Ampel-Aus und Bundestagswahl: Die politische Lage in Berlin scheint viele nicht davon abzuhalten, sich politisch zu engagieren. Besonders eine Partei profitiert auch in Frankfurt besonders von dieser Entwicklung.
Gleichgültig, ob Grüne, SPD, FDP, CDU, Linke, Volt oder AfD: Viele Parteien melden nicht erst seit dem Ampel-Aus am 6. November deutlich mehr Eintritte. Die herausfordernde Situation seit dem Ende der Bundesregierung und die bevorstehende Bundestagswahl motivieren offenbar viele Bürger, sich politisch zu engagieren und einer Partei beizutreten. Auf den größten Zuwachs können die Grünen in Frankfurt verweisen, die vom Tag, als die Koalition in Berlin platzte, bis heute 264 Neumitglieder hinzugewonnen haben. Weitere 17 Anmeldungen seien noch "in der Warteschleife", werden noch bearbeitet, teilt der Grünen-Kreisverband mit. In "normalen Zeiten" kämen zwischen zehn und 20 Mitglieder im Monat hinzu. Die Bundespartei der Grünen in Berlin spricht mit Blick auf den November vom "historisch stärksten Monat".
Rund 100 neue Mitglieder kann auch die Frankfurter FDP am Ende für das Gesamtjahr 2024 verbuchen. Das seien fast doppelt so viele Neumitglieder wie im Jahr zuvor, sagt FDP-Schatzmeister Frank Maiwald. Mehr als die Hälfte der Neuen hätten ihre Mitgliedschaft nach dem Ampel-Aus beantragt. Allerdings seien auch gut ein Dutzend ausgetreten. Das seien jedoch weniger als erwartet.
Bürger spüren bevorstehende "Richtungsentscheidung"
Dass eine Bundestagswahl Bürger motiviert, in eine Partei einzutreten, hat Maiwald schon 2017 und noch einmal deutlicher 2021 beobachtet. Vor drei Jahren konnte die FDP mehr als 200 Mitglieder hinzugewinnen. Die Gesamtzahl stieg auf mehr als 1200, den bisherigen Höchststand. Derzeit sind es rund 1100 Mitglieder – die zweithöchste Zahl zum Jahresende seit mehr als zehn Jahren. Das Besondere dieser neuen Mitglieder ist, dass es ihnen nicht zu genügen scheint, die Partei ihrer Wahl durch den Mitgliedsbeitrag zu unterstützen. "Die sind unglaublich motiviert, in die Wahl zu gehen, wollen mit den Bürgern sprechen", sagt Maiwald. Das sei beachtlich. Denn ein Wahlkampf im Winter, bei Regen und Kälte, "der macht einfach keinen Spaß".
Die Grünen hatten bereits bei ihrer Kreismitgliederversammlung Mitte November erstaunt festgestellt, dass an einem grauen Samstagvormittag nicht nur die bekannten Gesichter zu sehen waren. Zu Wort meldeten sich die Neuen nicht, verfolgten aber interessiert Debatten und Prozedere. Stimmten mit ab, als die Mitglieder aufgefordert wurden, die Bundestagskandidaten für die beiden Frankfurter Wahlkreise zu nominieren. Für Parteichef Burkhard Schwetje sind die Neuzugänge ein Zeichen dafür, dass die Frankfurter spürten, dass "jetzt ein entscheidender politischer Moment ist und eine Richtungsentscheidung getroffen werden muss". Insgesamt haben die Grünen in Frankfurt inzwischen gut 2200 Mitglieder, 2018 lag ihre Zahl noch bei rund 900.
Beim dritten Partner der Ampel in Berlin, der SPD, gibt es ebenfalls nicht nur bundesweit mehr Eintritte als üblich. Auch 42 Frankfurter haben seit dem 6. November den Antrag auf das rote Parteibuch gestellt. Insgesamt sind die Sozialdemokraten in Frankfurt mit rund 3400 Parteimitgliedern die stärkste Partei in der Großstadt. Allerdings unterliegt auch die SPD wie alle sogenannten Altparteien dem Trend, dass die Zahl ihrer Parteimitglieder seit Jahrzehnten rückläufig ist. 2005 hatte die Frankfurter SPD noch 4200 Mitglieder. Die CDU kommt heute auf rund 2600 Mitglieder. Zufrieden zeigt diese sich mit der aktuellen Entwicklung. Der Zuwachs im Jahr 2024 sei "erfreulich", heißt es. Rund 250 Neueintritte habe man verbuchen können. Im Saldo, also nach Abzug von Austritten, Wegzügen und Verstorbenen, steigt die Zahl der Mitglieder nur um rund 100 Personen.
Alle größeren Parteien verbuchen Zulauf
"Bei uns explodieren die Zahlen", sagt Christian Pfaff, der den Landesverband und den Frankfurter Ableger der Europapartei Volt vertritt. Mehr als 80 Mitglieder habe Volt in Hessen seit dem Ampel-Aus, das mit der Wahl von Donald Trump zusammenfiel, neu aufgenommen. Das entspricht einem Zuwachs um mehr als zehn Prozent. Praktisch über Nacht kämen weitere neue Mitgliedsanträge "hereingeflogen". Die Partei Volt, die mit der Europawahl 2019 erstmals in Hessen angetreten ist, hat inzwischen 800 Mitglieder, knapp 250 davon leben in Frankfurt. Viele der Neumitglieder meldeten sich für die Infostände auf den Straßen, sagt Pfaff.
Viele gäben an, noch nie in einer Partei gewesen zu sein, nun aber für die Demokratie kämpfen zu wollen. Auf die Frage, wer sich bei Volt engagiere, verweist Pfaff darauf, dass fast zwei Drittel der Mitglieder in Frankfurt männlich seien. "Und wir werden älter", gesteht er ein, obwohl Volt seit Beginn dieses Jahres das Mindestmitgliedsalter auf 14 Jahre gesenkt hat. Mehr als die Hälfte der Volt-Mitglieder in Frankfurt sei zwischen 21 und 40 Jahre alt, knapp ein Drittel stamme aus der Altersgruppe zwischen 40 und 75 Jahren. "Das Jahr 2024 dürfte das erfolgreichste unserer Mitgliederentwicklung sein", verkündet auch Michael Müller, Landesgeschäftsführer der Linken und Fraktionschef im Römer.
Dabei hatte es im Januar, nach Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht, ganz anders ausgesehen. Doch seit dem Ampel-Aus "haben wir den größten Zulauf seit Bestehen der Partei". In Frankfurt gebe es inzwischen fast 800 Mitglieder, in Hessen mehr als 3600. Viele seien Frauen, unter 35 Jahre alt und in sozialen Berufen tätig. Sie gäben an, dass sie sich für mehr soziale Gerechtigkeit oder eine Vermögensteuer einsetzen wollten, sagt Müller. "Die Aussagen sind sehr politisch", das sei bemerkenswert. Gleichzeitig gebe es "so gut wie keine Parteiaustritte mehr".
Die AfD in Frankfurt kann sich nicht über mangelnden Mitgliederzuwachs beschweren. Auch sie spürt das Ampel-Aus an der gestiegenen Zahl der Anträge. Doch der Boom habe schon mit der Landtagswahl im Herbst 2023 eingesetzt, sagt der Frankfurter Kreisvorsitzende Willy Klinger. Ende August 2023 hatte die AfD in Frankfurt 145 Mitglieder, gegenwärtig sind es 220. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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