Am Freitag startet die neue Bundesliga-Saison. Im großen Interview spricht Trainer-Legende Friedhelm Funkel unter anderem über Titelverteidiger Bayer Leverkusen, die Meisterchancen des FC Bayern – sowie die schwierige Situation von Leon Goretzka.

Ein Interview

Herr Funkel, die Bundesliga startet am Freitag mit dem Auftaktspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Bayer Leverkusen. Worauf freuen Sie sich am meisten?

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Friedhelm Funkel: Dass wir hoffentlich – und davon bin ich überzeugt – einen spannenden Meisterschaftskampf erleben werden. Dass wir viele gute Spiele sehen und dass die Stadien wieder voll sein werden, so wie in den letzten Jahren auch. In den Bundesliga-Stadien ist eine tolle Atmosphäre und das sind alles Dinge, auf die man sich freuen kann.

Meister Bayer Leverkusen hat mit dem Supercup den ersten Titel geholt und wieder einen späten Treffer erzielt. Diese besondere Qualität hat die Mannschaft offenbar schon mal in die neue Saison mitgenommen…

Zumindest mit ins erste Spiel. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Leverkusener noch mal so eine Saison spielen, in der sie kein Spiel verlieren. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Auch wenn die Mannschaft in der Tat nicht schwächer geworden ist. Ob sie das gleiche Level nochmal erreichen kann, wird man abwarten müssen. Aber ich verspreche mir vom Titelkampf eine größere Spannung, weil die Bayern zurückkommen werden, weil auch die anderen drei, die dahinter waren, stärker sein werden als in der letzten Saison.

Auch die Stuttgarter?

Stuttgart vielleicht als kleine Ausnahme, denn die werden nicht unbedingt stärker sein, aber sie werden nicht abfallen. Die haben ihre Abgänge gut und klug aufgefangen.

"Jede Mannschaft will Leverkusen jetzt schlagen"

Funkel über den Deutschen Meister Bayer Leverkusen.

Welche Herausforderungen warten in Leverkusen auf Team und Verein nach so einer Saison?

Jede Mannschaft will Leverkusen jetzt schlagen. Nach so einem Jahr ist Leverkusen in der neuen Saison erst einmal für alle anderen Klubs das Highlight-Spiel. Sie können sich auf viel Gegenwehr einstellen und sie werden auch wieder eine sehr gute Saison spielen. Aber ich glaube nicht, dass es nochmal so eine Saison gibt, in der sie wer weiß wie oft in der Schlussphase und in der Nachspielzeit noch ein Unentschieden oder sogar noch Siege holen.

Inwieweit muss Trainer Xabi Alonso sich und seine Mannschaft ein Stück weit neu erfinden?

Besser als Xabi kann man es nicht sagen. Die Vergangenheit ist passiert. Da können sie sich nichts mehr für kaufen. Für Bayer zählen daher nur die Gegenwart und die Zukunft.

Eine Woche vor dem Bundesliga-Start gewann der Double-Gewinner Bayer Leverkusen trotz langer Unterzahl im Supercup mit 4:3 im Elfmeterschießen gegen den Vizemeister VfB Stuttgart. © picture alliance / Anadolu/Hesham Elsherif

Sind Mannschaft und Verein denn bereit dafür, noch einmal so eine erfolgreiche Saison zu spielen, also um Titel?

Ich bin davon überzeugt, dass der Charakter in der Mannschaft steckt, nochmal eine sehr, sehr gute Saison zu spielen. Dafür steht der Trainer und dafür stehen aber auch die Charaktere in der Mannschaft, wenn ich an Granit Xhaka oder Robert Andrich denke. Da möchte ich die Aussage von Xhaka wiedergeben, der gesagt hat, in den letzten 20, 25 Minuten musste man gegen den VfB dreckig und schmutzig spielen, um die Wende herbeizuführen. Und das im Supercup. Bei allem Respekt ist das jetzt nicht der alles entscheidende Titel. Und die Mannschaft hat im ersten Spiel direkt gezeigt, dass sie gierig ist, dass sie auch diesen Titel holen will und dass ihnen dafür alle Mittel recht sind.

