Verkehrspolitik Frankfurt: In der Koalition in Deutschlands Pendlerhauptstadt gibt es seit Wochen Streit um die Verkehrspolitik. Droht das Viererbündnis 18 Monate vor der nächsten Kommunalwahl zu scheitern?
Die vier Koalitionäre im Frankfurter Römer kommen an diesem Mittwochmorgen zu einem außerordentlichen Gespräch zusammen. Eines, das jenseits der Routinerunden der Frankfurter Stadtregierung stattfinden soll. Anlass ist der seit Wochen anhaltende, teils vehement geführte Streit zwischen der FDP und den Grünen um die Verkehrspolitik in der Stadt. Im Mittelpunkt steht der vom Verkehrsdezernent Wolfgang Siefert (Die Grünen) vorgelegte Masterplan Mobilität, der die Grundzüge der Frankfurter Verkehrspolitik festlegen soll.
Der von Agenturen erarbeitete Masterplan fordert "stärkere Veränderungen und zielgerichtetes Handeln" zugunsten der Fußgänger, Radfahrer und des öffentlichen Nahverkehrs – mithin gegen die Autofahrer. Diesen Plan hat die FDP erstmals auf einem Parteitag im Juni dieses Jahres einstimmig als "nicht akzeptabel" bewertet, und sie weigert sich, dem Masterplan Mobilität aus dem grüngeführten Mobilitätsdezernat im Stadtparlament zuzustimmen.
Ist das nun eineinhalb Jahre vor der nächsten Kommunalwahl das Ende der Zusammenarbeit des Ampel-plus-Bündnisses, das im Frühsommer 2021 die Koalition von Grünen, SPD, FDP und Volt unter das anspruchsvolle Motto "Ein neues Frankfurt gestalten" gestellt hatte? Dabei war doch vor gut drei Jahren viel von Aufbruch die Rede, und davon, diesen "zukunftsorientiert, ökologisch, modern, innovativ, lebenswert, sozial- und klimagerecht" gestalten zu wollen.
Grüne setzen weiterhin auf Zusammenarbeit mit FDP
Die Grünen versuchen sich trotz dieser Auseinandersetzung, die ihr Selbstverständnis als ökologische Partei herausfordert, gelassen zu zeigen. "Das zieht alle in den Abgrund, wenn Parteien sich öffentlich streiten", ist aus den Reihen der Grünen zu hören. Dazu genüge es, nach Berlin zur dortigen Ampel zu schauen. "Wir wollen miteinander, also mit der FDP im Römer arbeiten", heißt es. Vor allem wollen man sich nicht eineinhalb Jahre vor der Kommunalwahl lähmen lassen.
Denn anders als in der Bundesregierung, wo ein Koalitionsbruch zu Neuwahlen führen würde, müssten die Grünen als stärkste Kraft im Römer mit den dann verbliebenen Koalitionspartnern und mit wechselnden Mehrheiten bis zur Kommunalwahl im Frühjahr 2026 weiter Politik im Römer machen. Dafür, so heißt es, stehe noch zu viel auf der Tagesordnung, was in den verbleibenden 18 Monaten abgearbeitet werden solle. Dazu zählen die Themen Grundsteuer, die geplante Multifunktionsarena am Waldstadion, die finale Entscheidung über einen Standort der Europäischen Schule und ein noch zu verhandelnder Nachtragshaushalt, um nur einige der anstehenden Vorhaben zu benennen.
Natürlich ärgern sich zahlreiche Grünen-Politiker über das Vorgehen der Liberalen. Die zwei Parteitagsbeschlüsse, den Masterplan Mobilität nicht zu akzeptieren, werten nicht wenige als Affront. Schließlich hatte die FDP die Aufstellung dieses Plans explizit mitbeschlossen, dann jedoch kaum die Möglichkeiten zur Mitwirkung etwa im Lenkungskreis der Dezernate wahrgenommen.
