Die Bedrohung durch das Coronavirus hat das öffentliche Leben in Deutschland weitgehend lahmgelegt. Niemand kann verlässlich sagen, wie lange dieser Ausnahmezustand noch andauern wird. Nun mehren sich aber Stimmen, die von der Bundesregierung eine Exit-Strategie verlangen.

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In der Coronakrise sind Geduld und Durchhaltevermögen gefragt. Die in Deutschland erlassenen Einschränkungen der gewohnten Bewegungsfreiheit gelten vorläufig bis über das Osterfest.

Öffnen dürfen landesweit nur noch Geschäfte, die Bedürfnisse des täglichen Bedarfs decken. Dazu gehören beispielsweise Supermärkte und Tankstellen.

Die Bundesregierung geht der Diskussion um Form und Zeitpunkt von schrittweisen Erleichterungen momentan noch aus dem Weg.

Auch über Ostern keine Besuche bei Verwandten oder Freunden

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) - selbst aus Vorsicht in häuslicher Quarantäne - setzt auf Vernunft und Verständnis in der Bevölkerung. Im Anschluss an eine Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer verlautete: "Die Menschen in Deutschland dürfen wegen der Coronakrise Freunde und Angehörige auch über Ostern nicht besuchen. Bund und Länder verlängerten die bestehenden scharfen Kontaktbeschränkungen am Mittwoch bei einer Schaltkonferenz mindestens bis zum Ende der Osterferien."

"Eine Pandemie kennt keine Feiertage", fügte Merkel an. Nach den Feiertagen, am 14. April, werde die Lage neu bewertet.

Voraussetzung dafür, mit dem Zurückfahren der erlassenen Ver- und Gebote zu beginnen, ist ein belastbares Abflachen der Infektionskurve. Es müsse, so Merkel, dazu kommen, dass sich die Zahl der Erkrankten erst alle "12, 13, 14 Tage" verdopple. "Wir wollen eine Überforderung vermeiden", sagte die Kanzlerin mit Blick auf das Gesundheitssystem.

Doch was wird angesichts fehlenden Produktionsbedarfs und der um sich greifenden Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit aus der darbenden Wirtschaft?

Die deutsche Wirtschaft ist schwer getroffen

"Das Ifo-Institut prognostiziert, dass jede zusätzliche Woche Shutdown (zu Deutsch: Stilllegung) ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten würde - also rund 35 Milliarden Euro", warnte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). "Im schlimmsten Fall sinkt die Wirtschaftsleistung um 20 Prozent. Eine solche tiefe Wirtschaftskrise hat Deutschland noch nie erlebt."

Der Wirtschaftsweise Volker Wieland forderte in der "Neuen Zürcher Zeitung": "Es ist wichtig, dass man auch eine Ausstiegsstrategie plant, natürlich in Absprache mit Epidemiologen und Virologen. Man kann die Wirtschaft und das Leben der Bürger nicht unbegrenzt auf Stopp setzen."

Der gleichen Meinung ist FDP-Chef Christian Lindner. "Es ist notwendig, über die Maßnahmen zu sprechen, die wir für eine schrittweise Öffnung brauchen. Bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs werden wir nicht warten können", sagte der Oppositionspolitiker dem "Tagesspiegel".

Von der "Notwendigkeit der Kontaktsperren" müsse ihn niemand überzeugen. Es sei jedoch "genauso die Aufgabe einer liberalen Oppositionspartei, die Regierung zu hinterfragen: Wird wirklich alles unternommen, um das Leben so schnell wie möglich zu normalisieren? Sind alternative Strategien verfügbar? Der aktuelle Zustand darf keine Minute länger dauern als nötig."

Olaf Scholz wehrt sich gegen Exit-Debatte

Vizekanzler Olaf Scholz von der SPD hatte sich jedoch bereits im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) am 31. März gegen eine Diskussion um den Zeitpunkt des Einleitens eines so genannten Exits gewehrt: "Eine solche Debatte ist nicht sinnvoll, weil sich noch nichts dazu sagen lässt." Das Ziel, die Epidemie im Lande einzudämmen, stehe nach wie vor "über allem."

Bundesverteidigungsministerin und Noch-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach im ARD-"Morgenmagazin" von einem "Marathon". Es komme "darauf an, dass wir alle durchhalten".

