Mit dem CSU-Parteitag in Nürnberg geht die Union in den Wahlkampf-Endspurt. In Bayern ist man sich sicher: Friedrich Merz wird der nächste Kanzler. Doch auch die Machtoptionen von Markus Söder dürften nach dem 23. Februar deutlich steigen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Pillgruber und Lara Lattek sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als Friedrich Merz den Saal betritt, wird es unruhig. Dutzende Handys gehen in die Luft, um den Einlauf des Kanzlerkandidaten der Union festzuhalten. Unter treibender Musik und dem rhythmischen Klatschen Delegierter begrüßt CSU-Generalsekretär Martin Huber den "zukünftigen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland" auf dem Parteitag der CSU.

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Merz kommt nicht allein in den Saal. An seiner Seite: Markus Söder und CSU-Spitzenkandidat Alexander Dobrindt. Beide drehen quasi eine Ehrenrunde durch den Saal – ihre Rede haben sie längst gehalten. Die Botschaft ist unmissverständlich: CDU und CSU stehen Seite an Seite.

"So gut sind selten CDU-Parteivorsitzende empfangen worden", urteilt Söder. Mit einem breiten Grinsen bedankt sich Merz für den "großartigen“ Empfang. "Ich verspreche Ihnen", sagt er kurze Zeit später – am 23. Februar, Punkt 18 Uhr, werde man “Grund zum Feiern haben".

CSU-Parteitag: Demonstrative Einigkeit

Die Schwesternparteien wiederholen an diesem Samstag in Nürnberg ein Schauspiel, dass sich auch schon beim Parteitag der CDU am Montag in Berlin beobachten ließ: Eine Ode an die Einigkeit der Union.

“Immer mal wieder gute Zeiten und immer mal wieder schwierige Zeiten", hätten CDU/CSU gehabt, sagt Merz mit Blick auf die bewegte Geschichte der beiden Parteien. Doch aktuell sei der Zusammenhalt so gut wie selten zuvor.

Natürlich gehört zu diesem harmonischen Bild, dass die Konservativen voneinander zeichnen, auch eine gehörige Prise Wahlkampf. Trotzdem: Die Union scheint ihre Lektion aus der Bundestagswahl 2021 gelernt zu haben.

Damals witterte Söder für einen kurzen Moment eine Chance, für die Union als Kanzlerkandidat ins Rennen zu gehen. Letztendlich musste er sich zähneknirschend gegenüber Armin Laschet geschlagen geben.

Das Resultat: Söder stichelte den Wahlkampf über von der Seitenlinie gegen den Rheinländer – und trug zur Niederlage der Union bei. Davon ist man heute weit entfernt. Die CSU habe ihren Teil der Vereinbarung eingehalten, dass sich "2021 nicht wiederholt", betont Söder extra.

Söder: 2021 wird sich nicht Wiederholen

Selbst die Turbulenzen nach den umstrittenen Abstimmungen der Union im Bundestag zusammen mit der AfD konnten der Geschlossenheit der Schwesterparteien nichts anhaben. Im Gegenteil.

Seit 2015 habe die Migrationspolitik auch CDU und CSU gespalten, meint Söder. “Dies ist jetzt anders, dies ist jetzt eine andere Union." Merz mache glaubwürdig klar, dass er die "die Migration in Deutschland begrenzen will", so der CSU-Chef. Und dafür stehe man in Bayern voll hinter ihm.

In der CSU scheint man sogar noch geschlossener hinter dem Vorgehen zu stehen, als bei der Schwesterpartei. In ihren Reihen gab es – anders als bei der CDU – bei keiner der Abstimmungen Abweichler.

CSU-Chef bleibt beim "Nein" zu Schwarz-Grün

In ihren Reden an diesem Samstag arbeiten sich Söder, als auch Merz an klassischen Unionsthemen ab. Die Migration müsse beschränkt, das Bürgergeld abgeschafft und endlich eine Wirtschaftswende eingeleitet werden – die Bürokratie dafür im Allgemeinen abgebaut.

Doch obwohl man sich inhaltlich einig scheint klingen zwischen den Zeilen doch bei einem Punkt Differenzen zwischen CDU und CSU durch. Denn Söder widmet einen nicht unerheblichen Teil seiner Redezeit einer erneuten Breitseite gegen die Grünen.