Funkel: Beim FC Bayern herrscht ein bisschen Unruhe

Ist die Dominanz der Bayern denn jetzt erst einmal beendet?

Ja, das würde ich unterschreiben. Sie werden nicht nochmal so eine Saison spielen, in der sie so wenig Punkte holen wie im letzten Jahr. Aber die müssen erstmal schauen, dass sie Anschluss an Leverkusen halten und vor allem auch Leipzig, Dortmund und auch Stuttgart nicht so nah an sich herankommen lassen.

Welche Reaktionen aus München können wir erwarten?

Die wollen mit aller Macht an die Spitze zurück. Da kann man sich drauf einstellen. Ob sie es so schnell hinkriegen, ist die Frage. Es sind ein paar neue Spieler dabei. Es ist trotz allem ein bisschen Unruhe durch das ganze Gehabe um Leon Goretzka. Das ist auch nicht ohne.

Wie schätzen Sie die Goretzka-Thematik ein?

Er ist ein Spieler, der sich gar nichts hat zu Schulden kommen lassen. So jemanden so links liegen zu lassen, das ist schon heftig. Auch wenn man ihm das wohl scheinbar vor zwei, drei Wochen schon so gesagt hat, ist das immer ein Thema in München, solange er da ist. Und Unruhe können die Münchner nicht gebrauchen. Sie brauchen Ruhe, sie brauchen einen sehr, sehr guten Start. Sonst kommt sofort weitere Unruhe auf. Das wissen die Verantwortlichen, das weiß der Trainer, das wissen die Spieler. Da kann man nur gespannt sein, wie sie in die Saison starten.

Die Vorbereitung ist kein Gradmesser

Neuer Trainer, neue Spieler, Wirbel um einzelne Personalien: Wie ordnen Sie die Vorbereitung der Bayern insgesamt ein?

Ich glaube, dass sie ganz ordentlich war. Das war wie bei anderen Mannschaften auch. Doch Vorbereitung hin, Vorbereitung her: Das alles Entscheidende ist das kommende Wochenende. Da kannst du vorher alle Spiele gewonnen oder alle Spiele verloren haben. Das zählt alles nicht, das ist kein Gradmesser.

Vieles in der Vorsaison war bereits nicht Bayern-like. Haben die Verantwortlichen aus den Fehlern gelernt?

Man hat Uli Hoeneß im Grunde vorgeworfen, er hätte gesagt, bevor neue Spieler kommen, müssen erst andere wieder verkauft werden. Da hat man gesagt, der Uli poltert schon wieder. Das stimmte so ja gar nicht. Er hat gesagt, dass das nicht seine Entscheidung, sondern dass das in Gänze eine Entscheidung des Aufsichtsrates war. Und er diese als Sprecher verkündet hat. Man sieht, dass da auch teilweise wahrscheinlich bewusst versucht wird, Unruhe zu schüren. Aber wenn du Bayern kritisierst, wenn du Hoeneß angreifst, hast du einfach Schlagzeilen. Das ist nicht immer fair, das ist nicht immer gut. Damit muss der FC Bayern aber umgehen. Trainer Vincent Kompany macht in der Gemengelage einen richtig guten, einen ruhigen, einen aufgeweckten Eindruck. Aber er steht natürlich brutal unter Erfolgsdruck.

Leon Goretzka
Leon Goretzka steht beim FC Bayern auf dem Abstellgleis. Verlassen will er den Verein aber nicht. © IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Er wurde ja auch oft etwas despektierlich als 1E-Lösung bezeichnet, mit der ganzen Posse um seine Verpflichtung. Ist das für einen so jungen Trainer eine Bürde?

Das würde ich nicht unbedingt sagen. Das kommt darauf an, wie du mit diesen Dingen umgehst und wie du in den ersten Tagen im Umfeld oder in der Kabine auftrittst. Geschrieben wird viel und ich glaube nicht, dass die Bayern wirklich mit allen Trainern, die genannt worden sind, letztendlich verhandelt haben.

Welchen Eindruck haben Sie von Kompany?