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Merkel begrüßte nach früherer Uneinigkeit unter den Ländern über die Maßnahmen, dass sich alle Ministerpräsidenten nun einig seien, "dass wir hier keinen Flickenteppich wachsen lassen".

Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg, betonte, man dürfe einen Erfolg im Kampf gegen die Pandemie nicht durch eine zu frühe Lockerung der Beschränkungen gefährden.

Beatrix von Storch, Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag, der AfD, forderte indes: "Unsere Freiheit ist gefährdet, wenn wir die Einschränkungen unserer Grundrechte nicht, sobald es epidemiologisch verantwortbar ist, wieder aufheben. Als Rechtsstaatspartei gilt dem 'Exit' aus der Freiheitsbeschränkung unser Augenmerk."

Bayerns Landeschef Söder betonte indes, die Einschränkungen könnten auch im Falle einer Verbesserung nach dem 19. April nicht komplett wegfallen. Es sei nicht zu erwarten, dass ab dem 20. April, einem politisch festgelegten Termin, "alles wird wie vorher", sagte der CSU-Chef in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel und Tschentscher. Es brauche jetzt keine Verschärfung, aber auch keine Exit-Strategien zu den Ausgangsbeschränkungen in ganz Deutschland.

Mini-Exit in Niedersachsen

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) betonte in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", dass es noch keinen Anlass gebe, die Vorschriften zu lockern: "Wir haben den Zenit der Ausbreitung der Virusinfektionen noch nicht erreicht." Im Augenblick sei jeglicher Gedanke über eine Exit-Strategie pure Spekulation.

Nichtsdestotrotz gestattet Niedersachsen den dort ansässigen Bau- und Heimwerkermärkten und Gartencentern ab dem kommenden Wochenende wieder zu öffnen. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) begründete diese Lockerung einer Maßnahme zweifach.

Einerseits wachse der ökonomische Druck aus benachbarten Bundesländern, aus dem Wirtschaftsraum Norddeutschland, wo Bau- und Heimwerkermärkte und Gartencenter nicht flächendeckend geschlossen seien. Andererseits hätten in Niedersachsen Supermärkte auf die Schließung der Bau- und Gartencenter reagiert und ihr Sortiment dementsprechend mit solchen Produkten aufgestockt.

Insofern wichen die Kunden auf die Supermärkte aus. Dies führe zu dem unerwünschten Effekt, dass sich dort Menschenansammlungen bildeten. Damit verliere der Schutzgedanke deutlich an Wirksamkeit. Insofern, so Weil, sei es sogar besser, Baumärkte und Gartencenter wieder zu öffnen, um die Menschen besser zu verteilen.

Armin Laschet gründet Expertenrat für Corona

Nordrhein-Westfalen jedoch baut bereits vor. Dessen Ministerpräsident Laschet (CDU) kündigte im Landtag in Düsseldorf an, einen "Expertenrat Corona" einzurichten. Jetzt müssten Maßstäbe erarbeitet werden, wie und wann es nach der Krise weitergehe, sagte Laschet. Dazu brauche es nicht nur Virologen, sondern auch Soziologen, Ethiker, Juristen und andere Experten.

Die Politik könne nicht Ende April einfach verkünden, aus den Beschränkungen auszusteigen und alles wieder zu öffnen, sagte Laschet. "Man muss nachvollziehen können, warum man das macht und was abgewogen wird." Dafür sei der Expertenrat nötig.

Das ist ganz im Sinne von Christian Lindner, dessen Stammland auch NRW ist. "Wie man die Lockerungen genau ausgestaltet, das werden Experten und Fachbehörden erarbeiten müssen", sagte der Vorsitzende der FDP.

Und er schob seinen Exit-Plan gleich nach: "Auf Events mit großem Publikum werden wir noch länger warten müssen, prognostiziere ich. Aber Schulen, Handel und produzierendes Gewerbe werden irgendwann wieder hochgefahren werden müssen. Danach die Gastronomie, vielleicht mit größeren Abständen zwischen den Tischen und Servicekräften, die Schutzmaske tragen. Pflegeeinrichtungen werden wir länger schützen müssen."

Doch auch Lindner betrachtet es als "unseriös", auf die Frage nach dem Ausstieg aus den Einschränkungen mit einem genauen Datum zu antworten. (hau/dpa/AFP)

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