• Der Außenpolitiker Omid Nouripour kandidiert beim Parteitag der Grünen am Wochenende als Co-Vorsitzender.
  • Die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft hat den Frankfurter einst motiviert, in der Politik aktiv zu werden.
  • Auf Nouripour wartet eine anspruchsvolle Aufgabe. Seine Vorgänger Annalena Baerbock und Robert Habeck übergeben die Parteizentrale in einer schwierigen Lage.
Ein Porträt
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Omid Nouripour ist noch ein Jugendlicher, eher ein Kind, als Politik bereits jeden Tag sein Leben prägt. Die ersten 13 Jahre seiner Kindheit und Jugend lebt Nouripour im Iran, damals befindet sich das Land im Krieg gegen den Irak und im Haus seiner Eltern läuft ständig das Radio.

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Mal werden Militärmärsche gespielt, mal geht es um Außenpolitik. "Wenn man in einem Land wie dem Iran der 80er Jahre aufwächst, muss man sich einfach mit den Nachrichten beschäftigen", erzählt Omid Nouripour. "Es gibt so viel, was für das eigene Leben relevant ist."

Bei den Grünen wollte niemand wissen: Wo kommst du her?

Inzwischen taucht Nouripour selbst in den Nachrichten auf, demnächst wohl noch öfter als bisher: Bei der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen am Wochenende kandidiert der 46-Jährige zusammen mit Ricarda Lang für den Parteivorsitz. Das Duo würde in die Fußstapfen von Annalena Baerbock und Robert Habeck treten, die ihre Ämter aufgrund ihres Wechsels in die Bundesregierung abgeben müssen – und die Parteizentrale in unruhigen Zeiten an ihre Nachfolger übergeben.

Seit mehr als 20 Jahren betreibt Omid Nouripour nun selbst Politik. Doch auch die politischen Entscheidungen anderer haben sein Leben schon früher nachhaltig beeinflusst.

Mit 13 Jahren zieht Nouripour mit seiner Familie von Teheran nach Frankfurt. "1993 habe ich zum ersten Mal Cem Özdemir im Fernsehen gesehen", erzählt er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Da ist mir klar geworden: Hey, ich kann ja auch mit meinem nicht-deutschen Aussehen in eine Partei gehen und Politik machen. Das war sehr prägend für mich."

1996, eine Woche nach dem Abitur, sieht sich Nouripour dann in Frankfurt politisch um. Erst bei der SPD, wo die Jusos über die Abschaffung von Geld diskutierten. Dann bei den Grünen. "Da saß eine Kreisgeschäftsführerin, die mich alles Mögliche über mein Leben gefragt hat, aber nicht: Wo kommst du her? Das hat schlicht keine Rolle gespielt und spielt es auch heute nicht."

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Einst Nachrücker für Joschka Fischer

Richtig aktiv wird er 1999. Die damalige rot-grüne Bundesregierung will die doppelte Staatsbürgerschaft einführen. Für Omid Nouripour ist das die einzige Möglichkeit, einen deutschen Pass zu bekommen, denn der Iran entlässt seine Bürgerinnen und Bürger in der Regel nicht aus der Staatsbürgerschaft.

In Nouripours Heimatland Hessen sammelt der CDU-Politiker Roland Koch im Landtagswahlkampf aber Unterschriften gegen den Doppelpass. "Die Unterschriftenkampagne der hessischen CDU war sehr polarisierend und spalterisch. Das hat mich sehr motiviert, noch weit mehr zu machen in der Partei", erklärt Nouripour heute.

Trotz aller Bemühungen gewinnt die CDU die Landtagswahl in Hessen, Rot-Grün verliert seine Mehrheit im Bundesrat – und kann die doppelte Staatsbürgerschaft nur mit der "Optionspflicht" retten: Junge Menschen müssen sich im Alter vor 23 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Nouripour immerhin profitiert von einer Ausnahmeregelung. Da er seinen iranischen Pass nicht abgeben kann, wird er 2002 auch Deutscher.

Seine Studiengänge in Frankfurt und Mainz schließt Nouripour nicht ab, die Politik kommt dazwischen. 2002 bis 2006 ist er Mitglied des Bundesvorstands der Grünen. Im September 2006 zieht er dann erstmals in den Bundestag ein – als Nachrücker für Joschka Fischer.

