Die Mitarbeiter der CDU-Kreisgeschäftsstelle in Euskirchen arbeiten zurzeit im Homeoffice. Aus Sicherheitsgründen, wie Kreisparteichef Ingo Pfennings erklärt.
Zudem fahre regelmäßig ein Streifenwagen durch die Straße. Der Grund: Die Polizei habe bundesweit vor möglichen linksextremistischen Anschlägen auf CDU-Geschäftsstellen gewarnt.
Auch auf anderer Ebene ist die vergangene Woche, in der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz in Kauf nahm, dass nur mit Stimmen der AfD ein Antrag und ein Gesetzesentwurf zur Migrationspolitik eine Mehrheit bekommen, nicht spurlos an der Kreis-CDU vorbeigegangen. Zehn Mitglieder im Kreis seien aus-, aber auch 15 in die Partei eingetreten. Es seien lebhafte Zeiten, sagt Pfennings.
Wahlkämpfer aus dem Kreis Euskirchen bekommen Merz-Politik zu spüren
Die Folgen bekommen nun auch die Wahlkämpfer im Kreis Euskirchen zu spüren. Unter anderem der CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Voussem in der Euskirchener Fußgängerzone. "Zuhören, erklären, nachfragen – im Dialog bleiben. Das ist nach den turbulenten politischen Ereignissen der letzten Tage besonders wichtig", sagt der CDU-Stadtverbandschef. In den meisten Gesprächen werde deutlich, "dass die Menschen gemeinsame demokratische Lösungen für die aktuellen Herausforderungen wollen. Und keine Schuldzuweisungen, keinen Dauerstreit, kein Aussitzen."
Berlin: CDU-Abgeordneter Detlef Seif erst spät aus dem Bundestag raus
Detlef Seif war als Bundestagsabgeordneter der CDU mittendrin statt nur dabei. Die Woche habe Spuren hinterlassen, sagt der Weilerswister. Und das nicht nur, weil er erstmals in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter seit 2009 freitags um 22 Uhr das Plenum verlassen habe. "Wir befinden uns in einer Legitimationskrise, weil die Mehrheit der Leute sagen, dass der Staat sie nicht mehr vertrete", sagt Seif, der eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausschließt. Der Antrag sei ein reiner Antrag der CDU gewesen. Es werde keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Dennoch müsse sich die Migrations- und Asylpolitik ändern. "Wir brauchen eine Verschnaufpause. Das Land und das System sind an der Belastungsgrenze", so Seif.
Eines sei in der vergangenen Woche deutlich geworden, so der Christdemokrat. Die CDU wolle den Politikwechsel. "Das Signal ist angekommen", sagt Seif, der mit Ingo Pfennings und Klaus Voussem am Montag beim CDU-Parteitag in Berlin dabei war. Dort wurde unter anderem das "Sofortprogramm" der CDU beschlossen: neun Punkte für Wirtschaft und Wohlstand, sechs für mehr Sicherheit.
Ute Stolz, CDU-Fraktionsvorsitzende im Kreistag, sagt, dass sie sich vor allem auf kommunaler Ebene einsetzen möchte. "Die CDU steht gerade deutlich in der Kritik und das möchte ich auch nicht abwerten. Aber man muss auch das sehen, was wir hier im Kreis vor Ort Tag für Tag leisten", so Stolz: "Ich bin froh, dass Friedrich Merz noch einmal deutlich gemacht hat, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD gibt. Dann halte ich auch die Turbulenzen in der Partei aus."
Bundestagswahl: Jungen FDP-Politiker treiben Sorgen um
Während Detlef Seif und Klaus Voussem bereits den einen oder anderen Wahlkampf erlebt haben, steht Jan Griskewitz mit seinen 27 Jahren noch am Anfang seiner politischen Laufbahn, obwohl er schon FDP-Fraktionschef in Schleiden ist und für die Liberalen für den Landtag kandidiert hat. "Plötzlich wird nicht mehr nur gegen die AfD demonstriert, sondern auch gegen CDU und FDP", sagt Griskewitz.
