Die Grünen sind raus aus der Regierung und müssen sich in der Opposition neu aufstellen – ohne ihre Galionsfigur Robert Habeck. Wie das gelingen soll, haben wir die bayerische Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Schulze, gefragt.

Ein Interview

Die Ampel-Regierung wurde bei der Bundestagswahl 2025 vom Wähler abgestraft. Besonders hart traf es FDP und SPD. Auch die Grünen haben Prozentpunkte verloren, sie kamen aber noch einigermaßen glimpflich davon. Trotzdem: Gemessen an den hohen Ansprüchen war es zu wenig. Kanzlerkandidat Robert Habeck hat daraus für sich den Schluss gezogen, keine führende Rolle mehr in der neuen Fraktion einzunehmen.

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Und die Grünen? Ihr Platz wird in der Opposition sein. Eine Rolle, die auch die Fraktionsvorsitzende der bayerischen Grünen, Katharina Schulze, bestens kennt. Im Interview unserer Redaktion blickt sie auf den grünen Wahlkampf und sagt, wie das gehen soll: die Grünen ohne Habeck.

Frau Schulze, wie blicken Sie auf die Bundestagswahl?

Katharina Schulze: Mit Sorge. Wir Grüne sind nicht zufrieden mit dem Ergebnis und gehen jetzt in die Aufarbeitung. Aber: Wir haben von den Ampel-Parteien am wenigsten verloren und in Bayern ein solides Ergebnis knapp über dem Bundesdurchschnitt erzielt. Das lässt auf einen stabilen Wählerkern schließen.

Aber am Ende ist Robert Habeck mit seiner Kampagne gescheitert.

Er hat ein gutes Angebot gemacht, getragen von Zuversicht und Weitsicht. Aber er trug auch die Bürde, Teil einer der unbeliebtesten Regierungen aller Zeiten zu sein. Dazu wurde die CSU nicht müde, die Schuld für alles, was in dem Land falsch läuft, bei uns Grünen zu suchen.

Es gab aber auch Kritik aus den eigenen Reihen – vor allem zu Habecks 10-Punkte-Plan zur Migration. Hat das auch nochmal ein paar Wähler verschreckt?

Wenn das ganze Land über Migration- und Sicherheitspolitik spricht, können wir dazu nicht schweigen. Ich nehme es ernst, wenn ein Großteil der Menschen in Deutschland sagt: Wir haben zu wenig Kontrolle, wer zu uns kommt. Gleichzeitig wird verlangt mehr für die Integration zu tun. Es ist also richtig, dass Robert Habeck unsere Linie 'Humanität und Ordnung' klar formuliert hat. Im Papier stehen gute Lösungen, wie mehr Personal für die Polizei und eine bessere Zusammenarbeit unter den Behörden. Auch das Bekenntnis zum europäischen Asylsystem GEAS ist richtig.

"Habecks Rücktritt ist eine echte Zäsur für uns."

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Bayern

War es für Sie konsequent, dass sich Habeck aus der Führung der Grünen zurückgezogen hat?

Ich finde es schade. Er ist ein unglaublich fähiger Politiker mit einem klaren Wertekompass. Habeck hat gezeigt, wie wir Grüne auch sind und sein Rücktritt ist eine echte Zäsur für uns. Wir werden wohl erst in Wochen oder Monaten richtig realisieren, was er alles für unsere Partei geleistet hat. Und ich bin mir sicher, auch seine Arbeit als Wirtschaftsminister wird mit zeitlichem Abstand anders bewertet werden. Er hat den Umschwung zum klimaneutralen Wirtschaften eingeleitet durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und uns aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreit. Ich bedauere es auch persönlich außerordentlich.

Neben der Union waren die Linken die großen Gewinner der Bundestagswahl. Sie konnten vor allem beim Kernklientel der Grünen – urbane, junge Menschen – punkten. Wie erklären Sie sich das?

