Stellenabbau: Die größten deutschen Autobauer sitzen in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen. Auch in Hessen hängen an der kriselnden Branche Tausende Arbeitsplätze. Denn neben Opel in Rüsselsheim und dem VW-Werk in Baunatal gibt es zahlreiche Zulieferer.
Knapp 42.000 Männer und Frauen sind in Hessen laut Zahlen des Statistischen Landesamts vom September mit der "Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen" beschäftigt. Auf diese Gruppe bezieht sich auch die Karte: Sie zeigt Standorte von Unternehmen, die Fahrzeuge und Komponenten dafür entwickeln oder herstellen und in Hessen insgesamt mindestens 500 Mitarbeiter beschäftigen. In dieser Größenklasse bewegen sich übrigens auch die Vertriebsorganisationen von Mercedes und BMW in Hessen; etwas kleiner sind die Deutschland- und Europazentralen von ausländischen Autobauern im Rhein-Main-Gebiet.
Unter den aufgeführten Industrieunternehmen arbeiten viele nicht ausschließlich für die Kfz-Branche: Bei der Schunk Group beispielsweise entfallen nach Angaben eines Sprechers etwa 40 Prozent der Umsätze auf das Automotive-Geschäft, das Unternehmen betrachte sich daher nicht als Autozulieferer.
Umgekehrt gibt es zahlreiche Unternehmen, die zwar keine Autoteile produzieren, mittelbar aber dennoch von der Branche abhängig sind – weil sie beispielsweise Pigmente für Autolack herstellen oder Kunststoffe, die für die Innenverkleidung oder für die Sitze verwendet werden. Da solche Grundstoffe für viele verschiedene Anwendungen infrage kommen, wurden sie hier nicht berücksichtigt.
Rechnet man dagegen alle Unternehmen in Hessen zusammen, deren Produkte auch von der Autoindustrie verwendet werden, ergeben sich weitaus höhere Beschäftigtenzahlen: Auf 241.000 Mitarbeiter kam 2022 das Beratungsunternehmen IW Consult, eine Tochtergesellschaft des Instituts der deutschen Wirtschaft, in einer Studie für den Arbeitgeberverband Hessenmetall. Wobei auch diese Zahl heute wohl etwas niedriger ausfallen würde.
Baunatal
Zweitgrößtes VW-Werk
Seit das VW-Management in Wolfsburg den Abbau Zehntausender Stellen angekündigt hat, geht auch im nordhessischen Baunatal die Angst um. Hier befindet sich der mit 15.500 Beschäftigten zweitgrößte deutsche VW-Standort.
In Baunatal werden Getriebe, elektrische Antriebe, Karosserieteile und Abgasreinigungsanlagen hergestellt, die in Fahrzeugen der Konzernmarken Volkswagen, Seat, Audi, Skoda, Porsche, Lamborghini und Porsche verbaut werden. Vor drei Jahren kündigte Volkswagen an, in Baunatal bis 2026 rund 1,2 Milliarden Euro zu investieren. Mehr als zwei Drittel dieser Summe seien für die Entwicklung und Fertigung von E-Komponenten bestimmt. Mit einer der neuen Anlagen gab es in den vergangenen Monaten allerdings Probleme, Anfang dieses Jahres musste deswegen laut Medienberichten die Produktion von E-Autos im VW-Werk in Zwickau gedrosselt werden.
Inzwischen ist das größere Problem, dass der Absatz von E-Autos vor allem in Deutschland schwächelt. Die von Volkswagen angekündigten Einschnitte hängen aber auch damit zusammen, dass der Konzern auf dem chinesischen Markt an Boden verliert. In den ersten neun Monaten dieses Jahres verkaufte das Unternehmen in China zehn Prozent weniger Autos als im Vorjahreszeitraum.
Wie schwerwiegend die Folgen für Baunatal sein werden, ist noch unklar. Der VW-Vorstand will Lohnkürzungen durchsetzen und hat gedroht, bis zu drei Werke in Deutschland zu schließen. Am Montag trat das Management mit Vertretern der Arbeitnehmerseite zur fünften Verhandlungsrunde zusammen.
