Nach elf Spieltagen und Bayerns 2:3 im Topspiel in Dortmund stehen vier Vereine vor dem Titelverteidiger. Was machen Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach, RB Leipzig und Eintracht Frankfurt besser als der sportlich schlingernde Primus der Bundesliga?
2:3 beim Spitzenreiter in Dortmund, Platz fünf nach elf Bundesliga-Spieltagen, sieben Punkte Rückstand auf Erzrivale BVB: eine Momentaufnahme, die dem Selbstverständnis des FC Bayern München in keiner Weise entspricht. Der deutsche Rekordmeister unterläuft seinen hohen Anspruch und muss die Konkurrenz passieren lassen. Gleich vier Vereine haben die Gunst der Stunde genutzt.
Vier Faktoren sind auf der Suche nach der Ursache entscheidend: Trainer, Mannschaft, Spielkonzept und Erwartungshaltung.
Borussia Dortmund
- Trainer:
Lucien Favre ist ebenso seit Saisonbeginn im Amt wieNiko Kovac bei den Bayern. Im Gegensatz zu Kovac aber dringen aus Dortmund keine Meldungen durch, die ein Akzeptanzproblem Favres bei seinen Spielern erkennen ließen. Der Schweizer ist 14 Jahre älter und erfahrener als Kovac. - Mannschaft: Favre schickte am siebten Spieltag beim 4:3 über den FC Augsburg eine Startelf auf den Platz, die ein Durchschnittsalter von 23,5 Jahren aufwies. Jünger waren in der laufenden Saison nur drei Mannschaftsaufstellungen des 1. FSV Mainz 05. Der BVB führt einen personellen Umbruch durch. Die jungen Spieler - angeleitet vom 29-jährigen Kapitän Marco Reus - zahlen das Vertrauen auf Tabellenplatz eins zurück. Im Gegensatz dazu steht die Startelf des FC Bayern, die am zweiten Spieltag beim 3:0 in Stuttgart auflief, mit 29,3 Jahren als die älteste der laufenden Saison in der Statistik.
- Spielkonzept: Der Fußball des BVB ist auf schnelles, überfallartiges Angriffsspiel ausgelegt, entsprechend der Spritzigkeit seines jungen Personals. Dass die Spieler in der Lage sind, diese Kraft raubende Spielweise über die volle Distanz durchzustehen, bewies das 3:2 daheim gegen die Bayern. Deren beste Saisonleistung wurde nicht belohnt, obwohl im Gegensatz zu den Wochen davor Einsatz, Leidenschaft und Spieltempo über weite Strecken stimmten.
- Erwartungshaltung: Borussia Dortmund kann Meister werden, Bayern München muss es. Vor Beginn der Runde galt der BVB als ein möglicher Jäger des Meisters. Elf Partien später hat Dortmund die Münchner selbst zum Jagen verdammt.
