Es war eine Premiere bei "frank & frei", der Talkreihe des "Kölner Stadt-Anzeiger" in der Karl-Rahner-Akademie, wie Akademieleiter Norbert Bauer gleich zu Beginn betonte: Erstmals diskutierten dort ein katholischer Bischof und eine evangelische Bischöfin – und das über eine zentrale, ökumenisch seit der Reformation vor 500 Jahren umstrittene Frage: Brauchen wir einen Papst?

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Gesprächspartner der Kirchenvertreter war der Politologe Otto Kallscheuer, der soeben unter dem Titel "Papst und Zeit" (Verlag Matthes & Seitz) eine ebenso facettenreiche wie unterhaltsame Abhandlung über das höchste Amt in der ältesten bestehenden Institution der Welt vorgelegt hat. Kallscheuer argumentierte, die Welt brauche die katholische Kirche – und diese den Papst, da sie andernfalls auseinanderfallen würde. Dies zu verhindern, sei in Zeiten der Globalisierung wichtiger denn je.

Papst ist als Sprecher der Christenheit nicht unumstritten

In der von DuMont-Chefkorrespondent Joachim Frank moderierten Diskussion zeigte sich dann schnell, dass es gar nicht so einfach ist, die geistliche, politische und religiöse Rolle des Papstes in der Gegenwart zu bestimmen. Als Friedensstifter und Diplomat fällt er weitgehend aus, in der UN-Vollversammlung stimmt der Vatikan regelmäßig mit autokratischen Regimen, und auch als Sprecher der Christenheit ist er – vorsichtig formuliert – nicht unumstritten. Zwar sei der Papst ein faszinierendes "Medienphänomen", sagte Petra Bahr. Doch die inner-evangelisch immer mal wieder diskutierte Idee, dass er ein Sprecher der Christenheit sein könne, zog sie selbst in Zweifel. "Das finden wir nur so lange gut, solange der Papst etwas Positives sagt."

Für Overbeck ist der Papst dagegen eine "Symbolgestalt für die Gesamtheit des Christentums, nicht nur einer Konfession". Insbesondere für sozialethische und friedenstheologische Fragen sei diese Rolle nicht zu unterschätzen. Zugleich räumte Overbeck ein, dass sein innerkatholischer Bestimmungsanspruch überschätzt werde. Wer nur von außen auf die Verfasstheit der katholischen Kirche schaue, könne oft nicht wahrnehmen, dass es in ihr viel mehr Autonomie gibt als angenommen. Die äußere Einheit der Kirche, die der Papst als Person darstelle, zeige zudem, wie die Welt insgesamt funktioniere: "Nicht durch Systeme, sondern durch Personen."

Scharfe Kritik an der CDU/CSU

Mit Franks Frage nach dem jüngsten Brandbrief der Kirchen in Deutschland zu gemeinsamen Beschlüssen von CDU/CSU und AfD im Bundestag kam auch die Tagespolitik zur Sprache. Auch hier geht es ja um das spannungsvolle Wechselverhältnis von Religion und Politik, von Geistlichem und Weltlichem, das im Amt des Papstes zu seinem Kulminationspunkt kommt.

Beide Kirchenvertreter nahmen bei frank&frei eine doppelte Position ein: Scharfe Kritik an der Union, aber auch Einwände gegen das Schreiben aus dieser Woche, das die Cheflobbyisten beider Kirchen in Berlin gemeinsam an die Abgeordneten des Bundestags versandt hatten. Darin warnten sie vor einem parlamentarischen Schulterschluss mit der AfD und kritisierten die Vorschläge des von Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) vorgelegten Fünf-Punkte-Plans zur Asyl- und Migrationspolitik.

Bischof Overbeck: Kurz vor der Wahl die Klappe halten

Zur gemeinsamen Beschlussfassung der Union mit der AfD sagte Overbeck, er sei persönlich der Meinung, dass sich die CDU dies nicht hätte erlauben dürfen und dass "dieser politische Akt schrecklich" gewesen sei. Petra Bahr (Hannover) bezeichnete die Abstimmung als "den größten Tabubruch in der parlamentarischen Geschichte Deutschlands".