Frankfurt
Continental vor der Spaltung
Seit dem 9. Dezember ist es beschlossene Sache: Der Dax-Konzern Continental mit Sitz in Hannover will seine Automotive-Sparte abspalten – und diese Sparte hat ihre Zentrale in Frankfurt. Hier erwarben die traditionell als Reifenhersteller bekannten Hannoveraner 1998 den Bremsenhersteller Teves und begannen mit dem Aufbau eines neuen Standbeins, der Fahrzeugtechnik. Dazu gehören heute auch Softwarelösungen für das assistierte und automatisierte Fahren, an denen beispielsweise Entwickler bei Continental in Wetzlar tüfteln, aber auch Anzeige- und Bedienelemente.
Mit der geplanten Aufteilung soll aus der Automotive-Sparte mit bundesweit rund 100.000 Mitarbeitern bis Ende 2025 ein weitgehend eigenständiges Unternehmen entstehen, was für den mutmaßlichen Hauptsitz in Frankfurt auch eine Aufwertung bedeutet. Aber im Automotive-Markt läuft es seit Jahren nicht rund, die Margen sind weitaus geringer als im Reifen- und Schlauchgeschäft. Der bereits im März angekündigte Stellenabbau wird deshalb fortgesetzt, auch an der damals angekündigten Schließung der Automotive-Standorte in Wetzlar und Schwalbach hält Continental fest. Insgesamt sollen im Rhein-Main-Gebiet 1200 Stellen abgebaut werden, die Hälfte davon in Frankfurt. Der Stellenabbau trifft auch das Werk in Babenhausen, dort soll künftig allerdings – genau wie in Frankfurt – ein Teil der Beschäftigten aus Schwalbach und Wetzlar aufgenommen werden. Die Zahlen auf der Karte stammen von Ende September. In Frankfurt ist die Summe der Mitarbeiter im Vergleich zum Frühjahr bereits um 250 geschrumpft. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Wetzlar und Schwalbach wird nach Auskunft eines Unternehmenssprechers erst 2025 beginnen.
Schon länger beschlossen ist die Verkleinerung des Automotive-Standorts in Karben, wo Ende 2025 die Produktion von Komponenten für Fahrzeugdisplays ausläuft. Die Zahl der Mitarbeiter wird dann von 450 auf rund 200 sinken. Daneben arbeiten in Karben rund 600 Mitarbeiter der Sparte Conti Tech, die hier Leitungen für Antriebe und Fahrwerke von Autos und Lastwagen produziert. Schläuche werden auch bei Conti Tech in Korbach hergestellt, weitaus größer ist dort allerdings die Reifenproduktion. Aufgeben will das Unternehmen übrigens auch die Schlauchproduktion im nordhessischen Oedelsheim, das Werk arbeitet aber eng mit dem in Hannoversch Münden in Niedersachsen zusammen, die Beschäftigtenzahlen für die beiden Standorte werden nicht separat aufgeschlüsselt.
Fulda und Hanau
Goodyear auf Sparkurs
Der Reifenhersteller mit Hauptsitz in den USA hat vor einem Jahr angekündigt, sein Werk in Fulda bis zum Ende des dritten Quartals 2025 zu schließen. Dabei ging es den deutschen Autobauern zu dem Zeitpunkt noch gut: Volkswagen erzielte 2023 einen Nettogewinn von fast 18 Milliarden Euro, BMW verkaufte so viele Autos wie nie zuvor.
Dagegen habe sich der Absatz von Autoreifen in Deutschland nach dem Einbruch in der Corona-Krise aber nicht wieder erholt, heißt es in einer im August erschienenen Branchenanalyse der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Den hiesigen Herstellern mache neben dem Trend zu Ganzjahresreifen die Billigkonkurrenz aus China zu schaffen. Dort werden Marken wie Westlake, Kormoran oder Goodride hergestellt. Außerdem ist die Produktion von Reifen energieintensiv. Der Anstieg der Gaspreise in Europa nach dem russischen Angriff auf die Ukraine dürfte die Unternehmen "verunsichert" haben, heißt es in der Analyse.
Durch die Schließung des Werks in Fulda fallen bei Goodyear in Deutschland nach Unternehmensangaben etwa 1050 der bundesweit 5000 Stellen weg. In Hessen bleibt damit nur noch das Werk in Hanau, wo sich auch der Sitz der Deutschlandgesellschaft von Goodyear befindet. Laut Standort-Website arbeiten in Hanau rund 1000 Personen "in der Produktion", wie viele Beschäftigte dort insgesamt tätig sind, wollte das Unternehmen nicht sagen.