Borussia Mönchengladbach
- Trainer:
Dieter Hecking gehört mit seinen 54 Jahren zu den erfahrensten und etablierten Coaches der Bundesliga. Gladbach ist seine sechste Station im Profifußball. Hecking versteht sich prächtig darauf, vermeintliche Underdogs mit geringem Budget zu Überraschungsmannschaften zu formen. Das gelang ihm bereits in Lübeck, Aachen, Hannover und Nürnberg. Nur in Wolfsburg hatte Hecking etwas mehr Geld zur Verfügung - und schlug in der Champions League sogar Real Madrid. - Mannschaft: Bei den "Fohlen" stimmt angesichts eines Durchschnittsalters von etwas über 27 Jahren die Mischung. Traditionell wirtschaftet der Verein überlegt, weil ihn der finanziell begrenzte Rahmen dazu zwingt. Sportdirektor
Max Eberl gefällt trotzdem der Begriff des "Ausbildungsvereins" nicht. Gladbach, so sagt er, entwickele Spieler weiter. Zu beobachten ist das aktuell an Alassane Plea, dem teuersten Einkauf der Vereinsgeschichte. Der Franzose kam im Sommer aus Nizza und kostete 23 Millionen Euro. Der 25-Jährige ist nach elf Toren in zwölf Pflichtspielen nach Berechnungen von transfermarkt.de schon jetzt fünf Millionen Euro mehr wert. Gladbach kennt dieses Spiel, Plea wahrscheinlich in absehbarer Zeit mit Gewinn zu veräußern und sich nach bezahlbarem Ersatz umschauen zu müssen. - Spielkonzept: Gladbach steht seit jeher für einen erfrischenden Offensivfußball, vorgetragen von jungen, entwicklungsfähigen Spielern. Diese Eigenschaften fasst der Spitzname "Fohlen" zusammen, der aus den 1970er-Jahren stammt. Die Borussia verstand sich
- und versteht sich - prächtig darauf, schnell und erfolgreich zu kontern. Dazu kommt Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor. Diese war besonders zu bewundern bei den Auswärtssiegen in München (3:0) und in Bremen (3:1). - Erwartungshaltung: So etabliert die Borussia in der Bundesliga sein mag. Eine Selbstverständlichkeit stellt es für die Gladbacher nicht dar, zu deren Spitzengruppe zu gehören. Eberl bemerkte im Sport1-Talk "Doppelpass" nach dem 3:1 in Bremen, es habe die Mannschaft gehemmt, 2017/18 Europa als erklärtes Ziel auszugeben. Eberl war in jener Saison auch massiv mit Fans aneinander geraten, die die Mannschaft aufgrund ihres fußballerischen Vortrags auspfiffen. Diese Probleme mit einer übertriebenen Erwartungshaltung von den Rängen sind beigelegt. Doch vor dem FC Bayern zu stehen, lässt bei Eberl auch die Wachsamkeit wachsen, die Erwartungshaltung zu bremsen.
RB Leipzig
- Trainer:
Ralf Rangnick hält fürJulian Nagelsmann die Stellung. Hoffenheims Coach übernimmt den Klub im Sommer 2019. Rangnick ist nach der Trennung von Ralf Hasenhüttl die ideale Übergangsbesetzung, ist doch das RB-Konzept das "Baby" des 60-Jährigen. Rangnicks Trainer-Qualitäten haben vor zehn Jahren auch die TSG 1899 Hoffenheim, von der jetzt Nagelsmann verpflichtet wurde, im Eiltempo in der Bundesliga etabliert. - Mannschaft: Es ist und bleibt Leipzigs Marschroute, junge und weitgehend unbekannte Spieler in ein vorgegebenes Konzept zu integrieren. Es wäre aufgrund der Unterstützung durch Red Bull und dessen Gründer Dietrich Mateschitz genügend Geld vorhanden, namhafte Stars einzukaufen. Leipzigs Mannschaft aber zeichnet sich durch Homogenität und Erfolgshunger aus.
- Spielkonzept: Die Jugendlichkeit und Begeisterung, gepaart mit der nötigen Ballfertigkeit, zeichnet Leipzig und dessen überfallartiges Spiel in die Spitze aus. Darin ähneln die Sachsen Mannschaften wie Dortmund oder Hoffenheim. Mit Timo Werner, Jean-Kévin Augustin und Yussuf Poulsen sind schnelle und unberechenbare Angreifer im RB-Sturm.
- Erwartungshaltung: RB Leipzig ließ nie einen Zweifel daran, in die Bundesliga und die Champions League vordringen zu wollen. Diese Ziele sind erreicht. RB spielt erst im dritten Jahr in der Bundesliga, bewegte sich aber immer in der Spitzengruppe. Irgendwann dürfte es auch die Meisterschaft sein.
Eintracht Frankfurt
- Trainer: Adi Hütter war beim Pokalsieger bereits nach seinem Debüt - dem 0:5 im Supercup gegen den FC Bayern - für zahlreiche Kritiker nicht mehr haltbar. Elf Bundesligaspiele später haben Hütter und seine Mannschaft die Bayern - und damit auch Hütters Vorgänger Kovac - mit einem 3:0 über Vizemeister Schalke überholt. Die Kritik an Hütter, immerhin im Vorjahr Meistertrainer der Young Boys Bern, ist verstummt.
