Die Top Fünf gehen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die neue Bundesliga-Spielzeit: Gelingt Bayer erneut eine Fabel-Saison? Wie nehmen die Bayern ihre Jägerrolle an? Wie gut ist der runderneuerte BVB? Der Favoritencheck vor dem Start liefert die Antworten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Seit 45 Jahren spielt Bayer Leverkusen nun in der Bundesliga und erfährt in diesen Tagen doch etwas ganz Neues: das Gefühl, als Gejagter in eine Saison zu starten. Leverkusens Verfolger aus Stuttgart, München, Leipzig und Dortmund sind nach der Sommerpause neu aufgestellt und zum Teil auch neu ausgerichtet – womöglich auch stärker als in der vorigen Saison.

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Aber wer ist schon gut in Form? Wo gibt es noch Optimierungsbedarf? Wer muss noch auf dem Transfermarkt tätig werden? Und wie steht es um die sogenannten weichen Faktoren? Der Favoritencheck liefert alle Antworten:

Vorsichtige Aufbruchstimmung bei Borussia Dortmund

Nach der enttäuschenden letzten Bundesliga-Saison versucht sich der BVB an einem veritablen Neustart auf allen Ebenen: Ein neuer Sportvorstand, ein neuer Kaderplaner und ein neues Trainerteam sollen eine zum Teil runderneuerte Mannschaft wieder nach vorne bringen.

Auf Edin Terzic folgt Nuri Sahin als Cheftrainer. Er will seine Mannschaft neu ausrichten und hat dafür Einschnitte am Kader vorgenommen. Mit Mats Hummels, Marco Reus und Niclas Füllkrug sind drei Eckpfeiler der Mannschaft sowie meinungsstarke Profis innerhalb der Kabine nicht mehr da.

Dortmund holt drei Nationalspieler

Dafür hat sich der BVB unter anderem in Stuttgart bedient mit Waldemar Anton und Serhou Guirassy, hat sich Jung-Star Maximilian Beier geschnappt und vor allen Dingen endlich die Dauerbaustelle im zentralen defensiven Mittelfeld geschlossen mit dem heimlichen Königstransfer: Pascal Groß soll ab sofort Sahins verlängerter Arm auf dem Platz sein.

Der BVB will wieder zurück zu seinem Markenkern, will mutiger, attraktiver, dynamischer spielen, seine Fans auch in den Ligaspielen wieder mitnehmen und endlich wieder konstant gute Leistungen abrufen. Die Vorzeichen auf dem Platz scheinen dafür sehr gut, die Testspiele zeigten schon einen verbesserten BVB mit einer klaren Struktur und gefestigten Abläufen.

Allerdings ist der Kader in der Tiefe noch etwas zu dünn besetzt, ein Innen- und ein Außenverteidiger würden noch guttun. Und eventuell wird noch einer der Angreifer abgegeben. Ein Problem könnte der Zwist hinter den Kulissen werden im Kompetenzgerangel um den durchaus streitbaren Kaderplaner Sven Mislintat. Und auch die Partnerschaft mit einem Rüstungskonzern stößt großen Teilen der BVB-Fans sauer auf. Abgesehen davon herrscht in Dortmund aber Aufbruchstimmung – die aber noch ein wenig mit Vorsicht zu genießen ist. Gelingt der Start und findet die Mannschaft endlich Konstanz, könnte der BVB nach einem Jahr "Pause" wieder in den Titelkampf eingreifen.

RB Leipzig muss Olmo-Abgang kompensieren

Den befürchteten Ausverkauf hat RB Leipzig vermieden, und das dürfte auch schon die wichtigste Nachricht aus der Sommerpause sein. Von den heftig umworbenen Xavi, Benjamin Sesko und Dani Olmo hat nur Olmo den Klub verlassen. Mit dem Spanier geht die Allzweckwaffe im Angriff – sofern sie denn einsetzbar war. Olmo hat zuletzt fast die halbe Saison verletzungsbedingt verpasst.

Ansonsten musste Leipzig keine größeren Umbaumaßnahmen vornehmen. Der Kader hat sich, abgesehen vom Olmo-Abschied, nur marginal verändert, neben Olmo-"Ersatz" Antonio Nusa (19) ist mit Deutschlands Mittelfeldhoffnung Assan Ouedraogo (18) ein zweiter Teenager dazu gekommen.

Keine Wunder zu erwarten

Trainer Marco Rose dürfte also im Vergleich zum Vorjahr etwas weniger Arbeit gehabt haben, seine Grundsätze und Ideen zu vermitteln, der Kader sollte eingespielt genug sein, um die nächsten Schritte zu gehen. Allerdings zeigten die Testspiele und auch der Sieg im Pokal in Essen auch einige Schwächen auf: Wegen der ersten Übersee-Promotion-Tour in den USA war die Vorbereitung etwas zerrupft, dazu kamen und kommen ein paar verletzte Spieler.