Kassel
Achsen für Mercedes-Lkw
Das Mercedes-Benz-Werk in Kassel mit rund 2700 Beschäftigten ist zentraler Produktionsstandort für Nutzfahrzeugachsen der Daimler Truck AG. Es geht auf die Henschel-Werke zurück, einen Maschinen- und Fahrzeugbauer, der Ende der Sechzigerjahre mit dem Hannoveraner Lkw-Hersteller Hanomag zur Hanomag-Henschel Fahrzeugwerke GmbH zusammengeschlossen und dann von Daimler übernommen wurde.
Seit 2021 werden hier neben Achsen für konventionelle Lastwagen auch solche für Lkw mit Batterieantrieb gefertigt, bei denen das elektrische Antriebssystem direkt auf die Achsbrücke montiert wird. In Kassel werden dafür zwei Elektromotoren und verschiedene Getriebeteile, die aus einem Werk im baden-württembergischen Gaggenau kommen, zunächst zusammengebaut und dann auf der Achsbrücke befestigt.
Auch bei der Produktion von Brennstoffzellen-Lkw, von denen Daimler Truck bis Ende 2026 zunächst eine Kleinserie von 100 Stück fertigen will, soll das Kasseler Werk beteiligt werden. Das Projekt wird vom Bundesverkehrsministerium gefördert – ebenso wie der Absatz der bereits in Serie produzierten Lastwagen mit Batterieantrieb. Die ersten Kunden, die dieses Jahr den eActros 600 bestellt haben – so heißt der neueste batteriebetriebene Lastwagen von Mercedes-Benz Trucks – erhielten eine staatliche Kaufprämie: Sie profitierten von einem Förderprogramm des Verkehrsministeriums für Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben, wie Daimler Truck zu Monatsbeginn mitteilte. Laut ADAC kosten elektrische Lastwagen mehr als doppelt so viel wie Lkw mit Dieselmotor. Zudem gebe es für elektrische Lastwagen bislang zu wenig Ladesäulen.
Rüsselsheim
Weniger zu tun bei Opel
Anfang Dezember hat Opel die Mitarbeiter in der Produktion für eine Woche nach Hause geschickt. Derzeit läuft das Werk im Einschichtbetrieb, nachdem die zwei Schichten, die es vorher gab, im November bereits verkürzt worden waren. Das Unternehmen verwies zur Begründung auf "abgearbeitete Auftragsspitzen und aktuelle Markterfordernisse", zudem sei "die Effizienz der Fertigung deutlich gesteigert" worden.
Der Verweis auf die Markterfordernisse deutet dennoch darauf hin, dass die Nachfrage auch nach den in Rüsselsheim gefertigten Fahrzeugen schwächelt. In dem traditionsreichen Opelwerk werden der Astra und der DS 4 gebaut, ein Modell der französischen Marke DS Automobiles, die wie Opel zum Stellantis-Konzern gehört. Während der DS 4 eher ein Nischenprodukt ist, verkaufte sich der Astra zumindest in Deutschland zuletzt gut: Von Januar bis November wurden laut Kraftfahrzeugbundesamt fast 45.000 neue Astras zugelassen, gut doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Europaweit allerdings ist der Absatz von Opel-Fahrzeugen in den ersten zehn Monaten dieses Jahres um acht Prozent zurückgegangen, wie die Zulassungsstatistik des europäischen Herstellerverbandes ACEA zeigt.
Auch andere Stellantis-Marken kämpfen mit Absatzrückgängen, was den Wettbewerb unter den Entwicklungszentren in dem multinationalen Konzern verschärft. Ein in Rüsselsheim laufendes Abfindungsprogramm soll vor allem auf die in der Entwicklung beschäftigten Ingenieure zielen. Wie viele der Ende 2023 noch 8300 Opel- und Stellantis-Mitarbeiter in Rüsselsheim dieses Jahr eine Abfindung angenommen haben, teilt das Unternehmen nicht mit. Laut IG Metall ist die Gesamtbelegschaft aber mittlerweile auf weniger als 8000 Mitarbeiter geschrumpft. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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