Kenia-Koalition: Grüne, CDU und SPD planen eine Zusammenarbeit. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Stadtrat könnte die Kenia-Koalition eigentlich machen, was sie möchte – dafür fehlt der Kommune derzeit allerdings das Geld.
Zum dritten Mal in Folge ist Mainz gerade erst als "dynamischste Stadt Deutschlands" ausgezeichnet worden. Bei dem bundesweiten Vergleich, für den IW Consult, Immoscout 24 und Wirtschaftswoche jährlich 72 kreisfreie Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern bewerten lassen, spielen die wirtschaftliche Entwicklung einer Kommune, aber auch deren Immobilienmarkt und hierbei vor allem die Preise eine entscheidende Rolle. Trotz der bescheinigten Dynamik bleibt festzuhalten, dass Finanzdezernent Günter Beck (Die Grünen) für 2025 und 2026 hohe Haushaltdefizite erwartet, weil die Gewerbesteuereinnahmen am Biontech-Standort nach der Corona-Pandemie deutlich zurückgegangen sind.
In diesem Spannungsfeld – zwischen gestiegenen Ansprüchen und sinkenden Einnahmen – bewegen sich auch jene Unterhändler, die seit Wochen und in aller Stille an einer XXL- respektive Kenia-Koalition arbeiten. Mittlerweile kursiert in der Stadt ein 59 Seiten dickes Grundlagenpapier, das die bis 2029 beabsichtigte Zusammenarbeit von Grünen, CDU und SPD zumindest grob umreißt. Falls die für das nächste Wochenende anberaumten Parteiversammlungen dieser Vorlage ebenfalls zustimmen, könnte das neue Mainzer Rathausbündnis womöglich noch im November besiegelt werden.
Höhere Belastungen für Mainzer in Aussicht
Weil der Wahlausgang durchaus andere, allerdings nicht mehr so komfortable Mehrheiten ermöglicht hätte, spricht die Linke von einer "Rückwärtskoalition", die Rot und Grün ihren Wählern erst einmal erklären müsse. In einer Partnerschaft mit der CDU drohten im Stadtrat wieder "halbherzige Entscheidungen, steigende Mieten, weniger Bäume und weiterhin fehlende Radinfrastruktur". Im Koalitionsvertrag unter der Überschrift "Mainz hält zusammen" sind nach Ansicht der Alternative für Deutschland "viele Luftschlösser" zu finden: Dazu gehöre die Idee für eine Seilbahn zwischen Mainz und Wiesbaden. Davon, die fast stadtweit geltende Tempo-30-Regelung auf Hauptstraßen zu streichen, wie es von der Union zu "Ampel-Zeiten" immer wieder gefordert worden sei, stehe dagegen nichts im Koalitionsvertrag.
Dass kleinere Ratsfraktionen wie FDP, Freie Wähler, ÖDP und Volt einen Durchmarsch der zusammengenommen über 41 von 60 Sitzen verfügenden "übergroßen Koalition" fürchten, lässt sich aus deren Reaktionen leicht herauslesen: Der kleinste gemeinsame Nenner sei dabei das politisches Ziel, urteilen die Freien Wähler. "Unambitioniert, teuer, leider enttäuschend", das sagen die Liberalen zu den Verhandlungsergebnissen der Kenia-Parteien.
Nur Volt bescheinigt dem Bündnis "viele gute Ansätze": etwa das Bekenntnis zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik, aber auch bei der Förderung von Grünflächen und sozialem Wohnraum. Anderes, wie der Begriff "Europa", komme auf den bald 60 Seiten jedoch kein einziges Mal vor. Und die Aussagen zu den städtischen Finanzen seien so allgemein gehalten, dass für Bürger und Unternehmen "nahezu ein Steuer-Jojo mit ständigem Auf und Ab" drohe.
Tatsächlich werden sich die Mainzer auf höhere Belastungen einstellen müssen. Und dies nicht nur bei der bereits angehobenen Gewerbe- und der vermutlich ebenfalls stark steigenden Grundsteuer B, sondern auch für Gebühren und Abgaben aller Art – von der Abfallentsorgung bis zum Wasserpreis. Zu den Bekenntnissen, die das Stabilität versprechende XXL-Bündnis abgibt, gehört es, die von der Stadt angestrebte Klimaneutralität im Idealfall schon bis 2035 zu erreichen.
Daniel Köbler (Die Grünen) als neuer Finanzdezernent gehandelt
Dazu passt ein Verkehrskonzept, demzufolge bis zu 80 Prozent der Wege in der Innenstadt in Zukunft ohne Auto, sprich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder in Bussen und Bahnen zurückgelegt werden sollen. Den Ausbau des Schienennetzes bis zu den gewünschten Neubaugebieten im Stadtteil Ebersheim wollen Grüne, CDU und SPD ebenfalls weiterverfolgen. Verzichten muss man dagegen vorerst wohl auf Vorhaben wie den Bau einer Großsporthalle, für die man sich offenbar mehr Landeshilfe erhofft. An der Strategie, sich als attraktiver Standort für Firmen und Institutionen der Biotechnologie- und Lifesciences-Branche zu entwickeln, soll festgehalten werden.
Zu den Herausforderungen der seit Juli geführten Gesprächen dürfte es gehört haben, dass in den nächsten Jahren nahezu der gesamte Stadtvorstand neu gewählt werden muss. Einzige Ausnahme ist der parteilose Oberbürgermeister Nino Haase. Dem Vernehmen nach sollen Grüne und SPD jeweils zwei Dezernentenstellen behalten; die neu hinzukommende CDU könnte demnach einen hauptamtlichen Beigeordneten und zwei ehrenamtlich tätige Beigeordnete benennen.
Obwohl Personalfragen bei solchen Verhandlungen angeblich "immer erst ganz zum Schluss" behandelt werden, lässt sich doch heraushören, dass der 43 Jahre alte rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Daniel Köbler, der seit 2004 dem Stadtrat angehört, in gut einem Jahr als neuer Finanzdezernent und Bürgermeister seinen grünen Parteifreund Beck beerben könnte. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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