Die Kommentatorin Christina Rann begleitet ab der am Freitag startenden Saison regelmäßig Spiele der Frauen-Bundesliga. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit als Kommentatorin, sexistische Kommentare sowie über die deutschen Nationalteams der Frauen und der Männer.

Ein Interview

Frau Rann, am 15. September startet die Frauen-Bundesliga mit der Partie des FC Bayern gegen den SC Freiburg. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die neue Saison?

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Christina Rann: Ich empfinde totale Vorfreude. Gefühlt war die Pause für uns Medienschaffende nach der Weltmeisterschaft länger als sie in Wirklichkeit war. Ich habe gerade auch noch ein Stimmungshoch, weil ich bei einem Frauen-Pokalspiel zwischen St. Pauli und dem HSV dabei war. Da konnte ich auch mal wieder die Fan-Perspektive einnehmen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, wie viele Menschen dabei waren. Ich hoffe, dass wir das im Stadion zum Start der Frauen-Bundesliga dann auch so erleben werden.

Sie sind ab der kommenden Saison als Kommentatorin bei Sport1 im Einsatz. Was mögen Sie an Ihrem Job und was ist in Ihren Augen für diesen Job besonders wichtig?

Wichtig ist auf’m Platz. Ich glaube, die alte Phrase darf man nochmal rausholen. Mir macht vor allem Spaß, dass man wirklich nie weiß, wie ein Spiel ausgehen wird. Ich mag die Live-Berichterstattung sehr gerne. Ein Spiel zu verfolgen, sich davon tragen zu lassen und mitzugehen, es einzuordnen und einfach dabei sein zu dürfen, macht mir am meisten Spaß.

Christina Rann: "Ziel ist, dass die Stimme und das Geschlecht keine Rolle spielen"

Frauen sind im Kommentar-Job gegenüber Männern nach wie vor deutlich in der Minderheit. Wie gehen Sie damit um?

Das Ziel von uns allen Kommentatorinnen ist, dass die Stimme und das Geschlecht keine Rolle spielen. Mir ist bewusst, dass es da noch viel zu tun gibt. Ich war eine von den Frauen, die bei der WM der Männer in Katar im Fernsehen kommentiert haben. Ich merke schon, dass das vielleicht noch eine der letzten Bastionen im Fußball ist, freue mich aber, dass das langsam aufgeweicht wird. Meine Kolleginnen und ich gehen die Sache gemeinsam an, und ich glaube, jede von uns hat die gleiche Grundhaltung: Wir wollen, dass es Normalität ist.

"Ich finde es sehr beeindruckend, mit welchem dicken Fell Claudia Neumann mittlerweile durch die Welt geht."

Christina Rann

Ihre Kollegin Claudia Neumann kommentiert für das ZDF die ganz großen Spiele. Sie ist regelmäßig teils deutlicher Kritik ausgesetzt. Auf der einen Seite wird – zu Recht – der Sexismus in der Kritik an Neumann verurteilt. Auf der anderen Seite kommt einigen die rein objektive, kritische Einordnung ihrer Arbeit zu kurz. Wie sehen Sie das?

Ich finde es sehr beeindruckend, mit welchem dicken Fell Claudia Neumann mittlerweile durch die Welt geht. Und trotzdem ihren Job einfach gut macht. Ich bin dafür, dass man Menschen auf der Sachebene kritisieren darf und soll. Mir ist auch klar, dass nicht jedem das gefällt – auch, was ich mache. Es geht aber nicht, dass es diesen sexistischen Anstrich hat. Was bei ihr passiert, ist ausufernd. Da wird mir dann immer wieder klar, dass es noch Hürden gibt.

Rann: Je anonymer die Kritik, desto sexistischer

Sind Sie auch sexistischen Kommentaren ausgesetzt?

Meine Erfahrung ist: Je anonymer eine Kritik geäußert werden kann, desto sexistischer sind manchmal die Nachrichten. Sobald aber jemand unter Klarnamen schreibt, sieht das dann schon ganz anders aus. Bei mir persönlich im Nachrichtenordner sind das meistens positive Nachrichten. Wenn es anonym ist, beispielsweise bei den Kommentaren auf YouTube, habe ich aber auch sexistische Nachrichten erhalten.

Sie feiern Ihr Debüt beim neuen Sender beim Spiel des VfL Wolfsburg gegen Bayer 04 Leverkusen (Sonntag, 16 Uhr). Was erwarten Sie von der Partie?