Der Kader ist mit aktuell 25 Spielern nicht eben üppig bestückt, mit Xaver Schlager fällt ein eminent wichtiger Spieler im zentralen Mittelfeld noch monatelang aus. Leipzig wird auch deshalb wohl noch einmal auf dem Transfermarkt aktiv werden müssen, um die Dreifachbelastung ohne große Substanzverluste zu meistern.

Auf der Führungsebene hat Marcel Schäfer die Aufgaben von Max Eberl übernommen, diese Baustelle hatte der Klub schon vor Wochen geschlossen. Leipzig bleibt ein Kandidat für die Top Vier, für mehr dürfte es angesichts der Konkurrenz aber auch nicht reichen.

Umbruch mit Kompany beim FC Bayern

Über 60 Millionen Euro haben es sich die Bayern kosten lassen, den Kader anzupassen und mit diesem Transferminus in Vorleistung zu gehen. Nach einer komplett enttäuschenden Saison ohne Titel und nur Rang drei in der Liga war das allerdings auch zu erwarten. Neben den spektakulären Zugängen auf Spielerseite dürfte die spannendste Personalie die des neuen Trainers sein: Auf Vincent Kompany kommt schließlich nicht weniger als eine Mammutaufgabe zu.

Mit dem Nachweis von nur einer Saison als Cheftrainer in der Premier League soll der Belgier dem zuletzt taumelnden Bundesliga-Riesen eine neue Struktur, mehr Offensivgeist und auch geistige Frische verleihen, ganz zu schweigen von der Gier, die Schmach der letzten Saison zu tilgen.

Kompany wird der Umbruch anvertraut, den die Bayern in den letzten Jahren immer wieder vor sich hergeschoben hatten und der in diesem Sommer personell zwar eingeleitet, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht vollständig umgesetzt werden konnte. Von den Spitzenverdienern sind immer noch etliche da, unter anderem auf den Flügeln dürfte der Konkurrenzkampf mächtig toben und schnell für unzufriedene Stars sorgen. Wie gut Kompany das zu moderieren weiß, dürfte eine der spannenden Fragen werden.

Wunschspieler sind gekommen

Mit Joao Palhinha ist der gesuchte Sechser mit einem Jahr Verzögerung nun doch in München angekommen, dazu hat Flügelflitzer Michael Olise zuletzt bei den Olympischen Spielen sein Können mehrfach aufblitzen lassen. Allerdings bereitet der Ausfall von Josip Stanisic (Außenbandriss) nur wenige Tage nach dem Verkauf von Noussair Mazraoui nach Manchester Sorgen, die rechte Abwehrseite könnte nun doch wieder Joshua Kimmichs Einsatzgebiet werden – eingeplant war der Nationalspieler eigentlich wieder im Mittelfeld.

Max Eberl und Christoph Freund haben hinter den Kulissen noch eine ganze Menge zu tun, schließlich besitzen etliche Spieler herausragend gut dotierte Verträge, wo doch das Gehaltsgefüge um rund 20 Prozent eingedampft werden sollte. Für Spieler wie Kimmich, Leon Goretzka, Leroy Sane, Serge Gnabry oder Kingsley Coman ließen und lassen sich aber nur schwer Abnehmer finden.

Thomas Müller forderte zuletzt eine "fulminante Reaktion" auf die vergangene Saison, und eigentlich wäre es nur typisch für die Bayern, wenn diese für die Konkurrenz ganz fürchterlich ausfallen würde. Wie gut der neue Trainer mit seinen Ideen und die aufgehübschte Mannschaft zusammenpassen, wie gierig die Bayern wieder nach Erfolgen sind, wie gut die neuen Spieler bei einem Klub dieser Größenordnung wirklich funktionieren: Das bleiben wichtige Kernfragen. Die Bayern sind natürlich ein Titelkandidat – aber sie sind vor dieser Saison wohl nicht zwingend der Titelkandidat.

Beim VfB Stuttgart sind wichtige Leistungsträger weg

"Stuttgart downfall" wurde zum geflügelten Wort der Rückrunde, die Konkurrenz jedenfalls erwartete den Einbruch und Absturz der Überflieger – vergeblich. Nach der besten Saison seit der Meisterschaft 2007 prognostizieren nun wieder einige Experten einen Rückfall ins Niemandsland der Tabelle, die schwerwiegenden Abgänge von Anton und Guirassy sowie dem latent unterschätzten Hiroki Ito zu den Bayern befeuern diese Ansicht. Ein wenig erinnert das an den letzten Sommer, als die Mannschaft ebenfalls drei Leistungsträger verlor (Borna Sosa, Dino Mavropanos und Wataru Endo) – und dann trotzdem eine Fabel-Saison hinlegte. Dank Sebastian Hoeneß.