Er hat einen guten Eindruck vermittelt, wenn man die Spieler so hört. Er ist nahbar, er ist empathisch und was ganz, ganz wichtig ist bei den Bayern: Er war ein Weltklassespieler. Er weiß, wovon er redet, und das ist in solch einer Star-Mannschaft ganz, ganz wichtig. Und dass er auch in der Lage ist, harte Entscheidungen, brutale Entscheidungen zu treffen. Das sieht man beim Fall Goretzka. Das scheint er auch zu können.

Ist Leon Goretzka eine Personalie, die noch Knallpotenzial hat? Er verhält sich ja absolut professionell…

Wie er sich verhält, das ist unfassbar, das ist Wahnsinn. Das ist sowas von professionell, sowas von menschlich. Ich finde keine Worte dafür. Andere wären schon ausgeflippt, hätten versucht, medial Schlagzeilen zu erzeugen. Das zeigt, was das für ein Mensch ist. Aber dass die Bayern wohl nicht mehr auf ihn setzen, muss er so hinnehmen. Aber wer weiß: Es gibt Wendungen, dass man vielleicht auf einmal wieder spielt, wieder gefragt ist und dann wieder Leistungsträger ist, in einem Verein, der dich gar nicht mehr haben wollte. Das hat es auch schon gegeben. Das wünsche ich ihm.

Kann Kompany die Bayern zurück auf den Erfolgsweg führen?

Ich traue ihm das zu. Die Mannschaft ist eine andere geworden, nicht mehr mit der absoluten Dominanz der vergangenen elf Jahre, nicht mehr mit den vielen überragenden Leistungsträgern. Aber ich traue ihm zu, dass er die Bayern in diesem Jahr zum ernsthaften Konkurrenten von Bayer Leverkusen formt.

"Kane? Der wird seine Tore machen"

sagt der ehemalige Bundesligaspieler über Harry Kane.

Harry Kane läuft der Titellosigkeit weiter hinterher, auch mit England. Die EM war bitter für ihn. Glauben Sie, dass man so einen Spieler wie ihn extra aufbauen muss, weil er sonst in ein Loch fällt? Oder lässt er das hinter sich?

Das lässt er hinter sich. Der ist Profi, der wird seine Tore machen, weil die Bayern in der Lage sind, unglaublich viele Torchancen herauszuarbeiten. Und er ist jemand, der fast jede Chance in Tore ummünzt. Und daher glaube ich, dass Harry Kane auch in der zweiten Saison weit über 20 Tore schießen wird. Ob er nochmal 36 schießt, das muss man abwarten. Aber er wird für die Bayern weiter ganz, ganz wichtig sein.

Beim BVB soll Nuri Sahin den Klub in der Bundesliga nach vorne bringen. Wie gut ist Dortmund aufgestellt?

Sie haben sehr, sehr gute Transfers getätigt, das muss man einfach sagen. Mit Serhou Guirassy, mit Maximilian Baier, der sehr viel Potenzial hat, um Nationalspieler zu bleiben. Ganz klar mit Pascal Groß, einem Strategen im Mittelfeld, der die Balance bestimmt und der dem BVB bisher in dieser Form gefehlt hat.

Und die Spieler, die davor schon da waren?

Julian Brandt wird immer dominanter, immer selbstbewusster. Niklas Süle scheint endlich begriffen zu haben, was Profifußball bedeutet. Sie haben eine gute Mannschaft. Deswegen glaube ich, dass Dortmund weitaus mehr Punkte in der Bundesliga holt als im letzten Jahr.

"Ich glaube, dass die Mannschaft insgesamt leichter zu führen ist als im Vorjahr."

Friedhelm Funkel über Borussia Dortmund

Was halten Sie von Sahin als Trainer?

Er war ein Weltklassenspieler. Das ist für die Akzeptanz der Spieler ganz, ganz wichtig. Ich glaube, dass die Mannschaft insgesamt leichter zu führen ist als im Vorjahr. Dabei kommt ihm auch dieser Weltklassestatus zugute. Er kennt alles, was man als Spieler haben muss, was man machen kann. Er hat zahlreiche sehr, sehr gute Trainer erlebt.