Die Idee des Grünen Kanzlerkandidaten und Wirtschaftsminister Robert Habeck, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, nennt er "Grüne Gier auf das Ersparte" und sein Fazit mit Blick auf den Migrationskurs der Union: "Ich weiß nicht, ob mit der SPD da viel geht, aber eines weiß ich: Die Grünen werden kein Partner sein, wenn es um eine wirksame und nachhaltige Begrenzung der Migration geht."

Allein die Aussicht, dass es nach der Wahl zu einer Schwarz-Grünen Regierung kommen könnte, würde Wählerstimmen kosten, sagt Söder. "Und deshalb müssen die Grünen in die Opposition, es hilft nichts".

Von Friedrich Merz, hört man an diesem Samstag nicht einen Ton in diese Richtung.

Ein Hauch von Laschet 2.0?

Der CDU-Chef äußert in Nürnberg zwar durchaus direkte Kritik an den Grünen, aber eine Absage an eine mögliche Koalition kommt ihm nicht einmal im Ansatz über die Lippen.

15 Tage vor der Wahl ist das ein eingespieltes Muster der beiden Parteivorsitzenden. Söder der Schwarz-Grün kategorisch verneint und Merz der ambivalent bleibt.

Merz weiß, dass er um die Grünen unter Umständen nicht herumkommt. Eine Koalition mit der AfD, der Linken und dem BSW hat er kategorisch ausgeschlossen.

Mit der FDP könnte er sich inhaltlich bei vielen Punkten einig werden, doch den Liberalen, die in den Umfragen klar unter 5 Prozent liegen, traute Merz zuletzt selbst den Wiedereinzug ins Parlament nicht mehr zu.

In der SPD will man derweil Merz rigorosen Migrationskurs nicht mittragen. Parteichef Lars Klingbeil, der nach der Wahl in der Partei eine noch wichtigere Rolle spielen könnte, zog diesbezüglich zuletzt eine "rote Linie“ bezüglich eines "faktisches Einreiseverbot", das Merz ab Tag eins im Kanzleramt versprochen hat.

Doch ein Abweichen von dieser Forderung, ist auf dem CSU-Parteitag nicht zu spüren. Im Gegenteil. Der einzige Antrag, der an diesem Tag beschlossen wird, ist ein Wahlaufruf der CSU. Das erste erklärte Ziel der Partei darin: "Faktischer Einreisestopp durch Zurückweisungen an der Grenze und konsequente Grenzkontrollen".

Zwar gilt es nicht als unwahrscheinlich, dass sich Schwarz-Rot trotzdem nach der Wahl zusammenraufen würde. Aber eine Absage Marke "Markus Söder" an die Grünen von Merz würde den Sozialdemokraten die Möglichkeit geben, den Preis für eine Koalition deutlich nach oben zu schrauben. Also doch ein "Laschet 2.0"-Moment?

Söder treibt den Preis nach oben - für die SPD und Merz

Wahrscheinlicher ist, dass der bayerische Ministerpräsident aus Eigennutz agiert. Man sage "Bayerischen Regenten eine Form der geschmeidigen Wechselhaftigkeit" nach, erklärte Söder kürzlich mit hörbarer Selbstironie in der Stimme bei seinem Neujahrsempfang in München.

Das Publikum reagierte mit Gelächter – denn auch den Gästen an diesem Abend dürften die vielen politischen 180 Grad Wendungen Söders in der Vergangenheit nicht entgangen sein.

In der Corona-Pandemie wechselte er etwa vom "Team-Vorsicht" in die Fraktion der Lockerungsbefürworter. Und während er auf diesem Parteitag seine Forderung wieder in die Kernkraft einzusteigen erneuert, drohte er in seiner Zeit als bayerischer Umweltminister nach dem Unglück von Fukushima sogar noch mit seinem Rücktritt, sollte der Atomausstieg im Freistaat nach hinten verschoben werden.

Viele politischen Beobachter sind sich deshalb sicher: Söders Nein zu Schwarz-Grün ist nicht so unumstößlich, wie es klingt. Stattdessen kann er mit seinen energischen Schüssen gegen die Grünen bei der eigenen Kernwählerschaft punkten. Gleichzeitig könnte er sich seine Unterschrift auf einem Koalitionsvertrag später teuer bezahlen lassen. Und zwar auch von Merz.