Vor allem Wirtschaftsdezernentin Stefanie Wüst (FDP), die auch stellvertretende Parteivorsitzende ist, soll Aufrufe, sich in Form von Stellungnahmen zu beteiligen, ignoriert haben. Sie hatte sich aber bei der Präsentation des Logistikkonzepts im Juli 2022, das Teil des Masterplans Mobilität ist, lobend Seite an Seite mit Sieferts Amtsvorgänger gezeigt. Doch seit im Mai 2023 die Ergebnisse des gesamten Masterplans öffentlich vorgestellt wurden, schweigt die FDP im Römer und lässt stattdessen seit diesem Sommer ihre Partei mit entsprechenden Beschlüssen gegen den Plan sprechen. Wüst ist allerdings eine der Personen, die den ablehnenden Antrag ihrer Partei mit auf den Weg gebracht hat.
Förderung aller Verkehrsmittel im Koalitionsvertrag verankert
Ganz neu ist der Konflikt um den Verkehr zwischen FDP und Grünen nicht. Schon im Mai 2021, als das Ampel-plus-Bündnis im Römer dabei war, sich zu finden, war es die Parteibasis der Liberalen, die dem Koalitionsvertrag nicht zustimmte und Nachverhandlungen forderte. Die zentrale Ergänzung, dem die anderen Koalitionspartner später zustimmten, lautete: "Das Ziel besteht darin, alle Verkehrsarten und -wege schneller, ökologischer, sicherer und zuverlässiger zu machen und damit auch Verdrängungseffekte so weit wie möglich auszuschließen." Und weiter: "Sämtliche neu zu beschließenden dauerhaften baulichen Maßnahmen werden nur auf Grundlage der konkreten Empfehlungen des Masterplans realisiert."
Zuvor hatte es im Koalitionsvertrag, den für die FDP die heutigen Stadträtinnen Stefanie Wüst und Annette Rinn verhandelt hatten, geheißen, dass die Voraussetzungen für eine freie Wahl, welches Verkehrsmittel man nutzen möchte, "der gezielte Ausbau des ÖPNV, die Umsetzung der Ergebnisse des Radentscheids und dessen Weiterentwicklung in den Stadtteilen sowie die schnelle und effiziente Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung mit günstigen Tarifen für Anwohner*innen und Lieferzonen für Gewerbebetriebe" seien. Schon damals warnten einige Grüne vor der Sollbruchstelle, die es in dieser Koalition als Folge der Nachverhandlungen gebe.
Der FDP geht es bei der Ablehnung ums Grundsätzliche: Der Masterplan sei nicht zustimmungsfähig, weil darin ein Gegensatz zwischen dem Prinzip der Effizienz und dem Menschen aufgebaut werde. Zugleich aber hadert sie mit der praktischen Verkehrspolitik. Der neue Radweg an der Eschersheimer Landstraße ist dafür das jüngste Beispiel: Kaum hatte das Mobilitätsdezernat den roten Streifen markieren lassen, unternahm Wirtschaftsdezernentin Wüst einen Ortsbesuch und äußerte sich besorgt zu den Umsatzrückgängen, über die sich die dortigen Geschäftsleute beklagten.
Masterplan Mobilität doch kein Änderungsplan
Der Parteitag der FDP hat der Fraktions- und Parteispitze, die mit den anderen Koalitionären verhandelt, wenig Spielraum gelassen. Deshalb geht es bei der Suche nach einem Ausweg auch um die Wortwahl: Über dem Dokument zum Masterplan Mobilität, das nun beschlossen werden soll, steht "Bericht". Statt darin Änderungen vorzunehmen, was angesichts der Entstehung mit Bürgerbeteiligung schwierig ist, könnte man diesen vielleicht einfach zur Kenntnis nehmen, so eine Überlegung. Und klarstellen, dass man beim eigentlichen Masterplan und den Teilstrategien seine Vorstellungen deutlich machen werde.