Was fehlt bei RB Leipzig, um angesichts der Möglichkeiten endlich titelreif zu sein?

In den entscheidenden Momenten die Spiele zu gewinnen. Sie haben die Konstanz über eine komplette Saison nicht hinbekommen. Sie haben zwölf, 13, 14 Spiele in Folge nicht verloren. Aber dann haben sie wieder bei Mannschaften gepatzt, wo man es nicht für möglich gehalten hat. Wenn Marco Rose das hinbekommt, dann glaube ich, dass sie eine gute Rolle spielen können.

Es wird in der Sommerpause inzwischen immer wilder, mit Gerüchten und Spekulationen. Ist das eine lustige Unterhaltung oder halten Sie die Entwicklung für bedenklich?

Für mich ist das Unterhaltung, weil ich glaube, dass viele Dinge, die lanciert werden, auf Halbwahrheiten ausgerichtet sind. Das sind gute Schlagzeilen, das lesen die Menschen ganz gerne. Aber wenn man selbst in dem Geschäft tätig ist und viele Dinge selbst erlebt hat, weiß man, dass man das alles gerade in dieser Phase nicht zu ernst nehmen sollte.

Funkel: Beim Trainer kommt es auch auf die Erfahrung an

Sebastian Hoeneß, Kompany, Sahin, Rose, Alonso. Was auffällt: Die Topklubs setzen fast alle auf recht junge Trainer. Carlo Ancelotti ist aber ein Beispiel, dass auch die ältere Generation funktioniert. Wie wichtig ist das Alter wirklich?

Es ist gerade in den entscheidenden Phasen total wichtig, dass du eine gewisse Ruhe ausstrahlst, dass du dich vor die Mannschaft stellen kannst, gewisse Dinge schon erlebt hast. Die Jungs wissen, was du als erfahrener Mann erlebt hast. Erfahrung ist ganz wichtig, gerade in brenzligen Situationen. Dass du den Kopf nicht verlierst, dass du dich nicht irritieren lässt, dass du dich auch deinen Vorgesetzten gegenüber durchsetzen kannst. Das ist vor allem gegenüber der Mannschaft ganz, ganz wichtig.

Und wie groß ist der Faktor Cheftrainer generell noch?

Für mich ist er nach wie vor die wichtigste Personalie, denn er muss mit der Mannschaft arbeiten. Er muss die Entscheidungen treffen. Sobald er sich reinreden lässt, hat er bei der Mannschaft verloren. Das merkt die Mannschaft sofort und das darf nicht sein. Und wer das von außen alles besser weiß, der soll sich selbst auf die Bank setzen und die Verantwortung übernehmen.

Wann kehrt Funkel zurück?

Sie gehören auch zur Riege der erfahrenen Trainer. Wann sehen wir Sie wieder auf der Bank?

Mit dem FCK waren es anstrengende, aber tolle Monate, die wieder mal sehr erfolgreich waren. Wir haben die Ziele erreicht. Und ich habe gesagt, wenn mein Akku wieder aufgeladen ist, habe ich durchaus Lust, noch mal irgendwas zu machen. Wir müssen mal abwarten, ob irgendjemand vielleicht irgendwann Hilfe braucht. Da muss man dann schauen, ob das zueinander passt. So wie ich das in den letzten Jahren gemacht habe. In Düsseldorf sind es von 2016 an vier Jahre geworden. So lange wird es nicht mehr werden. In Köln habe ich das aber acht Spiele lang gemacht. Das war sehr, sehr gut, und auch erfolgreich. Jetzt waren es 15 Spiele. Das war auch gut. Und in diese Richtung sollte es gehen.

Über den Gesprächspartner

  • Friedhelm Funkel (70) ist ehemaliger Bundesligaprofi und seit 1989 Trainer. Insgesamt sechs Mal ist er mit seinen Teams in die Bundesliga aufgestiegen. Zuletzt schaffte er 2023/24 mit dem 1. FC Kaiserslautern den Klassenerhalt in der 2. Liga und den Einzug in das DFB-Pokalfinale, das der FCK gegen Bayer Leverkusen verlor.
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