Besonders wahrscheinlich wirkt ein Schwarz-Grünes Bündnis derzeit trotzdem nicht. Die Debatte über die Migrationspolitik hat die Gräben zwischen den Parteien vertieft. Und dass Grünen-Kanzlerkandidat Habeck ein Eingeständnis von Merz, dass die Abstimmung mit der AfD ein Fehler gewesen sei, zur Bedingung für eine Koalition machte, dürfte ebenfalls nicht helfen.

Ein Umdenken bei Merz ist auf dem Parteitag nicht spürbar. "Sollen wir deswegen nichts sagen, sollen wir deswegen schweigen", weil die Falschen zustimmen würden fragt Merz die Anwesenden etwa.

Über den Koalitionsausschuss: Mehr Bayern in Berlin?

Egal, ob die Union am Ende mit der SPD oder den Grünen regiert. Sollten sie die Wahl gewinnen, dürfte Söders Einfluss in Berlin sicherlich größer werden. Zum einen natürlich, weil die CSU dann mitregieren würde.

Auf dem Parteitag bringt Söder schon mal seinen Vertrauten Alexander Dobrindt in Stellung. Eine Regierung ohne diesen, mit dem er am Tag mindestens "zwei Mal" telefoniere – wird es nicht geben. Ex-Verkehrsminister Dobrindt erneut als Ressortchef? Da will sich Söder nicht festlegen.

Doch auch hinter den Kulissen dürfte Söder nach der Wahl mehr zu sagen haben. Denn in der Union ist man sich schon einig – künftig soll der Koalitionsausschuss in Berlin eine größere Rolle spielen.

Das Gremium fungiert als Schnittstelle zwischen den regierenden Parteien. Durch den Dauerstreit innerhalb der Ampel fungierte der Ausschuss in den letzten Jahren vor allem als Raum, um Differenzen zu schlichten. Unter einer unionsgeführten Regierung soll das anders laufen.

Laut Merz solle der Ausschuss künftig "schon regelmäßig tagen und darf nicht immer nur im Krisenfall zusammentreten.“ Üblicherweise gehören ihm der Kanzler, sowie die Fraktionschefs und die Parteichefs an. Und im Falle der CSU, heißt letzterer bekanntlich Markus Söder.

Bei der CSU will man deshalb sogar noch deutlich weiter gehen. Der Koalitionsausschuss müsse zu einem "Entscheidungsgremium" und ein "zentrales Steuerungsorgan“ werden, heißt im Beschlusspapier von der CSU-Klausurtagung Anfang des Jahres. Angesiedelt werden soll er gar im Bundeskanzleramt.

Für Söder wäre das eine direkte Leitung, um seine politische Agenda über die bayerischen Landesgrenzen nach Berlin zu schieben. Ein Privileg im Vergleich zu den übrigen Ministerpräsidenten.

Ob man von Seiten der CDU dem Wunsch nachkommt – unklar. Aber zumindest aktuell ist die Verhandlungsbasis von Söder gut.

Wie lange hält die Harmonie?

Die letzten Umfragen aus Bayern sehen die CSU bei der Bundestagswahl im Freistaat bei 42 Prozent. Ganze 23 Prozentpunkte liegen sie damit vor dar AfD auf Platz zwei und mehr als zehn Prozent über dem früheren Zweitstimmenergebnis bei der Bundestagswahl 2021.

Währenddessen stagniert die Union auf Bundesebene seit Monaten bei +/- 30 Prozent. Dass Söder am Samstag postuliert “Bayern tut Deutschland gut, die CSU tut auch der CDU gut", kann man durchaus als Erinnerung in Richtung Merz an diesen Umstand verstehen.

In die Parade fahren könnte der CSU noch die Wahlrechtsreform. Denn die könnte dafür sorgen, dass die Christsozialen nach der Wahl nicht so viele Direktabgeordnete nach Berlin senden kann, wie ihr nach dem Erststimmenergebnis zustehen.

"Auch mit der Zweitstimme für die CSU. Sonst kommen direkt gewählte Abgeordnete nicht in den Bundestag", mahnt Friedrich Merz deshalb beim Parteitag. Es gäbe “keinen Grund auf irgendeinen politischen Mitbewerber jetzt Rücksicht zu nehmen."

Zum Schluss des Parteitages versammelt sich Merz zusammen mit Söder, Dobrindt, Huber und anderen anwesenden CSU-Politikern noch einmal auf der Bühne. Zusammen singen sie die “Bayernhymne" und posieren lächelnd für Fotos. Wie lange die neue Harmonie zwischen CDU und CSU wohl nach der Bundestagswahl hält?

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