In zähen Verhandlungen haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin geeinigt. Nach dem Krach in Brüssel wird jetzt in Berlin gestritten: Die Nominierung sorgt für mächtig Zoff in der Groko. Sigmar Gabriel denkt gar an Koalitionsbruch.

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Die Nominierung von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als EU-Kommissionspräsidentin hat neuen Krach in der Koalition ausgelöst. SPD-Politiker kritisierten, mit dem Vorschlag werde das europäische Spitzenkandidatensystem quasi beerdigt und die Demokratie beschädigt.

  • Die kommissarische SPD-Spitze hat die Personalie strikt abgelehnt. "Damit würde der Versuch, die Europäische Union zu demokratisieren, ad absurdum geführt", kritisierten Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel.
  • Die deutsche SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, die frühere Justizministerin Katarina Barley, kündigte im ZDF-"Morgenmagazin" an, sie werde im EU-Parlament nicht für von der Leyen stimmen. "Es ist nicht das Versprechen, das den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl gegeben wurde." Sie rechne damit, dass auch viele SPD-Kollegen gegen die CDU-Politikerin votieren würden.
  • Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dem "Spiegel": "Wenn Merkel von der Leyen ohne Kabinettsbeschluss benennt, ist das ein klarer Verstoß gegen die Regeln der Bundesregierung - und ein Grund, die Regierung zu verlassen."
  • Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der als möglicher künftiger Parteichef gehandelt wird, rügte die Nominierung von der Leyens als schweren politischen Fehler. Zwar schätze er die CDU-Politikerin persönlich. Aber mit dem Vorschlag des EU-Rates werde das Thema Spitzenkandidatur bei europäischen Wahlen de facto beerdigt.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen nannte die Einigung des EU-Gipfels auf ein Gesamt-Personalpaket "ein gutes Signal für die Handlungsfähigkeit in Europa". Der Deutschen Presse-Agentur sagte sie: "Es freut mich, dass mit Ursula von der Leyen jetzt eine erfahrene CDU-Politikerin aus Deutschland für diese Spitzenposition vorgeschlagen ist und hoffe sehr auf eine entsprechende Unterstützung im Europäischen Parlament."

AKK kritisiert Emmanuel Macron durch die Blume

Die CDU-Vorsitzende sprach dem EVP-Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Manfred Weber (CSU), ihre Hochachtung dafür aus, "dass er bereit war, seine persönlichen Interessen zurückzustellen im Dienste Europas, im Dienste der EVP, und auch im Dienste Deutschlands".

Seitens der Sozialisten in Europa, aber besonders seitens der SPD in Deutschland habe ein solches Signal zu jeder Zeit gefehlt. "Die SPD macht damit deutlich, dass es ihr am Ende um das eigene parteipolitische Interesse geht. Nicht um Europa, und auch nicht um die Interessen Deutschlands", kritisierte Kramp-Karrenbauer.

Zugleich kündigte die CDU-Chefin Reformen zum Erhalt des Spitzenkandidaten-Systems in der EU an. Ihre Partei sei überzeugt, dass dieses System das EU-Parlament und die Demokratie in Europa stärke. "Wir werden alles daran setzen, damit die Erfahrungen des Verfahrens jetzt umgewandelt werden in Reformen, die sicherstellen, dass in fünf Jahren der Prozess neu aufgesetzt wird und dann auch zu einem entsprechenden Erfolg geführt wird."

Ohne den französischen Präsidenten Emmanuel Macron beim Namen zu nennen kritisierte Kramp-Karrenbauer, "dass von einzelnen Vertretern des Rates in einer sehr persönlichen Art und Weise Kandidaten von Anfang an ausgeschlossen wurden".

Markus Söder nennt Verhalten der SPD "blamabel"

Macron hatte Weber von Beginn an als Kommissionspräsident abgelehnt. Aber auch durch die Ankündigung der Sozialisten und Liberalen im Europaparlament, Weber nicht wählen zu wollen, sei die Verhandlungsposition des Parlaments von Anfang an sehr geschwächt worden. Damit sei "auch dem Prinzip des Spitzenkandidaten Schaden zugefügt" worden.

CSU-Chef Markus Söder sagte der dpa zum Widerstand der SPD gegen von der Leyen: "Das ist ein einmaliger Vorgang, dass Deutschland nicht zustimmen konnte, obwohl es eine deutsche Kandidatin gibt." Es sei blamabel, dass die SPD nicht in der Lage sei, sich zu einer konstruktiven Haltung durchzuringen.

Von der Leyen war am Dienstag von den EU-Staats- und Regierungschefs als Kommissionspräsidentin nominiert worden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) musste sich in Brüssel enthalten, weil die SPD den Vorschlag nicht mittragen wollte.

Von der Leyen muss im EU-Parlament gewählt werden. Die Wahl könnte in der Woche ab dem 15. Juli über die Bühne gehen. Sollte das Europaparlament von der Leyen nicht wählen, müsste der Rat der Staats- und Regierungschefs einen neuen Vorschlag unterbreiten. Das Europaparlament wählte bereits am Mittwoch seinen Präsidenten, den italienischen Sozialdemokraten David-Maria Sassoli.

Von der Leyen hat für den Mittwoch öffentliche Auftritte in Deutschland abgesagt. Sie reiste stattdessen nach Straßburg, um für ihre Kandidatur zu werben. (dpa/mcf)  © dpa

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