Beide haben ihre Pokal-Pflichtaufgaben erfüllt und können mit einem guten Gefühl in die Saison gehen. Ich bin sehr gespannt auf Leverkusen und habe auch von anderen gehört, dass das durchaus ein Überraschungsteam sein kann. Die haben sich auch noch mit einer Stürmerin verstärkt. Ich glaube, das ist ein Spieltag, an dem man sehr gerne auf Wolfsburg trifft, einfach weil der Zeitpunkt noch so früh ist. Der Kern der Wolfsburgerinnen aus der Vorsaison, der es sehr weit gebracht hat, ist aber natürlich immer noch da. Der VfL ist noch titelhungrig und bleibt das auch. Die Vorsaison mit dem verlorenen Champions-League-Finale und der Vizemeisterschaft hat das Team eher noch angefacht. Ich habe unter anderem mit Alexandra Popp gesprochen, sie hat das auch nochmal bestätigt. Für uns von Sport1 ist das Auftaktspiel sehr spannend, und ich sehe es relativ offen.

Wie lautet Ihre Prognose für die anstehende Saison? Wer sind die Meisterschaftsfavoritinnen, wer muss sich auf Abstiegskampf einstellen?

Bei den Favoritinnen kann man den Kreis der vergangenen Saison nochmal heranziehen. Ich sehe den FC Bayern und Wolfsburg. Auch Frankfurt finde ich spannend. Die Einschätzung des Abstiegskampfes finde ich immer schwierig. Vergangene Saison hat es der MSV Duisburg knapp geschafft. Die wollen dieses Jahr den Klassenerhalt sicher früher klarmachen. Werder Bremen hat das super gelöst, sehr minimalistisch und wenig zugelassen. Ich tue mich da sehr schwer, weil ich auch keinem Team den Abstieg wünschen möchte.

"Am Ende spricht er davon, dass er seine Würde wiederherstellen möchte. Es geht aber um die Würde der Spielerin Jennifer Hermoso."

Christina Rann

Der Präsident des spanischen Fußballverbandes, Luis Rubiales, ist nach anhaltender Kritik nach dem "Kuss-Skandal" nun doch noch zurückgetreten. Wie ordnen Sie die Geschichte ein?

Am Ende spricht er davon, dass er seine Würde wiederherstellen möchte. Es geht aber um die Würde der Spielerin Jennifer Hermoso. Es ist wichtig, dass uns klar ist, dass sie der entscheidende Faktor ist. Wenn es nicht einvernehmlich ist, muss man der Spielerin zuhören. Es war für mich ein klarer sexueller Übergriff. Ich versuche, das Positive herauszuziehen, nämlich, dass wir darüber diskutieren. Die Art und Weise finde ich aber nicht gut, weil sie so ins Extreme gegangen ist. Ich würde mir wünschen, dass man in solchen Sachen klar kommunizieren kann. Und dass man klar Grenzen setzen kann, ohne dass die andere Person – hier nehme ich Rubiales aufgrund seiner Reaktion mal raus – zwingend so beschädigt werden muss. Sondern, dass man sagen kann: Die Zeiten haben sich geändert. Die gewohnten patriarchalen Strukturen sind nicht gut. Und wir können das gemeinsam ändern. Mein Wunsch für die Zukunft wäre, dass man Räume von Menschen respektiert.

Rann: Es gibt viele Spielerinnen, die aus der schwachen WM gelernt haben

Das deutsche Nationalteam hat sich bei der angesprochenen WM augenscheinlich von der Krise der DFB-Herren anstecken lassen und ist bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Wie bewerten Sie die Leistung der Damen bei dem Turnier in Australien und Neuseeland?

Ich sehe das immer noch kritisch. Ich glaube nicht, dass das mit einem Anstecken von der Männer-Mannschaft zu tun hat. Das ist etwas, was im eigenen Team aufgearbeitet werden muss. Die Spielerinnen, mit denen ich nach ihrem Urlaub sprechen konnte, sind sehr enttäuscht. Wenn man etwas Gutes sehen will, dann, dass es sehr viele Menschen mitbekommen haben und auch enttäuscht waren. Wir haben alle mitgelitten. Rein spielerisch war es so, dass man Ansätze zur Verbesserung finden kann. Den Spielaufbau kann man zum Beispiel verbessern, und auch in der Zweikampfhärte hat phasenweise etwas gefehlt. Ich denke, es gibt auch viele Spielerinnen, die aus dem Turnier gelernt haben. Dann gibt es Spielerinnen, die eigentlich nichts mehr lernen müssen, wie etwa Alexandra Popp. Die ärgert sich sehr über die Leistung bei dem Turnier. Und ich glaube, dass aus dieser Energie des Ärgerns etwas Positives herauskommen kann.

Die "Bild"-Zeitung berichtet, dass Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg auf der Kippe steht. Ist sie die Hauptschuldige am schwachen Abschneiden bei der WM?

Zunächst einmal möchte ich ihr aktuell eine gute Genesung wünschen. Es bleibt natürlich nicht aus, dass man, wenn man Chefin ist, auch in der Verantwortung steht. Sie sieht sich selbst auch in der Verantwortung. Ihre Reaktion danach, mit einer starken Selbstkritik, fand ich gut. Trotzdem steht man so etwas gemeinsam durch. Voss-Tecklenburg kann nicht alles auf dem Platz steuern.