Die Kellner-Rolle ist nichts für ihn

Apropos Joschka Fischer: Dem ehemaligen Bundesaußenminister wird der Satz zugeschrieben: "Die Partei ist dafür da, alle vier Jahre Plakate zu kleben." In der Zeit der rot-grünen Bundesregierung gaben die grünen Minister im Kabinett die großen Linien der Politik vor. Die Parteivorsitzenden standen stets in ihrem Schatten.

Omid Nouripour erwartet allerdings nicht, dass er und Ricarda Lang als neue Parteichefs ein Schattendasein führen werden. "Die Parteiführung hat ein anderes Standing als früher, auch wegen der Arbeit von Annalena und Robert", sagt er. "Die beiden wissen, wie zentral es ist, dass die Partei beieinanderbleibt."

Die neue Situation mit der Regierungsbeteiligung in der Ampel-Koalition werde man nur gemeinsam meistern. "Das haben wir miteinander vor." Auch im Verhältnis zur SPD wirkt der selbstbewusste Nouripour nicht wie jemand, der sich vom Koch in eine Kellner-Rolle drängen lässt.

Omid Nouripour: Als Krisenmanager gefragt

Nouripour ist seit 2013 außenpolitischer Sprecher seiner Partei, führt zudem die deutsch-ukrainische Parlamentariergruppe im Bundestag. Im nichtpolitischen Teil seines Lebens ist er Fan von Eintracht Frankfurt. In der Main-Metropole wohnt er mit Frau und Kind, bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr war er einer von 16 Grünen, die ein Direktmandat gewannen. Der Wahlkreis Frankfurt am Main II ist seitdem grün. Allerdings wird Nouripour bald mehr Zeit in Berlin verbringen müssen.

Auf die neuen Parteivorsitzenden wartet eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Grünen befinden sich im Umbruch. Die bisherige Führungsriege ist in die Ministerien gewechselt, hinterlässt die Parteizentrale aber in schwieriger Lage.

Gerade ist bekannt geworden, dass die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den scheidenden Bundesvorstand ermittelt, weil dessen Mitglieder sich selbst einen Coronabonus genehmigt haben. Nouripour gehörte diesem Vorstand zwar nicht an. Aber mit den unangenehmen Nachfragen umzugehen, wird jetzt seine Aufgabe sein: Er ist gleich zu Beginn auch als Krisenmanager gefragt.

Wegen Corona-Boni: Habeck äußert sich zu Ermittlungen

Von den staatsanwaltlichen Ermittlungen zu Bonuszahlungen an ihn und andere Mitglieder des Bundesvorstandes erwartet der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck keine neuen Erkenntnisse. Vorschaubild: picture alliance

Die Partei ist in den vergangenen zehn Jahren von rund 60.000 auf jetzt mehr als 100.000 Mitglieder gewachsen. Größer geworden sind aber auch die Erwartungen an die selbsternannten Weltverbesserer, die jetzt Regierungsverantwortung tragen.

Das neue Vorsitzenden-Duo muss den Kontakt zu Bewegungen wie Fridays for Future oder den Geflüchteten-Organisationen halten, wird ihnen aber auch erklären müssen, warum sich nicht alle Pläne in der Regierung umsetzen lassen. Es wird den Ministerinnen und Ministern den Rücken stärken müssen, gleichzeitig aber dafür sorgen, dass das grüne Profil nicht verwässert.

"Wir wollen in vier Jahren wieder in der K-Frage mitspielen"

Und dann wäre da noch die Frage: Welche Lehren zieht die Partei aus dem Jahr 2021, als sie von einer grünen Kanzlerin träumte, am Wahlabend aber mit 14,8 Prozent auf dem Boden der Tatsachen landete? "Wir haben einen Wahlkampf aufzuarbeiten", sagt Nouripour. "Nicht mit dem Blick nach hinten, sondern nach vorne, um Lehren für die nächsten Wahlkämpfe zu ziehen. Wir wollen in vier Jahren wieder in der K-Frage mitspielen."

Verwendete Quelle:

  • Gespräch mit Omid Nouripour
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