Parteitag in Hessen: Ohne Überraschungen haben die hessischen Grünen in Marburg ihre Liste für die Bundestagswahl im Februar aufgestellt. Die große Aussprache zum Rücktritt des Vorstands steht ihnen aber noch bevor.

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Hessens Grüne haben am Samstag ihre Kandidaten für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 gewählt und die Landesliste aufgestellt. Die Bundestagsabgeordneten Anna Lührmann sowie Omid Nouripour bilden das Spitzenduo und der ehemalige hessische Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir konnte den vierten Platz auf der Landesliste erringen. Er musste sich keinem Gegenkandidaten stellen, wie dies zuvor noch vermutet worden war.

Auf den dritten Platz wählten die Parteimitglieder die Bundestagsabgeordnete Deborah Düring. Damit gingen die vier aussichtsreichsten Positionen an Grüne aus Südhessen. Erst nach diesen Wahlrunden, am Abend werden die Mitglieder über die Situation im Landesvorstand sprechen, der kürzlich komplett zurückgetreten ist.

Die 41 Jahre alte Lührmann aus dem Main-Taunus-Kreis plädierte in der vollen Halle des Marburger Lokschuppens für mehr Klimapolitik und sprach sie sich für eine Reform der Schuldenbremse aus. "Friedrich Merz will immer noch in das Kanzleramt, dabei ist der so modern wie mein Klapphandy von damals", stichelte Lührmann in ihrer Rede gegen den Kanzlerkandidaten der CDU.

Zuvor hatte sie daran erinnert, dass sie im Jahr 2002 erstmals in den Bundestag gewählt worden war und stimmte die Mitglieder auf einen harten Wahlkampf ein. Für Lührmann votierten 945 Mitglieder. Das ist bei 1019 abgegebenen Stimmen ein Ergebnis von 92,74 Prozent.

Höchste Zustimmung für Nouripour

Nouripour, der bei der vergangenen Bundestagswahl in seinem Frankfurter Wahlkreis ein Direktmandat gewonnen hatte, wählte auch die Situation in Syrien als Thema seiner Bewerbungsrede und sprach von der Gefahr, dass Islamisten dort die Macht übernehmen. "Dass diese Menschen wieder träumen und hoffen dürfen, ist etwas Unglaubliches", sagte der 49 Jahre alte Frankfurter zum Sturz des Diktators Assad. Die Grünen stünden für Anstand in der Debatte um eine mögliche Heimkehr der nach Deutschland geflüchteten Syrer. "Die CDU lässt sich von der AfD treiben", kritisierte er.

Für Nouripour stimmten schließlich 985 Grüne, ein Ergebnis von 95,9 Prozent. Die wie Nouripour aus Frankfurt stammende Düring schnitt weniger stark ab, sie wurde bei 984 abgegebenen Stimmen von 814 Mitgliedern gewählt (82,7 Prozent). Die 30 Jahre alte Bundestagsabgeordnete versicherte: "Wir Grünen sind und bleiben die treibende Kraft im Kampf gegen die Klimakrise."

Al-Wazir erhielt 80,5 Prozent der Stimmen. Bei 1050 abgegeben Stimmen hatten 849 der Mitglieder für ihn gestimmt. Lange war darüber spekuliert worden, ob der Kasseler Bundestagsabgeordnete Boris Mijatovic gegen Al-Wazir antreten würde, dieser gab sich aber mit Listenplatz 6, der als recht sicher gilt, zufrieden. Damit musste sich der 53 Jahre alte Al-Wazir ohne Kampfkandidatur zum Ziel.

Al-Wazir bezeichnet Ampel-Aus als neue Chance

Wenn er sich in den vergangenen drei Jahren die Berliner Ampel angeschaut habe, seien nach seinem Gefühl, stets die Grünen die einzigen Erwachsenen im Raum, sagte Al-Wazir in seiner Kandidatenrede. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe nicht geführt und der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner sei weggelaufen. "Das Ende der Ampel und die Neuwahlen sind daher eine Chance", schloss der Offenbacher. Eine erneute große Koalition von CDU und SPD könne sich Deutschland nicht mehr leisten, rief Al-Wazir unter dem Jubel der Mitglieder und versprach: "Ihr bekommt meine Motivation, meine Leidenschaft und meine Kraft. Ich will bewegen."

Erst auf dem fünften Platz der Liste ist mit Awet Tesfaiesus aus dem Wahlkreis Hersfeld-Rothenburg/Werra-Meißner ein Nordhesse zu finden. Sie setzte sich gegen Ayse Asar (Rheingau-Taunus-Limburg) durch. Mijatovic (Kassel) musste für Platz sechs noch gegen den ehemaligen Landesvorsitzenden Philipp Krämer antreten, der für den Wahlkreis Darmstadt kandidieren wollte. Mijatovic konnte die Mitglieder von sich überzeugen.

Nach Berechnungen der Bundeswahlleiterin könnten die hessischen Kandidaten auf den ersten neun Listenplätzen in den Bundestag einziehen, wenn die Partei das gleiche Ergebnis wie bei der Wahl im Jahr 2021 erzielt, hatte Al-Wazir in Erfahrung gebracht. Damals hatten die Grünen im Bund 14,8 Prozent der Stimmen erhalten und die Grünen in Hessen 15,8 Prozent. Bei der in Umfragen gestellten "Sonntagsfrage" schneidet die Partei aktuell allerdings um zwei Prozent schlechter ab.

Bei der Parteigröße indes geht es nach oben: 11.484 Mitglieder zählen die hessischen Grünen derzeit. Seit dem Zerfall des Ampelkoalition am 6. November sind 1054 Menschen neu eingetreten. In einem Videogrußwort sprach der neue Ko-Bundesvorsitzende Felix Banaszak davon, dass der Partei eine Trendumkehr gelungen sei. Mittlerweile zähle sie mehr als 150.000 Mitglieder und wachse jede Woche um die Größe eines mittleren Kreisverbandes.

Die hessischen Grünen beschäftigt aber weiterhin die mögliche Parteispendenaffäre, in deren Focus der zwar zurückgetretene, aber noch amtierende Ko-Vorsitzende Ewald steht. Ihm wird vorgeworfen, dass er sich in seiner Funktion als Grünen-Landeschef Auslandsreisen nach Israel und in die USA von einer pro-israelischen Organisation und der US-Regierung hat bezahlen lassen und beides als Privatreisen statt als Parteispenden deklarierte. Ewald weist den Vorwurf weiterhin zurück.

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Seine frühere Ko-Vorsitzende, Kathrin Anders, war hingegen im Zuge der Affäre am Montag von ihrem Amt zurückgetreten und hatte dies mit Strukturen in der Partei begründet, die nicht immer von Transparenz, Offenheit und Respekt geprägt seien. Die Reisen Ewalds als Privatsache zu deklarieren, bezeichnete sie in ihrem Rücktrittsschreiben als "grotesk". In der Folge hatte der Landesvorstand seinen Rücktritt auf Raten angekündigt: Bis zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025 soll er noch im Amt bleiben.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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