Auch die Herren haben bei den vergangenen Turnieren schlecht abgeschnitten. Voss-Tecklenburgs Kollege Hansi Flick wurde einen Tag nach der 1:4-Niederlage gegen Japan am vergangenen Wochenende entlassen. Ist das in Ihren Augen die richtige Entscheidung?

Ja, ich denke schon. Ich gönne niemandem so einen Schritt, aber der Zeitpunkt so knapp vor der Europameisterschaft führt leider dazu, dass man nicht mehr so viel Geduld haben kann. Es muss irgendein Ruck durch dieses Team gehen. Ich hoffe, dass Flick gut durch diese Phase kommt. Man vergisst manchmal, was es bedeutet, in dieser Sekunde auch seine Arbeitsaufgabe zu verlieren. Ich habe das Spiel gegen Japan auch im Fernsehen verfolgt und war - wie viele andere auch - ernüchtert. Ich hoffe, dass jetzt auch nochmal ein Ruck durch die Mannschaft geht. Wenn man schaut, welche Qualität da eigentlich auf dem Platz ist: ein Champions-League-Sieger als Kapitän, unter anderem. Ich halte Ilkay Gündogan für einen ruhigen Charakter, der ein Team auch gut anleiten kann. Die Zeit ist knapp, und ich hoffe, dass jeder seine letzten Prozent herauskitzeln kann. Das Spiel unter Interimstrainer Rudi Völler und Hannes Wolf und Sandro Wagner hat den Spaß zurückgebracht, es war ein erster Schritt.

Rann: Hannes Wolf und Sandro Wagner sollten den kommenden Bundestrainer unterstützen

Wen fänden Sie als Nachfolger für Flick am besten? Gibt es einen Traumkandidaten und einen realistischen?

(lacht) Wir versuchen alle schon seit Jahren, Jürgen Klopp zu überzeugen, doch noch Bundestrainer zu werden. Aber er hat nun mal gerade noch eine andere Funktion beim FC Liverpool, und das gilt es zu respektieren. Hannes Wolfs Philosophie, den Spieler im Mittelpunkt des Handelns zu sehen, finde ich ansprechend. Und das im Duo mit dem Lautsprecher Sandro Wagner, der ein Team pushen kann. Deswegen halte ich es auch für eine gute Idee, wenn die beiden die kommende Bundestrainerin oder den kommenden Bundestrainer weiter unterstützen. Einen Draht zum Team haben sie offensichtlich aufgebaut. Ansonsten denken viele an Julian Nagelsmann, dessen Abgang von Bayern München etwas unrund lief. Vielleicht wäre das ein schönes Ende für ihn oder eben eher ein Neuanfang. Mit seiner Art, schnell Entscheidungen treffen zu können, könnte er gut passen. Man braucht jetzt jemanden, der ein heller Kopf ist und Empathie hat. Die ist jetzt gefragt, da von außen sehr viel einprasselt auf die Nationalspieler.

Weder bei den Frauen noch bei den Männern läuft es derzeit im Fußball. Machen Sie sich Sorgen um den deutschen Fußball insgesamt?

Man muss die Situation schon ernst nehmen. Trotzdem ist es im Lauf der Dinge immer mal so, dass man eine Phase des Wiederaufbaus brauchen kann. Im Hinblick auf die EM bei den Männern und der olympischen Qualifikation bei den Frauen hat man jetzt ein bisschen Zeitdruck. Die Probleme liegen so auf der Hand, dass man sie nicht wegdiskutieren kann. Ein ernsthafter Umgang damit – auch vonseiten des Verbands – ist wichtig. Ich denke, jeder bemüht sich, und jeder weiß, dass wir nur wenig Zeit bis zur EM haben. Das hat man jetzt auch bei der Entlassung von Flick gesehen. Ich hoffe, dass das derzeit eine kleine Delle ist und dass wir nächstes Jahr wieder einen etwas größeren Erfolg feiern können. Wir dürfen uns aber nicht zu groß sehen und die Erwartungshaltung zu groß werden lassen. Ich würde mir wünschen, dass die Fans wieder mehr Lust haben, ins Stadion zu gehen und bei dieser Heim-EM dabei zu sein.

Zur Person: Christina Rann ist eine deutsch-portugiesische Kommentatorin, Moderatorin und Reporterin. Für DAZN kommentierte sie 2023 als erste Frau im deutschen Fernsehen ein Champions-League-Finale der Frauen. Auch bei der WM 2022 war sie dabei und kommentierte Spiele für Magenta TV. Ab der Saison 2023/24 ist Rann nun bei Sport1 als Kommentatorin im Einsatz und begleitet pro Spieltag eine Partie der Frauen-Bundesliga.

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