Baerbock als Außenministerin: So könnte das schwarz-grüne Kabinett aussehen
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Die Sommer-Umfragen signalisieren, dass Deutschland ab Herbst eine schwarz-grüne Regierung bekommen wird. In Berlin beginnen hinter den Kulissen bei CDU/CSU und Grünen die Planspiele und erste Personalabsprachen. So könnte das neue Kabinett aussehen.
In den Bundestagsfraktionen von Grünen und CDU/CSU bildet sich dazu jetzt eine Meinung heraus. Vieles hängt davon ab, wie stark die jeweilige Fraktion am Ende wird und wie sich ein Geschlechter- und Regionalproporz bilden kann.
Die CDU hat dabei das Problem, dass zu viele ihrer Ministerkandidaten aus NRW kommen. Von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wird parteiintern erwartet, dass er aus dem Kabinett aussteigt und die Nachfolge von Ralph Brinkhaus als CDU-Fraktionschef antritt.
Sieht so das neue Kabinett unter Kanzler Laschet aus?
Vizekanzlerin und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne): Die Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin der Grünen mag einen holprigen Wahlkampf führen. In einer schwarz-grünen Bundesregierung übernähme sie gleichwohl die Schlüsselrolle. Sie strebt ins Auswärtige Amt und wäre dann nach Joschka Fischer die zweite grüne Spitzenbesetzung als Deutschlands Außenministerin. Baerbock spricht wahrscheinlich das beste Englisch aller bisherigen Amtsinhaber, es fehlt ihr allerdings jedwede Erfahrung in Regierung oder Diplomatie. Ihr erster außenpolitischer Problemfall dürfte die Nordstream-2-Pipeline werden, die Baerbock nicht ans Netz nehmen und Russland damit abstrafen will.
Superminister für Wirtschaft und Arbeit Friedrich Merz (CDU): Eigentlich gilt Merz als prädestinierter Finanzminister, der Deutschland endlich eine Steuervereinfachung (Stichwort Bierdeckel) bescheren könnte. In der Unionsfraktion - wo er viele Anhänger hat und bereits als neuer Ludwig Erhard gepriesen wird - keimt allerdings der Wunsch, ihn zum Superminister für Wirtschaft- und Arbeit zu machen. Wolfgang Clement hatte beide Ressorts weiland ebenfalls in Personalunion, weil große Reformen nur ressortübergreifend organisiert werden konnten. Gleiches könnte jetzt auch gelten, etwa mit Blick auf eine überfällige Rentenreform.
Umwelt- und Energieminister Robert Habeck (Grüne): Habeck hat in seiner Partei und in der Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen an Reputation gewonnen, weil er im Bundestagswahlkampf als der stärkere grüne Kandidat wahrgenommen wird, gleichwohl Baerbock loyal den Rücken stärkt. Habeck ist bereits Umweltminister in Schleswig-Holstein gewesen, verfügt also über Fach- und Regierungserfahrung. Die Grünen fordern allerdings ein machtpolitisch gestärktes Ministerium, entweder um den Bereich Verbraucherschutz aus dem Landwirtschaftsministerium oder um den Bereich Energiepolitik aus dem Wirtschaftsministerium. Bei Letzterem zeigt sich die Union verhandlungsbereit, insofern man Merz das Superministerium überlassen würde.
Alexander Dobrindt - Söders Fels in der Brandung
Finanzminister Alexander Dobrindt (CSU): Die CSU will sich nach dem doppelten Rückzieher von Manfred Weber (zugunsten Ursula von der Leyens an der Spitze der EU-Kommission) und Markus Söder (zugunsten Laschets bei der Kanzlerkandidatur) im Kampf um Spitzenposten nicht unter Wert verkaufen. Daher könnte München das Finanzministerium beanspruchen. Dobrindt hat sich - obwohl beide einst auf Distanz miteinander waren - als Söders loyaler CSU-Fels in der Berliner Brandung erwiesen. Dobrindt ist regierungserfahren und gilt selbst bei Grünen als "rabenschwarzer, aber kluger Kopf". Ihm wird in München eine Rolle zugetraut, wie sie einst Theo Waigel für die Christsozialen gespielt hat.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU): Die ehemalige CDU-Vorsitzende ist bei der Bundeswehr respektiert und dort wesentlich beliebter als im Haushaltsausschuss des Bundestags. Ihr Verteidigungsetat wird nach cleveren Verhandlungen 2022 erstmals fast 50 Milliarden Euro erreichen. Nicht nur beim Großgerät rüstet sie gezielt auf, sondern auch bei der persönlichen Situation der einzelnen Soldaten. So hat sie das kostenlose Bahnfahren für Soldaten durchgesetzt und neue Kampfhosen, Kampfstiefel, Schutzwesten und Gefechtshelme beschafft. Die Generalität wünscht Kramp-Karrenbauer sich auch in Zukunft als Ministerin, allerdings wird sie zugleich von Brüssel umworben, neue NATO-Generalsekretärin zu werden. Auch als erste Bundespräsidentin ist sie im Gespräch. Sollte eine dieser beiden Optionen Realität werden, dann wäre Thomas Silberhorn (CSU), derzeit parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, ein natürlicher Nachfolgekandidat.
Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Anton Hofreiter (Grüne): Unter Deutschlands Bauern dürfte diese Option für einige Unruhe sorgen. Bei den Grünen allerdings erhofft man sich von Hofreiter die Umsetzung der seit Jahren geforderten "Agrarwende". Der diplomierte und (über die südamerikanische Lilie) promovierte Biologe Hofreiter fordert seit Langem die "flächendeckende Ökologisierung der konventionellen Landwirtschaft". Hofreiter hat ein Buch geschrieben, das nun Programm werden könnte: "Fleischfabrik Deutschland: Wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können".