Zugleich distanzierte sich Overbeck von dem Brandbrief. "Ich halte es für klug, aus politischen Gründen sechs Wochen vor der Wahl die Klappe zu halten, selbst wenn solche Dinge geschehen." Die Kirchen müssten aufpassen, "nicht zum Kommentator aller Ereignisse zu werden". Die 27 katholischen Bischöfe seien sich einig gewesen, dies nicht zu tun.

Bischöfin äußert Bedenken gegen Brandbrief der Kirchen

Bahr machte deutlich, dass das gemeinsame Schreiben der Bevollmächtigten beider Kirchen bei der Bundesregierung evangelischerseits abgestimmt gewesen sei. Inhaltlich äußerte die Bischöfin aber auch Bedenken. Beide Kirchen, besonders die evangelische, müssten sich mit Blick auf Asyl und Migration fragen lassen, ob sie bei "der Betonung der Menschenwürde mit ihrer christlichen Aufladung" auch jene ausreichend im Blick hätten, die über Überlastung klagten. Entsprechende Rückmeldungen von Bürgermeistern, Schulleitungen, Verwaltungsbehörden, Sicherheitskräften und Helfenden seien ernst zu nehmen, "ohne dass sie sofort in eine politische Schublade kommen".

Zwar sei der Antrag der CDU/CSU im Bundestag ein Wahlkampfcoup, der nach Ansicht von Experten kein einziges Problem lösen werde. Doch die Frage, was eine "Gesellschaft im Frieden miteinander hält", dürfe nicht unterschätzt werden. Zudem hätte sie sich gewünscht, dass Diakonie und Caritas sehr viel früher darauf aufmerksam gemacht hätten, was es konkret bedeute, Menschen, die eine extreme Gewalterfahrung gemacht haben, psychiatrisch und psychologisch zu betreuen, sagte Bahr mit Blick auf den jüngsten Anschlag von Aschaffenburg, wo ein offenbar psychisch kranker Flüchtling afghanischer Herkunft ein zweijähriges Mädchen und einen erwachsenen Mann getötet hatte. Der Angriff löste eine heftige politische Debatte aus und führte zu den umstrittenen Anträgen der Union im Bundestag.

Wie sehr steht die Person des Papstes mittlerweile im Vordergrund?

An dieser Diskussion zeigte sich, wie schwierig es für die Kirche schon "im Kleinen" ist, sich politisch einzumischen und das rechte Wort zur rechten Zeit zu finden. Der Gefahr einer Instrumentalisierung steht die Gefahr der Banalisierung gegenüber, wenn das Wort der Kirchen inhaltsleer oder moralisierend ist. Um wie viel mehr gilt das in den weltweiten Zusammenhängen, in denen das Papsttum sich bewegt und gefordert ist

Und hier stellte sich für die Diskutanten bei "frank&frei" eine weitere Frage: Was, wenn die Glaubwürdigkeit des Amtes lediglich an der persönlichen Glaubwürdigkeit und dem Charisma des jeweiligen Amtsinhabers hängt? Dass die "Performance" des Papstes mittlerweile wichtiger geworden ist als seine Rolle als Glaubenslehrer, ist spätestens seit Johannes Paul II. (1978 bis 2005), dem Vorvorgänger des amtierenden Papstes Franziskus offensichtlich. Wie soll man dann etwa mit den weltanschaulichen und politischen Präferenzen umgehen, die ein Papst – wie jeder Mensch – nun einmal hat?

Bei Papst Franziskus fällt zum Beispiel auf, dass er im Bestreben, den Schwerpunkt der katholischen Kirche vom Westen in den globalen Süden zu verschieben, auch der eher russlandfreundlichen Perspektive jener Länder zuzuneigen scheint. Der Einsatz des Papstes für die Ukraine sei "null, null und nochmals null", schimpfte Kallscheuer.

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Es sei ein historischer Fehler, dass Franziskus im Umgang mit der orthodoxen Kirche Äquidistanz zum russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill als ideologischer Stütze Putins halte, statt mit dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Patriarch Bartolomaios von Konstantinopel (Istanbul), gemeinsam gegen Kyrill aufzutreten und die Abgründigkeit des christlich verbrämten russischen Imperialismus anzuprangern. Dem stimmten auch Overbeck und Bahr unumwunden zu.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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