Lage sei, Spielerinnen in Deutschland zu halten.

Auch für die TSG Hoffenheim hat Rech viel Lob übrig: "Ich ziehe meinen Hut vor der Leistung", die sie insbesondere in der Champions League gezeigt hätten. Mit beiden Klubs müsse man mittel-, vielleicht sogar kurzfristig an der Spitze rechnen.

Sportlich ist die Liga vielleicht so spannend wie noch nie. Es liegt unter anderem am DFB, daraus auch in der Vermarktung etwas zu machen. Sichtbarkeit, richtige Anstoßzeiten zur Primetime und ein aufrichtiges Bemühen darum, dem alles dominierenden Männerfußball wenigstens ein Stückchen von der großen Torte abzunehmen – das sind Punkte, die die Klubs nicht aus eigener Kraft leisten können.

Zumal es dabei nicht nur um Nächstenliebe geht. Wäre das wirtschaftliche Potential des Marktes nicht ausreichend vorhanden, würden die Verbände und Klubs in Europa wohl kaum so investieren, wie sie es aktuell tun.

DFB: Präsidentschaftswahl wird entscheidend sein

Die Entwicklungen in Europa zeigen, dass mehr Sichtbarkeit auch dazu führt, dass das Interesse am Frauenfußball steigt. Es gehe aber in Deutschland nicht nur um den DFB und die Fußballkultur, sagt Rech: "Es ist ein Gesellschaftsthema. Das betrifft auch Themen wie Diversity, Equality oder die Anerkennung untereinander – das wird in anderen Ländern durchaus anders gelebt."

Im Jahr 2022 bieten sich mit der neu strukturierten Champions League und der Europameisterschaft in England zwei Möglichkeiten, auf einer sehr großen Bühne zu zeigen, dass der deutsche Frauenfußball attraktiv und konkurrenzfähig ist. Allerdings hätte ein sportlicher Erfolg wohl nur einen kurzfristigen Effekt. Alles davon abhängig zu machen, wäre zu kurz gedacht.

"Gerade die Präsidentschaftswahl beim DFB und die Frage danach, wer welche Gremien übernimmt, werden nochmal entscheidend für die weitere Entwicklung sein. Wenn sich da aber nichts verändert, wird uns das wenig weiterhelfen", stellt Rech fest.

Über die Expertin:
Bianca Rech ist sportliche Leiterin der Frauenabteilung des FC Bayern München. Zwischen 2006 und 2010 lief sie selbst für die Münchnerinnen auf. Sie ist mehrfache deutsche Meisterin und DFB-Pokal-Siegerin und gewann 2002 mit dem 1. FFC Frankfurt den Vorgänger der heutigen Champions League. 2015 beendete sie ihre Karriere als Profispielerin beim 1. FC Köln. Für die deutsche Nationalmannschaft kam sie zwischen 2002 und 2007 20-mal zum Einsatz.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Bianca Rech
  • Tagesspiegel.de: Nationalspielerin Lea Schüller im Interview
  • Stadionwelt+: Zuschauerrekorde: Frauen-Fußball (Auswahl)
  • Twitter-Account FC Barcelona
  • SportBuzzer: Sportchef des VfL Wolfsburg: "Der Frauenfußball muss mit in die DFL!"
  • Frauenfußball-Bundesliga: "Ein sehr interessanter Markt"
  • DFB: Vereine für Verbleib im DFB: Änderungsantrag in Vorbereitung
  • FIFA: In England rücken die Frauen in den Mittelpunkt
  • Kicker: Schult kritisiert DFB deutlich

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