Den Bericht dürfe man nicht zu hoch hängen, sagt FDP-Fraktionschef Yanki Pürsün. "Es ist ja nicht so, dass ohne ihn keine Verkehrspolitik gemacht wird." Siehe den Radweg Eschersheimer Landstraße. Die Ausweisung der übrigen Fahrradstraßen wiederum beruhe auf Beschlüssen zur Fahrradstadt, die von der vorigen Koalition getroffen worden seien – mit Beteiligung der CDU, nicht der FDP. Nachdem es einen ersten Entwurf für eine Magistratsvorlage zum Masterplan gab, hat die FDP nun einen eigenen Vorschlag für Formulierungen gemacht, die ihr eine Zustimmung zum Masterplan ermöglichen sollen. Das sieht der Volt-Fraktionsvorsitzende Martin Huber als Fortschritt. "Jetzt hat die FDP zumindest geliefert, nachdem wir lange vergeblich gewartet hatten."
Wenn zwei Parteien sich nicht einigen können, brauchen sie einen Schlichter. Diese Aufgabe, so sehen es einige Sozialdemokraten, kommt in dem Konflikt der SPD zu. Die Sozialdemokraten müssen in der Verkehrspolitik keine Glaubenssätze verteidigen. Anders als noch vor wenigen Jahren, als Klaus Oesterling das Thema Verkehr für die SPD im Magistrat verantwortete, stellen sie auch nicht mehr den zuständigen Dezernenten. Die Fraktion betrachtet die Frankfurter Verkehrspolitik deshalb heute mit mehr Distanz und Entspannung.
SPD für Verkehrswende "mit Augenmaß"
Viele Sozialdemokraten stehen zwar nach wie vor für die Verkehrswende – aber "mit Augenmaß", wie der verkehrspolitische Sprecher Simon Witsch sagt. Er meint: "Viele unserer Wähler sind aufs Auto angewiesen." Es ist in den Köpfen der meisten SPD-Stadtverordneten deshalb angekommen, dass man mit einer zu einseitig ausgelegten Verkehrspolitik wenig gewinnen kann. Witsch glaubt zum Beispiel daran, dass die meisten Menschen erst dann das Auto freiwillig stehen lassen, wenn der öffentliche Nahverkehr attraktiv genug ist und zuverlässig funktioniert. Die Radwege weiter auszubauen hält er dennoch für richtig.
Über das ablehnende Verhalten der FDP beim Masterplan Mobilität ärgern sich die Sozialdemokraten allerdings gehörig. "Es nervt alle, wenn die FDP diese Themen destruktiv begleitet", sagt Witsch. Zumal die Liberalen keine konkreten Vorschläge geliefert hätten, was man anders machen sollte. "Es geht ihnen nicht um Inhalte, sondern um Taktik", folgert der SPD-Politiker.
Die SPD-Fraktionsvorsitzende Ursula Busch glaubt dennoch daran, dass sich dieser Konflikt lösen lässt. "In einer Koalition kann man Dinge nur gemeinsam beschließen", sagt sie. "Wenn ein Partner Bauchschmerzen bei einem Thema hat, muss man noch einmal darüber reden." Busch sieht auch keinen Grund zur Eile: "Die Welt geht nicht unter, wenn es noch ein paar Tage dauert." Den Bürgern, die sich an dem Konzept beteiligt haben, könne man es allerdings auch nicht zumuten, das Thema auf den "Sankt-Nimmerleins-Tag" zu verschieben. "Wir müssen Umweltmaßnahmen ergreifen. Der Masterplan ist keine l’art pour l’art", mahnt die Fraktionschefin. Die Option, das Konzept einfach nur als Bericht zur Kenntnis zu nehmen und zu den Akten zu legen, lehnt Busch ab. "Es ist mit Bürgerbeteiligung entstanden und liegt fertig vor. Das kann man nicht zurücknehmen."
Wie das Gespräch am Mittwoch ausgeht, ist offen. Von allen Seiten heißt es, die Gesprächsatmosphäre zwischen den Fraktionsspitzen sei von Beginn der Koalition an konstruktiv. Von einem Ende der Koalition will auch die FDP nicht reden. Der Frankfurter Parteivorsitzende und Bundestagsabgeordnete Thorsten Lieb stellt für sich fest, er gehe mit einer "klaren Haltung der Professionalität und Gelassenheit" in die Verhandlungsrunden. Nicht nur in Frankfurt, sondern sogar über den Bundeshaushalt in Berlin. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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