Als seien das keine demokratischen Parteien mehr. "Plötzlich habe ich ein mulmiges Gefühl zu sagen, dass ich Mitglied der FDP bin. Oder dass mich Leute in meinem Umfeld schlecht finden, weil ich bei der FDP bin", so der Eifeler: "Anfeindungen von Extremisten muss man als Demokrat aushalten. Anfeindungen von anderen Demokraten sind schwer auszuhalten."
Spätestens jetzt gehe es im Wahlkampf nicht mehr um Inhalte. Es gehe nur noch um "Kein Kreuz für Merz" oder "Grüne verhindern". Es gehe darum, gegen die anderen zu sein. "Und ,die anderen' ist nicht mehr die AfD", so der 27-Jährige. Es dürfe keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. "Aber ein unabgesprochenes gleiches Abstimmungsverhalten ist keine Zusammenarbeit", sagt der Liberale: "Die Bürger wollen Lösungen für Probleme in unserem Land. Die Bürger wollen Sicherheit und keine Parteien, die sich stattdessen darüber streiten, wer die größere moralische Verwerfung begangen hat."
Frederik Schorn, Chef der FDP im Kreis Euskirchen, berichtet auf Anfrage, dass es "keine signifikanten Mitgliederbewegungen in die eine oder andere Richtung gibt. Es wird aber sehr lebhaft diskutiert." Er sei "verstört vom Verhalten von SPD und Grünen, die nach Aschaffenburg, Solingen oder Magdeburg offenbar nach wie vor kein Problem sehen oder nichts dazu beitragen wollen, es zu lösen." Schorn: "Offenbar akzeptieren sie auch, dass die AfD so stark dasteht, was ebenfalls eine Gefahr für sich ist. Aus kommunaler Sicht ist die Belastungsgrenze bei irregulärer Migration eigentlich vor Jahren schon überschritten worden."
SPD-Chef Thilo Waasem: Stimmung ist sehr bedrückt
Der Schnellschuss von CDU-Kanzlerkandidat Merz habe ihn ebenfalls fassungslos gemacht, so Schorn: "So etwas drei Wochen vor der Wahl zu versuchen, lässt mich ernsthaft daran zweifeln, ob er Kanzler kann." Auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Markus Herbrand war bei den Diskussionen in Berlin dabei. "Ich denke, die enorme Intensität der Diskussionen, nicht aber die persönlichen Angriffe und Diffamierungen untereinander, waren dem Thema angemessen. Die Lösungsfindung für die deutsche und europäische Migrationspolitik ist seit zehn Jahren überfällig", sagt der Eifeler.
Die Stimmung in der SPD im Kreis sei "sehr bedrückt", sagt Thilo Waasem. Ihm mache der Wahlkampf nach wie vor viel Spaß, aber seit der vergangenen Woche liege ein großer Schatten über den Diskussionen, sagt der Chef der Sozialdemokraten im Kreis Euskirchen. Und an dieser Gemengelage habe CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz einen großen Anteil.
Andere Themen als die Migration brennen mehr unter den Nägeln
Die Diskussion über das Thema Migration werde emotional geführt. Das tue der Sache nicht gut. Zudem verdränge es Themen wie Wirtschaft und Inflation, die den Menschen laut Waasem "viel mehr unter den Nägeln brennen". Dass sich die SPD dem Antrag der CDU verweigere, sei richtig. Dass sich die SPD dem Thema Zuwanderung verschließe, stimme nicht. Schließlich habe seine Partei in Berlin ein Sicherheitspaket geschnürt, das letztlich durch die CDU-regierten Länger im Bundesrat abgelehnt worden sei. Er habe keine konkrete Zahlen, aber die Asylbewerberzahlen seien in den vergangenen Monaten deutlich gesunken.
Nicht gesunken sei die Zahl der Mitglieder in der SPD. NRW-weit sei sie gestiegen. "Ich habe gerade erst mit drei Menschen telefoniert, die sich engagieren wollen. Das geht sogar über die reine Mitgliedschaft hinaus", sagt Waasem. Die Zusammenarbeit mit der CDU sei auf Kreisebene seit Jahren problemlos. "Da habe ich immer das Gefühl gehabt, dass man bei aller inhaltlicher Auseinandersetzung mit ihnen gut zusammenarbeiten kann", sagt Waasem: "Allerdings ist da eine politische Führung auf Bundesebene am Start, die auch vor einem Tabubruch keinen Halt macht."