Wer sowieso keine Verantwortung übernehmen und immer Opposition sein möchte, hat es einfacher mit plakativen Forderungen. Ich bin jedoch nicht in die Politik gegangen, um in Schönheit am Spielfeldrand zu sterben. In Verantwortung kann man gestalten und Dinge viel schneller und leichter verändern. Dafür muss man auch immer kompromissfähig sein.

Ich fand die Kampagnenfähigkeit und den Zusammenhalt der Linken beeindruckend und auch wie sie auf den letzten Metern noch Wählerinnen und Wähler mobilisieren konnten. Aber vor allem bei einem der drängendsten Themen – uns hier in Europa verteidigungsfähiger zu machen und die Ukraine mehr zu unterstützen – hat die Linke eine andere Haltung.

Die politischen Ränder – AfD und Linke – haben vor allem Kanäle wie Social Media genutzt, um die Jungen anzusprechen. Habeck hatte das auch versucht. Warum hat es bei ihm nicht so gut funktioniert?

Robert Habeck hat das gut gemacht. Aber wir konnten noch nicht so gut in die Breite gehen, wie es beispielsweise die AfD gemacht hat.

Wie meinen Sie das?

Die AfD hat nicht nur ein paar wenige Accounts mit vielen Anhängern, sondern bespielt auf zahlreichen Profilen die unterschiedlichsten Kanäle. Da müssen wir noch besser werden.

Wie sehr haben Sie am Wahlabend gehofft, dass das BSW in den Bundestag einzieht?

Für mich war der Wahlabend nicht einfach. Aber nicht aus diesem Grund.

"Als Wahlgewinner ist es nun an Friedrich Merz, eine stabile Regierung aufzubauen."

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Bayern

Aus welchem dann?

Man hat gesehen, wie lange es dauert, bis Klarheit geherrscht hat. Wir brauchen aber schnell Stabilität, bei so einer angespannten, weltpolitischen Lage. Auf der einen Seite haben wir eine US-Regierung, die sich zum ersten Mal gegen Europa gewendet hat. Auf der anderen Seite tobt weiterhin der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. Wir waren bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen, aber als Wahlgewinner ist es nun an Friedrich Merz, eine stabile Regierung aufzubauen.

Wie sehr belastet Sie das gute Abschneiden der AfD?

Sehr. Friedrich Merz und Markus Söder sind mit dem Versprechen angetreten, die AfD-Werte zu halbieren. Jetzt sind sie so stark wie noch nie. Die Union ist mit ihrer Strategie krachend gescheitert. Man sieht also, dass das Grünen-Bashing nichts gebracht hat. Niemand ist von der AfD zur Union gewechselt, im Gegenteil, die Union hat massiv an die AfD verloren. Am Ende wählen die Menschen immer das Original.

Die Union würde jetzt sagen, die schlechte Regierungsarbeit der Ampel hat die AfD erst so stark gemacht. Wer hat denn jetzt recht?

Alle demokratischen Parteien müssen sich die Frage stellen, wie eine demokratiefeindliche Partei so einen großen Zulauf bekommen konnte. Sicher lag es auch am dauernden Ampelstreit, aber man darf auch nicht die Einflussnahme aus dem Ausland und die unzähligen Desinformationskampagnen vergessen. Am Ende gibt es viele Gründe für das Erstarken der Rechten und jeder muss sich an die eigene Nase fassen. Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, dass sich alle Parteien der Mitte auf eine gemeinsame Wertebasis einigen und auf die verschiedenen Bedrohungen gemeinsam reagieren.

Die Grünen müssen sich nach dem Rückzug Habecks im Bundestag neu aufstellen. Annalena Baerbock soll die Fraktion jetzt anführen, heißt es. Ist eine Ex-Ampel-Ministerin die Richtige für einen Neuanfang?