Julia Klöckner: Nach Merkels Abgang ist sie die stärkste Unionsfrau
Gesundheitsministerin Julia Klöckner (CDU): Die CDU-Vizechefin gilt nach dem Ausscheiden Angela Merkels und dem Weggang Ursula von der Leyens (noch mehr, falls auch AKK nach Brüssel wechseln sollte) als letzte regierungserfahrene, starke CDU-Frau. Sie ist so etwas wie die freundliche, aber robuste Feuerwehrfrau der Union. Ihr wird zugetraut, besonders heikle politische Lagen geschickt und mit Konzilianz zu lösen. Das wird bei der von Fehlern, Skandalen und Streitigkeiten begleiteten Pandemiepolitik auch nötig sein. Klöckner ist seit Jahren bei karitativ-medizinischen Organisationen als Schirmherrin oder Botschafterin stark engagiert, so bei der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke, der Deutschen Multiple-Sklerose-Gesellschaft, der Hospizbewegung, der Stiftung Aktion Niere oder dem Förderverein zur Unterstützung krebskranker und notleidender Kinder und deren Familien.
Innenminister Thorsten Frei (CDU): Die CDU Baden-Württemberg möchte den ehemaligen Oberbürgermeister von Donaueschingen ins Kabinett schicken. Der Volljurist Frei gilt als "Mann der Zukunft" in der angeschlagenen Südwest-CDU. Als stellvertretender Fraktionschef der Union hat er sich ein fachmännisches Innenpolitiker-Profil erarbeitet. Auf seiner Website schreibt er staatstragend: "Die Innenpolitik leistet einen zentralen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben." Weniger friedlich sind seine Konflikte mit den Grünen. Gerade erst wollte Frei mit einem Gesetzesentwurf für eine leichtere Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer sorgen - und scheiterte im Bundesrat an den Grünen. "Unser Bemühen um eine deutliche Steigerung der Zahl der Rückführungen ist nun vereitelt. Das Veto der Grünen trägt klar die Handschrift des linken Parteiflügels, der auch schon beim migrationspolitischen Teil des grünen Wahlprogramms die Feder geführt hat", so Frei.
Familienministerin Silvia Breher (CDU): Seit zwei Jahren ist sie stellvertretende CDU-Vorsitzende - nun führt sie auch die Niedersachsen-CDU in den Wahlkampf. Sie sammelt im Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bereits die Sachkompetenz für das Ministerium. Sie ist Mutter dreier (noch kleiner) Kinder - für eine Familienministerin auch eine gute Voraussetzung. "Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Angebote für die individuellen Bedürfnisse von Eltern und Kindern, darum möchte ich mich kümmern. Ich habe immer durchgearbeitet, ich war selbstständig oder als Geschäftsführerin tätig, als meine Kinder geboren wurden." Sie kennt die Probleme.
Entwicklungshilfeminister Michael Kellner (Grüne): Der Bundesgeschäftsführer der Grünen ist der kluge Stratege des grünen Aufschwungs der vergangenen drei Jahre. Der aus Gera stammende Kellner hat aus der teilweise chaotischen Partei eine moderne Erfolgsformation geschmiedet. Das Vorsitzenden-Duo hätte ihn gerne als Kabinettskollegen, das Amt des Entwicklungshilfeministers könnte (so es nicht dem Außenministerium angegliedert wird) passen: Der geschmeidige Kellner war einst Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik.
Bildungs- und Digitalministerin Dorothee Bär (CSU): Als Staatsministerin für Digitalisierung kämpft sie bereits seit Jahren gegen die Digitalisierungsdefizite Deutschlands. Häufig haben ihr dabei die Mittel gefehlt. Nun bekommt sie womöglich ein eigenes Ministerium für die Jahrhundertaufgabe. Das Bildungs- und Forschungsministerium könnte um den Bereich Digitalisierung erweitert werden.
Wird Serap Güler Migrationsministerin?
Verkehrsminister Stephan Mayer (CSU): Andreas Scheuer wird keine Chance mehr bekommen, das Ministerium weiterzuführen. Wäre die Pandemie nicht ausgebrochen, hätte er längst zurücktreten müssen. Die CSU möchte das Ministerium aber gerne behalten. Ihr Kandidat ist der Staatssekretär im Innenministerium - ein seriöses Gegenbild zum Luftikus Scheuer.
Justizminister Konstantin von Notz (Grüne): Er ist seit 2009 im Bundestag und zählt zu den bekanntesten Gesichtern der Fraktion. Der promovierte Jurist ist als Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss bekannt geworden. Er ist der Intellektuelle in der Grünen-Fraktion, die FAZ lobt ihn als "Politiker mit Weitblick". Netzpolitik ist eines seiner Spezialgebiete. Sollte von Notz einer Geschlechterquote zum Opfer fallen, hätte Katja Keul Außenseiterchancen auf das Amt. Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen hat in Heidelberg Jura studiert, legte in Potsdam ihr zweites Staatsexamen ab und arbeitete als Rechtsanwältin.
Ministerin für Integration Serap Güler (CDU): Laschet hält große Stücke auf sie und könnte das Thema Migration mit einem vollwertigen Ministerium aufwerten. Güler ist jetzt bereits Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen. Die erst 40 Jahre junge Politikerin wuchs als Kind türkischer Gastarbeiter auf, ihr Vater war - wie Laschets Vater - Bergmann. Seit 2010 ist sie deutsche Staatsbürgerin. Sie tritt als Direktkandidatin in Leverkusen an und damit direkt gegen den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach.
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