Der Trainer hat innerhalb weniger Monate eine Mannschaft aufgebaut, in der sich jeder Spieler maximal entwickeln und verbessern konnte und die nur von Leverkusen übertrumpft wurde. Diese Basis wird das Team auch in der neuen Saison tragen.

Gefeierter Undav nun fest beim VfB

Für die Neuen wie Ermedin Demirovic und die nun fest verpflichteten Deniz Undav und Jamie Leweling ist der Klub finanziell ins Risiko gegangen, dazu kamen erfahrene Spieler wie Jeff Chabot, Yannik Keitel und Fabian Rieder sowie einige Perspektivspieler (Frans Krätzig, Nick Woltemade, Justin Diehl, Ramon Hendriks). Der Kader wurde den Anforderungen gemäß in der Breite verstärkt, abgesehen von den Verpflichtungen von Demirovic und Undav wurde aber einem finanziell überschaubaren Rahmen agiert.

In der Innenverteidigung fehlt noch ein Rechtsfuß, der VfB wird auf der Position noch etwas tun müssen. Und Angreifer El Bilal Toure von Atalanta soll noch ausgeliehen werden. Das war es dann aber auch mit der Kaderplanung. Das Supercup-Spiel gegen Leverkusen hat angedeutet, dass der VfB auch in dieser Saison mithalten kann, dass die Abläufe sitzen und die Mannschaft die Energie der letzten Saison in einem einzelnen Spiel durchaus reproduzieren kann.

Eine der großen Fragen wird sein, ob der VfB dieses Level über eine lange Saison wird halten können. Wie gehen die Spieler unmittelbar nach den Highlights in der Königsklasse mit dem grauen Liga-Alltag um? Nicht nur dann kommt Sebastian Hoeneß die entscheidende Rolle zu. Den Trainer konnte der VfB zumindest für diese Saison noch halten, das war der eigentliche "Königstransfer" der letzten Monate.

Die Turbulenzen hinter den Kulissen, unter anderem um den abgewählten Präsidenten Claus Vogt, scheinen die Vorbereitung auf die neue Saison kaum tangiert zu haben, die Stimmung ist fast schon zu euphorisch. Der VfB könnte sich im Kreis der vermeintlichen Top-Teams festbeißen, ein Platz im internationalen Geschäft wäre keine große Überraschung.

Keine Verluste bei Bayer Leverkusen

Der große Ausverkauf ist ausgeblieben, Trainer Xabi Alonso, Florian Wirtz, Jonathan Tah, Jeremie Frimpong oder Victor Boniface sind immer noch da. Bayer 04 hat es stattdessen geschafft, den ohnehin schon glänzend bestückten Kader noch einmal zu verbessern: Mit Aleix Garcia im defensiven Mittelfeld, mit Abwehrspieler Jeanuel Belocian und Flügelspieler Martin Terrier wurden die letzten Lücken geschlossen.

Alonso hat in Josip Stanisic nur einen wertvollen Spieler verloren, konnte nach der Rückkehr der EM-Fahrer also weiter an seinen Ideen arbeiten und Bayers Spiel noch einmal verfeinern. Auf dem Papier ist die Mannschaft noch einmal stärker geworden, bietet noch mehr taktische Möglichkeiten, noch mehr individuelle Klasse.

Bayer ist in allen Bereichen und für alle Spielsituationen bestens auf- und eingestellt, kann sich neben seiner Kreativität auch auf ein gesundes Maß an Aggressivität verlassen und scheint in seiner Mentalität und dem Glauben an sich weiter unbeirrbar. Einige Testspiele verliefen zwar etwas holprig, das Supercup-Duell gegen den VfB war aber schon wieder mehr als ein Fingerzeig: Ihren unbedingten Siegeswillen hat die Mannschaft offenbar über den Sommer hinweg konserviert.

Der Double-Sieger ist Topfavorit

Fußballerisch dürfte die Werkself auch in der neuen Saison nur schwer erreichbar sein, die individuelle Klasse der Spieler tut ihr Übriges. Die große Frage wird sein, wie viel Hunger die Mannschaft weiter entwickeln kann. Die Gier nach Erfolg hat Alonso seinem Team vermittelt, sie hat die Mannschaft zu Höchstleistungen getrieben. Nun steht die aufgeblähte Champions League an, für den einen oder anderen vielleicht der wichtigere Wettbewerb als die Bundesliga.

Dieser Spagat wird schwierig genug. Trotzdem geht Bayer 04 nicht nur als Titelverteidiger in die Bundesliga-Saison – sondern auch als Topfavorit auf den Titel. Noch vor dem FC Bayern.

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