- Mannschaft: Sportdirektor Fredi Bobic hat ein Händchen bei der Zusammenstellung des Kaders bewiesen. Große Stars brillieren nicht am Main. Sie sind - wie die Tor-Garanten Ante Rebic, Luka Jovic, Sebastién Haller - erst am Main zu Stars geworden. Die derzeitige Eintracht füllt den Vereinsnamen über ihren Zusammenhalt auf dem Platz mit Leben.
- Spielkonzept: Unter Kovac ging es im Frühling 2016 für die Eintracht lediglich darum, die Klasse zu halten. Dies gelang erst in der Relegation gegen den 1. FC Nürnberg. Seinerzeit definierte sich Frankfurt vor allem über eine stabile Defensive. Stabil ist die Defensive der Hessen nach wie vor. Doch mittlerweile ist die Eintracht in der Lage, das Geschehen selbst zu bestimmen. Vor allem das erwähnte Sturmtrio wirbelt durch Europa League und Bundesliga. In der haben nur die Dortmunder häufiger getroffen (33 Tore zu 26 Toren), die Gladbacher ebenso oft.
- Erwartungshaltung: Das Frankfurter Publikum gilt als anspruchsvoll, ebenso die örtliche Presse. Allerdings hat bei der ehemals "launigen Diva vom Main" aufgrund der Jahre der Rückschläge und der Abstiege in die Zweitklassigkeit eine gewisse Demut Einzug gehalten. Die Fans bejubeln inzwischen keine hochbezahlte Mannschaft mehr, deren Klasse sie verpflichtet, um die Meisterschaft mitzuspielen. Platz vier nach elf Spieltagen - mit einem neuen Trainer und ohne die verlorenen Säulen Kevin-Prince Boateng, Lukas Hradecky, Marius Wolf und Omar Mascarell - liegt weit über dem, was zu erwarten war. Der überraschende Pokalsieg durch das gewonnene Endspiel gegen Bayern München im Sommer 2018 scheint der Mannschaft einen nachhaltigen Schub verliehen zu haben.
Fazit
Die Bayern liegen nur auf Platz fünf, weil andere Vereine mehr Mut zur Veränderung bewiesen und dank einer geringeren Erwartungshaltung weniger Druck verspüren. Auch scheint der Erfolgshunger größer, haben sie doch keine sechs Meisterschaften nacheinander eingefahren.
Während sich alles auf Bayern fokussiert, haben deren Konkurrenten notwendige Umbrüche vollzogen und vertrauen jungen, unfertigen Spielern. Teils, weil es zum Vereinskonzept gehört, teils, weil die Finanzen diesen Weg diktieren.
Veränderungen vorzunehmen, setzt die Bereitschaft voraus, zumindest kurzfristig Einbußen beim sportlichen Erfolg zu akzeptieren. Diese Prämisse ist nirgendwo so schwer zu erfüllen wie in München.
Bayerns Präsident Uli Hoeneß sprach nach dem 2:0 über Athen in der Champions League von einer "Mannschaft im Umbruch" und von einem "jungen Trainer, der sich reinarbeiten muss. Da muss man ein bisschen Geduld haben." Es sei sogar ein Jahr ohne Meisterschaft vorstellbar, davon würde "der FC Bayern nicht untergehen."
Solange die Veteranen Franck Ribéry und Arjen Robben nicht nur zum Kader gehören, sondern das Münchner Spiel mibestimmen, ist Hoeneß' Feststellung eines "Umbruchs" nur schwer nachzuvollziehen. Im "kicker" aber kündigte er Vollzug an: "Wir werden nächstes Jahr, wenn der zweite Schritt des Umbruchs kommt, sicherlich das Mannschaftsgesicht ziemlich verändern."
Verwendete Quellen:
- kicker.de
- transfermarkt.de
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