Annalena Baerbock ist eine fantastische Außenministerin. Solch eine versierte Frau an der Spitze zu haben, ist super, gerade auch in der momentanen Zeit. Und wir haben mit Franziska Brantner und Felix Banaszak zwei Köpfe, die die Partei erst vor kurzem übernommen haben und in der kurzen Zeit einen großartigen Winterwahlkampf organisiert haben. Solche Leute, wie auch die jetzigen Fraktionsvorsitzenden, brauchen wir. Sicher wird in der Opposition die Aufmerksamkeit nicht mehr so stark auf uns liegen. Wir kämpfen aber weiterhin kraftvoll für eine zukunftsgerichtete Politik, für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stärke.

"Markus Söder möchte ja am liebsten wieder ein Atomkraftwerk im Vorgarten stehen haben."

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Bayern

Die Union hat schon angekündigt, viele grüne Regierungsprojekte stoppen oder zurückdrehen zu wollen. Wie viel Angst macht Ihnen das?

Ich habe mit vielen Vertretern der Energiebranche gesprochen, die alle fürchten, dass die Erleichterungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien wie beispielsweise Bürokratieabbau oder Verfahrensbeschleunigungen, zurückgefahren werden könnten, weil eben Friedrich Merz Windräder nicht so schön findet. Und Markus Söder möchte ja am liebsten wieder ein Atomkraftwerk im Vorgarten stehen haben. Das ist einfach nur absurd. Die Zukunft ist erneuerbar.

Und ganz aktuell: Wenn ich das Bild von den sechs Männern der Union anschaue, die jetzt die Geschicke leiten wollen, dann frage ich mich: Welche Gesellschaft soll das abbilden? Wir haben 2025. Das passt aber leider zum sinkenden Frauenanteil im Bundestag, auch hier ist die Union mit weiblichen Abgeordneten auf den hinteren Plätzen, auch was die mangelnde Unterstützung der Frauen und Familien in der Gesellschaft angeht. Vieles, für das wir Grüne in der Ampel-Regierung gekämpft haben, steht wieder auf der Kippe. Das ist bitter.

Mit Friedrich Merz an der Spitze, wird sich Deutschland jetzt einigeln oder wird er eine Führungsrolle in Europa einnehmen? Im Wahlkampf stand er ja für beides.

Ich zitiere nicht oft Franz Josef Strauß, aber hier passt es. Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland und Europa unsere Zukunft. Ich hoffe, dass bei Friedrich Merz der europäische Gedanke im Vordergrund steht. Denn nur gemeinsam können wir in so schwierigen geopolitischen Zeiten die Stärke von Europa ausspielen. Da hilft kein Germany first – wir brauchen Europe united.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Bundestagswahl?

Wir haben nicht das Ergebnis eingefahren, dass wir wollten. Jetzt dürfen wir uns nicht selbst verzwergen. Ich möchte die Menschen, die wir nicht erreicht haben, wieder zurückgewinnen. Wir bieten konkrete Lösungen an und machen verantwortungsvolle Politik für die Breite der Gesellschaft. Brücken bauen und die Demokratie verteidigen – das sind unsere Aufgaben im ganzen Land. Wir sind übrigens auch die einzige Partei, die Klimaschutz immer mitdenkt, auch wenn es gerade nicht en vogue ist. Da macht es mir Mut, dass wir so viele neue Mitglieder haben, die zeigen, dass Politik auch anders geht.

Zur Gesprächspartnerin

  • Katharina Schulze ist seit 2017 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag. Sie studierte interkulturelle Kommunikation, Politikwissenschaft und Psychologie an der LMU München und an der University of California in San Diego. 2019 schloss sie ihr zweites Studium, den Executive Master of Business Administration, an der TU München ab. Im letzten Landtagswahlkampf 2023 war sie Spitzenkandidatin der Grünen und erreichte mit 14,4 Prozent das historisch zweitbeste Ergebnis ihrer Partei in Bayern.