Nach Angaben von Myriam Kemp, Co-Kreisvorsitzende der Grünen, ist die Zahl der Mitglieder seit dem 6. November (Ampel-Ende) um 39 gestiegen. Zudem befänden sich sieben Anträge in der Warteschleife. Weil die Anträge am 29. Januar in der Bundesgeschäftsstelle eingegangen seien, fehle noch die Bestätigung durch die Ortsverbände im Kreis Euskirchen.
Die Woche in Berlin habe Schaden verursacht. Wie groß der ist, sei kaum abzuschätzen, so Kemp. Merz habe sein Wort gebrochen, als er mit seinem Vorstoß in der Migrationspolitik alles oder nichts gegangen sei. Grünen-Kreisvorsitzender Wilfried Gierden sagt: "Die CDU unter Friedrich Merz setzt lieber auf kalkulierte Provokation als auf verantwortungsvolle Politik. Wer mit rechtspopulistischen Forderungen spielt, verschiebt nicht nur den politischen Diskurs nach rechts, sondern gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt."
Über Migration und Integration zu sprechen und anzuerkennen, dass es strukturelle Probleme gebe, sei wichtig und richtig. Die Art und Weise, wie die CDU aber versucht habe, "reaktiv Wählerinnen und Wähler bei der AfD abzufischen, ist verheerend, schadet der Demokratie und spaltet die Gesellschaft", sagt Kemp.
Plakate der Parteien zerstört und beschmiert
Abgerissene Plakate, die in Teilen auf dem Boden liegen. Sogenannte Wesselmänner, also die großflächigen Wahlplakate, die umgestoßen werden, von denen die politische Botschaft im wahrsten Sinne des Wortes abgezogen worden ist. Oder auch Plakate, die beschmiert werden. Derzeit auch im Kreis – wieder – Alltag.
An der Marienschule in Euskirchen wurden in den vergangenen zwei Wochen mehrfach die Großflächenplakate der CDU und der SPD zerstört. An diesem Wochenende traf es erneut die Christdemokraten. Deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz wurde verunglimpft. Auch die Partei wird als "CDU: Club Deutscher Unternehmen" bezeichnet.
Nach Angaben von Ingo Pfennings, Chef der Kreis-CDU, ist das vor allem eines: Sachbeschädigung. Ein "Wesselmann" kostet mit seiner Größe von 2,90 mal 3,70 Meter schnell mal 60 Euro – pro Plakat. Und da nicht nur das Plakat an der Marienschule beschmiert worden ist, sondern auch das an der Gerberstraße, dürfte der Wahlkampfetat in den kommenden zwei Wochen weiter steigen. "Die Summen sind beachtlich, die da zusammenkommen, nur weil einige meinen, ihren Frust auslassen zu müssen", so Pfennings.
Die Euskirchener Grünen haben bei der Polizei Anzeige erstattet
Auch Plakate der Euskirchener Grünen in der Innenstadt sind zerstört worden. Der Ortsverband hat nach eigenen Angaben bei der Polizei Anzeige wegen Sachbeschädigung erstattet. In den vergangenen Wahlkämpfen seien ebenfalls Plakate der Partei beschmiert oder beschädigt worden. Das seien aber Einzelfälle gewesen. Diesmal sei es anders.
Dass nun fünf Plakate an so zentraler Stelle innerhalb von 24 Stunden nach dem Aufhängen systematisch zerstört worden sind, ist nach Ansicht des Ortsverbandes "eine gezielte Aktion von Menschen, die unsere Demokratie missachten und zerstören möchten".
Ein Plakat der AfD ist in Euskirchen ebenfalls – zumindest teilweise – zerstört worden. Die Wahlwerbung zeigt die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. Ihr fehlt seit dem Wochenende ein Teil des Gesichts auf dem Plakat. © Kölner Stadt-Anzeiger
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.